Sauerland Live. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.
Kräfte freisetzt. Ich lasse mir doch meinen Lebensraum nicht von der grünen Hölle vor unserer Tür wegnehmen. Ich lasse doch mich und meine Familie nicht von Kirschlorbeer und Fichten aus dem Paradies vertreiben.
Endlich bin ich quasi durch den Busch durch und komme draußen am Weg wieder an. Ein paar in den Busch eingewachsene Brombeerranken haben mich ein wenig zerfetzt, ich blute etwas, aber das kann einen Mann, der D-MAX gewohnt ist, nicht erschüttern. Ich bin auch ein harter Knochen.
„Das sieht AUS!“, jammert Steffi und hat die süße Rosenschere noch immer in der Hand. „Der schöne Busch!“
„Ach, auf einmal ist es der schöne Busch, ja? Und eben hat er noch unser Leben bedroht, oder wie?“
„Ja, man muss doch nicht gleich den ganzen Busch abhacken, wenn man nur ein wenig Luft …“
Ach, das versteht Steffi einfach nicht. Ganz oder gar nicht. Duschen ohne nass zu werden, geht eben nicht. Und wenn der Vernichtungsreplikant Alex Knippschild erst mal aktiviert ist, dann muss er auch töten.
„Das muss doch alles weg“, sage ich und schon rasselt die Elektroschere wieder. Mit blinder Wut - ja, man braucht auch Wut für derartige Arbeiten - gehe ich an den nächsten verdammten Busch, mähe dabei mitten in der Schlacht auch ein paar von den Hortensien und Forsythien nieder, aber wo gehobelt wird …
„ALEX!“
Max grinst und genießt eine weitere kleine Pause. Er schaut ab und zu mal nach oben, ob denn die versprochene Wolke endlich kommt. Nein, noch nichts zu sehen. Aber momentan ist es ja sogar wieder mal richtig aufregend und witzig mit den Alten.
Ich mähe mich weiter durch den Privatdschungel, der zweite Busch ist schon fast niedergerungen, der nächste zittert schon, bis ich dann endlich mit dem erbarmungslosen Mähwerk der Elektroschere das Kabel erwische und die Todesmaschine schweigt.
Eine unheilvolle Stille legt sich augenblicklich über unseren Garten und die Menschen, die darin stehen und doch nichts als überleben wollen.
„So“, sagt Steffi, „das war’s ja dann wohl. Endlich kaputt.“ Und ich muss ihr recht geben. Ja, ohne Strom geht’s dann leider nicht weiter.
„Ja“, sage ich resigniert, „dann muss ich wohl erst mal das Kabel flicken.“
„Nix da! Jetzt nimm dir von mir aus dann diese verdammte dicke Schere da“, damit zeigt sie auf die manuelle Heckenschere, die ja noch aus der industriellen Vorzeit stammt, mit reiner Muskelkraft betrieben werden muss und die ich eigentlich nur im absoluten Notfall einsetzen wollte, „und dann schneidest du das ab, was ich dir zeige.“
Max grinst wieder und wird von Steffi dabei erwischt. „Und du, steh hier nicht rum und mach was. Da. Äste sammeln. Schubkarre. Ab!“
Ich schneide jetzt also mürrisch, knurrend und reichlich unterdrückt nach Steffis Anweisungen mal hier und mal dort ein paar Äste ab, eigentlich nur die kleinen, darf einmal mit der Astschere sogar einem etwas dickeren Ast zu Leibe rücken, und dann darf ich sogar die große Bügelsäge holen, an die ich mich noch dunkel erinnern kann und die irgendwo ganz hinten … Ach, ich werde sie schon finden. Damit wird dann der dicke Ast abgesemmelt, der mir beim Runterfallen dann doch glatt auf den Kopf fällt und möglicherweise eine Schramme an der Stirn hinterlassen hat. Aua. Ach was. Lächerlich. Da sehen wir gar nicht erst nach.
Aber trotzdem, für mein Gefühl kommen wir nicht so recht weiter. Der Dschungel steht noch immer wie eh und je.
Max kommt gerade wieder mit der leeren Schubkarre vom Komposthaufen zurück, der immer höher wächst und uns jetzt leider die Aussicht auf die schönen weiten Wiesen dahinter verdeckt, die ich immer so geliebt habe, und sieht nach oben.
