Sauerland Live. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.
Mobilfon-Meister jetzt noch mal überirdisch grinsend, als er seine strategisch günstige Position hinter dem Monitor einnimmt und der alten Dame nur der Platz vor der schicken Theke in mattgrau ihm gegenüber bleibt.
Allerdings hat man kundenfreundlich und vermeintlich seniorengerecht hier einen Barhocker aus Chrom aufgestellt, den Frau Pütter jetzt sportlich zu besteigen versucht. Denn das verlockende Angebot einer Sitzmöglichkeit will sie nicht ausschlagen. Es gelingt ihr nach zwei oder drei vergeblichen Versuchen, die etwas höher gelegene gepolsterte Sitzfläche des modernen Möbels zu erklimmen und lässt sich dann mit einem nicht ganz damenhaften Schnaufen darauf nieder. Geschafft. Endlich.
So. Wat wollt ich?
Nein, er wollte ja etwas. Dieser Mann, der ihre Erstbesteigung eines Barhockers mit interessiertem Blick begleitet hat. Und er will es noch immer. Das Kennwort.
Sie hat es nicht!
Klarer Fall, die Frau hat ihr Kennwort nicht parat. Der Allwissende weiß es schon, seit er ihr diese Frage gestellt hat. Es ist doch immer dasselbe, diese alten Leute können sich einfach nichts merken.
„Weisichnich‘“, sagt Frau Pütter dann auch erwartungsgemäß etwas verschämt aber auch leicht bockig. Immer diese Kennwörter! Wat soll ich mir denn noch alles merken?
„Sie haben ihr Kennwort also nicht parat?“
„Nä!“, sagt sie und geht damit direkt auf Konfrontationskurs. Das spürt man. „Habbichnich!“ Und dann sagt sie noch: „Der ganze Kokolores!“
Max sieht mich kurz an und grinst. Er ist im Großen und Ganzen ziemlich angetan von diesem aufregenden Schauspiel nach der langweiligen Schule. Und auch mir gefällt es nicht schlecht, zugegeben, ja, aber die alte Dame beginnt mir doch richtig leid zu tun. Und ich stünde bereit, um für sie in einen heldenhaften Kampf zu gehen.
Ja, da bin ich jetzt mal eindeutig auf der Seite der Alten, der Ausgestoßenen, der Abgelegten, der Eingerosteten, der Schwerhörigen, der Klapprigen, der Zittrigen und der Vergesslichen.
Ich selbst schreibe mir meine Passwörter natürlich immer gewissenhaft auf. Am besten direkt ins Smartphone hinein, damit ich alles auch immer dabei habe und nicht erst lange suchen muss, wenn ich mal danach gefragt werde. Ich möchte niemals in so eine peinliche Extremsituation wie die arme Frau Pütter kommen.
Ich habe da einen kleinen Ordner angelegt, wo auch gleich alle anderen wichtigen Daten abgelegt sind, damit ich auch danach nicht lange zu suchen brauche, wenn es ernst wird. Man kann ja nicht alles im Kopf haben.
Da sind dann also die Pin-Codes für die Bank, Zugänge zu verschiedenen Foren und Unternehmen, naja, Schlüssel für die Freischaltung einiger wichtiger Softwareanwendungen, eben alles, was man in der modernen Welt so hat. Natürlich hat der Ordner einen verschlüsselten Namen, auf den nicht jeder kommt und ist selbstverständlich besonders gut versteckt. Ist ja klar. Ich habe ihn zunächst in den Ordner ‚Privat‘ gelegt, der ja sowieso keinen was angeht, und dann habe ich da wieder einen Unterordner angelegt, der … naja, … gut, … er trägt den Namen unseres leider zu früh verstorbenen Hundes. ‚Waldmeister‘ heißt dieser Ordner.
Da kommt doch … NIE jemand drauf. Und weil es so todsicher ist, habe ich das Ganze alles auch genau so auf unserem PC zuhause abgespeichert. Steffi versucht mir immer wieder einzureden, wie gefährlich das doch sei, weil jemand, der diesen Ordner findet, dann alles weiß. Der könne ja dann überall hin und rein und alles sehen und machen. „Du weißt doch selbst, was heute alles möglich ist, Alex. Die können doch alles ‚häcken‘!“ Aber mal ganz ehrlich, wer soll den Ordner denn finden?
„Ohne Kennwort ist natürlich nichts zu machen“, sagt der Allmächtige jetzt wieder recht gnadenlos. „Ich komm dann nicht rein ins System. Verstehen Sie?“
Nein, die Frau versteht es nicht.
