Unbestreitbare Wahrheit. Mike TysonЧитать онлайн книгу.
und Cus erging sich in einem interessanten Bewusstseinsgeplapper.
„Mein ganzes Leben lang dachte ich darüber nach, einen Boxer aufzubauen, der perfekt ist. So einen Menschen kann es tatsächlich geben. Ich erkannte die Qualität eines künftigen Weltmeisters in ihm, da er immer fähig war, ein Level weiterzukommen und seine Sparringspartner zu übertreffen. Ich brachte ihm Karate bei, damit sein Körper während des Kampfes einiges aushalten konnte. Er kann mit blitzartiger Geschwindigkeit einen Schlag landen, sodass der Gegner völlig überrumpelt wird. Er verfügt über eine unglaubliche Geschwindigkeit, Koordination und ein intuitives Zeitgefühl, was sich gewöhnlich erst nach zehn Jahren Boxsport einstellt.
Ich fange erst an, jemanden zu unterrichten, wenn ich weiß, dass er das alles aufnehmen kann. Ich unterhalte mich viel, um herauszufinden, mit was für einem Menschen ich es zu tun habe. Jeder von uns ist letztlich die Summe all seiner Erlebnisse. In Mikes Fall reden wir viel, und ich versuche, herauszufinden, wie viele Schichten schlimmer Erfahrungen ich durchdringen muss, bis ich zum Menschen selbst vorgedrungen bin. Dann lege ich das für mich und für ihn offen. So erzielt man viel schnellere Fortschritte.“
„Nachdem Sie bei Mike Tyson durch alle Schichten gedrungen sind, was haben Sie da vorgefunden?“, wollte Alex wissen.
Cus zögerte. „Ich fand das, was ich zu finden glaubte, einen Menschen mit grundlegend gutem Charakter, der die Dinge tun konnte, die getan werden müssen, um ein großer Boxer oder Weltmeister zu werden. Als ich dies erkannte, bestand meine nächste Aufgabe darin, ihn auf diese Qualitäten aufmerksam zu machen, denn wenn er sich ihrer nicht genauso bewusst ist wie ich, würde ihm das nicht viel helfen. Die Fähigkeit, die Disziplin anzuwenden, die Fähigkeit, das zu tun, was getan werden muss, ungeachtet dessen, wie es im Inneren aussieht, ist meiner Meinung nach das Wesen eines echten Profis. Ich denke, Mike nähert sich mit Windeseile diesem Status, diesem wichtigen Punkt, den er erreichen muss, um der größte Boxer der Welt zu werden. Und nach allem, was wir wissen, abgesehen von unvorhergesehenen Zwischenfällen, wird er, wenn dies ohne Unterbrechung so weitergeht und wir das Training und alles, was damit zusammenhängt, auf die Reihe bekommen, als einer der größten Boxer aller Zeiten in die Geschichte eingehen, wenn nicht gar als der größte, der je gelebt hat.“
Ich war so glücklich, dass Cus so über mich redete. Alex fragte Cus, ob es für einen Mann seines Alters schwer sei, mit so einem jungen Boxer zu arbeiten.
„Ich sage es oft zu ihm, und ich weiß, er versteht nicht, was ich sage, aber ich werde es ihm jetzt nochmal deutlich sagen: Wenn er nicht bei mir wäre, würde ich heute vermutlich nicht mehr leben. Die Tatsache, dass er hier ist und das tut, was er tut, und es so gut tut und sich immer mehr verbessert, verleiht mir die Motivation und das Interesse, am Leben zu bleiben, denn ich glaube, ein Mensch stirbt, wenn er keine Freude mehr am Leben hat. Die Natur ist klüger, als wir annehmen. Nach und nach verlieren wir unsere Freunde, die uns am Herzen liegen, und nach und nach verlieren wir auch unser Interesse, bis wir uns schließlich fragen: Was zum Teufel habe ich hier noch zu suchen? Es gibt keinen Grund, weiterzumachen. Aber Mike gibt mir den Grund. Er gibt mir die Motivation, und ich will am Leben bleiben und beobachten, wie er Erfolg hat, denn ich werde mich nicht von dieser Welt verabschieden, bevor das eintritt. Wenn ich nämlich abtrete, weiß er nicht nur, wie man einen Boxkampf austrägt, sondern hat zudem eine Ahnung von vielen Dingen und weiß auch, wie er auf sich selbst achten muss.“
Wow! Das war mal wieder typisch Cus, der erneut seinen verdammten Druck auf mich ausübte. Cus glaubte, ich könne mit dem Druck umgehen, aber er glaubte auch, dass ich selbst nicht glaubte, dass es mir gelingen könnte.
Dann fragte man mich über meine Zukunft und meine Träume aus.
„Am Anfang gab es nur Träume. Man hat diesen Traum, der motiviert. Ich möchte noch zehn Jahre leben. Es heißt, ich sei ein One-Million-Dollar-Boxer. Nun, ich weiß, was ich bin, und das zählt mehr als alles andere. Da die anderen nicht wissen, was ich hinter mir habe, glauben sie, ich sei so geboren worden. Sie haben keine Ahnung, wie hart mein Weg war.“
„Was haben Sie hinter sich?“, fragte Alex.