Noch immer keine Wolke zu sehen. Es geht also weiter mit der Sklaverei. Max sieht mich reichlich vorwurfsvoll an und murmelt „Dauert nicht lange, was?“
Auch ich schiele jetzt immer öfter mal auf meine Armbanduhr, denn der versprochene Regen könnte jetzt wirklich langsam mal einsetzen. Mir tun die Hände weh, ab und zu verkrampfen sie, Schweiß läuft mir in die Augen, ich hab blutige Kratzer an den Armen, eine Kopfverletzung, mir ist heiß, ich hab Durst, ich will nicht mehr …
„Da, jetzt den da!“, befiehlt Steffi und zeigt auf das nächste Ästlein, das ich abzwacken darf. Sie steht jetzt nur noch in der Mitte des Gartens und gibt Befehle. Das gefällt weder Max noch mir. Wir leiden momentan doch sehr unter der Knute der Tyrannin und ein gewisser Revolutionsgeist wächst in uns. Wir sind das Volk!
Und ihre Befehle sind unsinnig.
„Steffi, das bringt doch nichts. Hier und da mal ein Ästchen, so kommen wir doch nicht weiter. Sieh dir doch mal an, wie das alles hier explodiiiert!“
Doch sie lässt sich nicht beirren und verfolgt weiter ihre Strategie der kleinen Schnitte. Ganze drei Stunden haben wir jetzt schon in dieser grünen Hölle verbracht, und ich schiele ab und zu mal sehnsüchtig zum Liegestuhl hinüber. Heute hätten wir wirklich mal tolles Wetter zum Lesen, Abhängen, Grillen ...
Steffi greift jetzt doch wieder aktiv in das Geschehen ein und versucht gerade, eine der dicken Schlingpflanzen vom Gartenhaus zu lösen, als wir sie plötzlich „Au!“ rufen hören.
„Was ist?“, fragen wir beide gleichzeitig und stehen schon neben ihr, um irgendwie zu helfen.
„Ach, weiß nicht. Was gestochen. Egal“, sagt sie und zerrt weiter wütend und ohne Erfolg an den dicken Ranken aus dem versunkenen Inkareich.
Dann kommt der erste Tropfen. Na, endlich.
„Es regnet, es regnet“, verkündet Max voller Erlöserfreude, als ob wir das nicht selbst bemerkt hätten.
Und dann steht Max‘ Freund Lukas plötzlich vor uns. Viel zu früh, aber er ist da. Er starrt auf Max, wie der gerade Unkraut und Äste in die Schubkarre wirft.
„Wie uncool“, sagt Lukas, „Gartenarbeit.“
Natürlich ist Max das peinlich und er hört sofort mit seiner Arbeit auf.
„Hallo Lukas“, sage ich, „schon da?“
Er starrt immer noch angewidert auf die Gartengeräte und auf die Menschen, die sie bedienen.
„Ja, Max hat uns heute mal etwas geholfen. Musst du das nicht auch manchmal?“
Lukas schüttelt nur den Kopf, als wäre schon die Frage eine Zumutung.
„Nä!“
Naja, vielleicht wird er später mal der 1. Vorsitzende des Kleingärtnervereins und züchtet die dicksten Kartoffeln.
Der Regen wird stärker und ich sage mit einem Blick nach oben und ernster, endgültiger Stimme: „Also gut, das war’s dann“, und werfe auch mein Joch ab. Alle Werkzeuge in die Schubkarre und ab in die Garage damit. Eine dicke Blase wächst an meinem Handballen. Es sind halt nur zarte Schreiberlingfinger und keine schwieligen Mörderhände.
Steffi wirft noch einen letzten unsicheren Blick auf unser Vormittagswerk und scheint mit allem nicht so recht zufrieden zu sein. Ich auch nicht. Dann flüchten wir alle gemeinsam ins Haus, die Tropfen werden dicker und kommen schneller.
Der Regen ist jetzt richtig heftig geworden und ich wünsche mir, dass er eine ganze Woche lang anhält.
„Bin gleich fertig“, sagt Max zu Lukas und verschwindet schnell nach oben, um sich umzuziehen.
„Ihr wollt doch jetzt nicht mit den Fahrrädern los“, sagt Steffi, aber Max meint nur „Ach, die paar Tropfen“, und nach ein paar Minuten ist er wieder da, sagt „Tschüss!“ und ist dann mit Lukas weg. Irgendwann wird er mal ganz aus dem Haus sein.
Und dann sehen wir uns traurig an, unser Leben zieht an uns vorüber und wir beginnen, unsere Wunden zu lecken. Ich bekomme trotz heftiger Weigerung von Steffi ein paar Pflaster auf die blutigen Stellen am Arm, sie sticht mir entschlossen die Blase am Handballen auf und entfernt mir eine ganze Menge Brombeerstacheln aus dem Arm. Die blutige Schramme an der