„Versuchen Sie doch mal, liebe Frauäh …“
„Pütter!“
„… Frau Pütter, sich zu erinnern. Wie heißt denn zum Beispiel ihr Mann, hat er einen Kosenamen?“
„Is‘ tot“, sagt die arme Frau. „Schon lange. Dat Härz, wissen Se. Der hatte so ’n schwaches Härz, der kam ja kaum noch de Treppe rauf, die olle Krücke.“
„Jaja, … hatte er denn einen Kosenamen?“
„Willy.“
„Und keinen … Spitznamen oder so was?“
„Spitz?“
„Ja. Namen!“
Die arme alte Frau denkt kurz nach, holt tief Luft und dann fällt es ihr ein: „Ömmes! Ömmes ham die immer zu ihm gesacht, weil, … der war auch so dick, wissen Se?“
„Ömmes. Ja, gut, Frau Pütter. Mit ‚O‘ und ‚E‘ oder mit ‚Ö‘?“
„Ömmes!“
„Ja, dann probieren wir das mal.“
Doch natürlich klappt es nicht. Nein, ‚Ömmes‘ mit „OE“ oder mi „Ö“ ist nicht das ‚Sesam-öffne-dich‘ für das System von diesem zudringlichen Kerl, der einfach keine Ruhe gibt. Der Herr des Kommunikations-Universums kommt nicht rein. Der Kosename des werten Gatten war es also nicht.
„Ihr Sohn?“, fragt der Meister der Dinge jetzt.
„Ach der“, sagt sie da nur und winkt mit der handyfreien Hand ab. Sie hat sich jetzt ganz gut auf dem Barhocker eingerichtet. „Der hat ja nie Zeit!“
Wusste ich’s doch. Keine Zeit für die liebe Mama! Wahrscheinlich ab und zu mal die Hand aufhalten, wenn das Geld des Herrn Sohnes wieder mal zuende gegangen ist, und dann die arme alte Frau Mutter um ein paar Euro von ihrer kärglichen Rente anbetteln. So hab ich’s gerne!, rege ich mich schon wieder innerlich auf, und mein Mitleid für diese einsame, vernachlässigte Person steigt schon wieder. Vielleicht sollten wir diese Frau Pütter bei uns aufnehmen. Wir haben viel Platz, das Haus ist groß, das zweite Kinderzimmer wurde ja noch nie benutzt und Steffi würde sicher nichts dagegen haben, ihren Kram da rauszuräumen und für Frau Pütter Platz zu machen. Scheint doch auch sehr nett zu sein, die alte Dame.
„Der is‘ Chefarzt im Marienhospital, wissen Se“, sagt sie jetzt und nickt dazu.
„Ah so“, sagt Herr Mobilfon offensichtlich einigermaßen beeindruckt und einen ganz kurzen Moment sieht es aus, als ob er über sein eigenes Leben nachdenkt. Aber dann fragt er: „Und wie heißt der? Ihr Sohn?“
„Dr. Pütter!“
„Ja, und Vorname?“
„Ach so, ja, Hans-Jörg.“
Der WLAN-Meister fragt gar nicht mehr, ob Jörg jetzt mit ‚O‘ und ‚E‘ oder mit ‚Ö‘ geschrieben wird und zusammen oder mit Strich in der Mitte, sondern probiert einfach alles mal schnell aus.
Nein. Falsch. Er kommt nicht rein.
„Wie hieß denn noch mal Ihr Hund?“
„Rastamann, dat habbich doch schon de Kollegin … ja, bin ich denn mackacki!“
Da war es wieder.
Ja. Das isses! Rastamann passt. Der Chef ist drin.
„Ach, was haben wir denn da?“, sagt er erst mal vielsagend und nichts ausdrückend. Aber er sieht jetzt alles, was das elektronische Leben von Frau Pütter ausmacht. „Superflat, SMS Flat, und sogar Gigatravel … Reisen Sie denn viel, Frau Pütter? Brauchen Sie das EU-Roaming?“
Sie starrt ihn nur ausdruckslos und sehr bedürftig an.
„Superflätt?“, sagt sie, als sei es ein das ein preiswertes Pfannkuchengericht bei IKEA oder auch ein Wandschrank. „Eh-Uh Rohming? Junger Mann, wissen Se wat? Ich hab bald keine Lust mehr. Ich will mein Weh-Lahn zurück. ‘Rastamann‘ stand da immer und dat soll da getz wieder steh’n.“ Und dabei klopft sie auf ihr Handy und dann schüttelt sie es wieder, so dass