„Das Training. Das Boxen ist dabei der leichteste Teil. Wenn man in den Ring steigt, um zu kämpfen, ist das wie Urlaub. Aber wenn man in die Sporthalle geht, muss man x-mal irgendwelche Dinge wiederholen, bis alles weh tut. Tief in seinem Inneren sagt man sich: Ich will das nicht mehr tun. Doch dann verdränge ich diese Gedanken aus meinem Kopf. Im Moment geht es ja um die Amateurkämpfe, und es macht viel Spaß, die Trophäen und Medaillen vor sich zu sehen, aber ich bin wie Sie: Wenn ich ins Profilager wechsle, will ich Geld scheffeln. Ich mag die verrückten Frisuren und trage gern ausgefallene Klamotten, Gold, Schmuck und dergleichen. Um diesen Lebensstil halten zu können, muss ich auf anständige Weise Geld verdienen. Ich kann nicht mit einer Waffe in eine Bank marschieren. Man sollte auf jeden Fall das Geld mit etwas verdienen, das man gern tut.“
Ich war so verbittert, weil ich so hart arbeiten musste, wie ich es noch nie erlebt hatte. Und am nächsten Tag musste ich aufstehen, und alles fing wieder von vorn an.
Für die Olympiade schuftete ich wie ein Tier. Man wollte mich mit meinem derzeitigen Gewicht nicht antreten lassen, weil Cus mit den Boxfunktionären der Olympiade im Clinch lag. Ich sollte in der Dominikanischen Republik im US-Team kämpfen, doch Cus wollte es nicht zulassen, da wir Teddy nicht als unseren Trainer mitnehmen durften, sondern ich auf deren Trainer angewiesen sein würde. Außerdem wollte er nicht, dass ich dorthin reiste, weil er Angst hatte, dass mich irgendwelche Revolutionäre entführen könnten.
Man informierte Cus, dass ich in der Klasse unter 201 Pfund kämpfen sollte. Zu der Zeit betrug mein Gewicht etwa 215 Pfund, also musste ich schnell handeln. Ich quetschte mich wieder in die Saunaanzüge und trug sie den ganzen Tag. Mir gefiel das, ich fühlte mich wie ein richtiger Boxer und wollte Gewicht verlieren, um in die Gewichtsklasse zu passen. Ich war so paranoid, dass ich glaubte, ich bringe ein großes Opfer.
Als Vorbereitung auf die Ausscheidungskämpfe für die Olympiade musste ich mich an einen straffen Zeitplan halten. Am 12. August 1983 trat ich beim Ohio State Fair National Tournament an. Am ersten Tag schaffte ich es, meinen Gegner in nur 42 Sekunden k.o. zu schlagen. Am zweiten schlug ich meinem Kontrahenten zwei Zähne aus, und er blieb zehn Minuten lang bewusstlos liegen. Am dritten Tag trat der amtierende Meister vom Kampf zurück.
Am nächsten Tag fuhren wir nach Colorado Springs, zur US-Meisterschaft. Als ich dort ankam, schieden vier der sechs anderen Boxer aus dem Wettkampf aus. Ich errang beide Siege durch K.o in der ersten Runde.
Am 10. Juni 1984 erlebte ich einen Rückschlag. Mein Qualifikationskampf sollte gegen Henry Tillman erfolgen, einen älteren und erfahreneren Boxer. In der ersten Runde setzte ich ihm so hart zu, dass er fast durch die Seile geschleudert worden wäre. Doch er rappelte sich schnell wieder hoch, und ich setzte ihm weitere zwei Runden lang zu. Beim Amateurboxen wird Boxaggression nicht belohnt, und mein K.o. zählte genauso viel wie ein leichter Schlag. Ich konnte es nicht fassen, dass der Sieg an Tillman ging. Mal wieder sah es der Mob wie ich, und es ertönten Pfiffe und Buhrufe.
Ich hasste diese Amateurkämpfe. „Wir sind hier Boxer“, erklärten mir diese Trottel.
„Nun, ich bin ein Kämpfer, Sir. Meine Absicht ist es zu kämpfen“, erwiderte ich.
Der gesamte Amateur-Boxbetrieb hasste mich. Meine rotzfreche Brownsville-Attitüde passte den Funktionären gar nicht. Ich benahm mich anständig, aber diese New York-Scheiße schwappte immer wieder hoch. Mich mochten sie nicht, und Cus verachteten sie sogar. Cus war so überspannt, dass er sogar mich manchmal verwirrte, was ich ihn aber nicht wissen ließ. Ich war immer an seiner Seite und hörte, wie er mit den Funktionären umging, war aber völlig konsterniert ob seiner Art, mit ihnen zu reden. Er war sehr nachtragend und sann immer auf Rache. Ein Leben ohne Feinde wäre für ihn undenkbar gewesen, also schuf er sich welche. Ich dachte manchmal, warum zum Teufel kann ich es nicht mit einem Weißen zu tun haben, der nicht so sehr auf Konfrontation aus ist. Ich glaubte, dass ich mich von dem lauten Leben entfernt hatte, in dem jeder aus voller Lunge schrie. Aber Cus erinnerte mich stets daran, dass das nicht der Fall war.
Einen Monat später bekam ich bei den olympischen Vorausscheidungen die Chance, meine