DSA: Rabenerbe. Heike WolfЧитать онлайн книгу.
ehe Ihr mit ihm gesprochen habt.«
»Und du meinst, das würde etwas nutzen?« Amato schmunzelte flüchtig. »Er erinnert mich sehr an dich damals. Meinst du, ich sollte ihn freilassen? Ist es das, was er will?«
»Das wollen sie alle, Amato.« Reto sah ihn ernst an. »Das wollen alle, die für Euch in die Arena gehen.«
»Du hast trotzdem für mich gekämpft. Obwohl ich dich freigelassen habe.«
»Weil Euer Onkel Euch keine Wahl gelassen hat. Aber es geht hier nicht um mich.« Reto verengte die Lippen und blickte hinüber zum Fenster, von wo aus nun die harsche Stimme der Lanista zu ihnen hochdrang. »Seht ihn Euch an und sprecht mit ihm, ehe Ihr eine Entscheidung trefft. Und wenn Ihr meine Meinung hören wollt, dann lasst ihn in der Zwischenzeit angekettet. Irgendetwas an diesem Mann gefällt mir nicht.«
»Gut, dann werde ich es so machen.« Amato nickte und trat wieder hinter den Schreibtisch. »Aber wenn du schon einmal hier bist, bleib bitte einen Moment. Ich denke gerade über das nach, was mir die Offizierin gezeigt hat. Was hältst du davon? Von der Flotte«, fügte er schnell hinzu, als Reto die Stirn runzelte.
Der Mittelreicher zuckte mit den Schultern, aber er trat näher und warf einen Blick auf die wirren Aufzeichnungen, die Amato angefertigt hatte. »Es sind erstaunlich viele Schiffe. Der General hat irgendetwas vor. Aber das ist vermutlich nicht das, was Ihr von mir hören wollt, oder?«
Amato biss sich auf die Lippen. »Nein«, gab er zu. »Ich sehe selbst, dass es viele Schiffe sind. Und ich weiß, was der General plant. Aber darum geht es nicht.«
»Das dachte ich mir.« Retos Mundwinkel zuckten flüchtig. »Vielleicht sagt Ihr einfach frei heraus, was Euch beschäftigt? Anstatt nach einem Vorwand zu suchen, ein Gespräch zu beginnen?«
»Du hast recht.« Amato seufzte leise und trat an Reto vorbei ans Fenster. Der Himmel hatte sich inzwischen weiter verdüstert, und die Schwüle schien fast unerträglich. »Es ist schwer, in Worte zu fassen. Ich habe ... seit Wochen das Gefühl, als müsse bald etwas geschehen. Etwas Wichtiges. Ich kann es nicht benennen, es ist einfach da, wie ein Bauchschmerz, der nicht vergehen will.« Er wandte den Kopf zu Reto. »Verstehst du, was ich meine?«
»Nein.« Reto sah ihn ruhig an. »Doch ich stehe den Göttern auch nicht so nahe, wie Ihr es tut. Manchmal wünschte ich mir, es wäre so, doch vielleicht ist es besser, unwissend zu sein. Habt Ihr mit dem General gesprochen?«
Amato schüttelte den Kopf. »Ich kann ihn nicht wegen eines Bauchgrimmens behelligen, für das ich selbst keinen Namen habe. Alena Karinor würde wahrscheinlich unterstellen, ich habe etwas Falsches gegessen.«
»Ihr tut es nicht, weil Ihr den Spott fürchtet?«
Amato hatte unwillkürlich die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen, entließ sie aber sofort wieder, als es ihm bewusst wurde. »Nein«, widersprach er eine Spur zu heftig. »Wenn ich sicher wüsste, dass es eine Warnung ist, würde ich es tun. Aber die göttliche Marbo schweigt. Ich träume nicht, seit Wochen schon.«
Reto hob spöttisch einen Mundwinkel. »Vielleicht habt Ihr doch etwas Falsches gegessen.« Er schüttelte den Kopf, wieder ernst. »Nein, Amato. Wenn Ihr von mir einen Rat haben wollt, dann gebe ich Euch einen. Hört auf, Euch nach dem zu richten, was andere von Euch erwarten. Die wissen ohnehin, dass Ihr von all dem Säbelrasseln nichts versteht. Warum versucht Ihr es überhaupt?« Reto griff nach dem Blatt mit den Aufzeichnungen, betrachtete es einen Moment lang, ehe er es kopfschüttelnd wieder beiseitelegte. »Der Schwarze General hat genug Soldaten um sich herum, dass er Eure Stimme nicht braucht, wenn er tatsächlich einen Feldzug plant. Spielt Euer eigenes Spiel und nutzt Eure Stärken. Seit Jahren tut Ihr, was sie Euch sagen, ob es nun Euer Onkel ist oder der General. Und Ihr denkt nicht einmal darüber nach, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Es ist kein Wunder, dass Euch nicht einmal diese selbstgefällige Offizierin Respekt entgegenbringt.«
»Ich bin schwach, nicht wahr? Das ist es doch, was du glaubst.«
»Ich halte mich nicht damit auf, Dinge zu glauben. Ich sehe, was ich sehe.«
»Ach, und was siehst du?«
Die Lippen des Beschützers formten ein schiefes Schmunzeln, während er Amatos Blick ungerührt erwiderte. »Ich sehe einen Granden, der mehr ist, als er sein will. Der sich versteckt, anstatt sich zu nehmen, was ihm die Götter vor die Füße geworfen haben. Ihr seid die Stimme des Generals. Vergesst das nicht.«
»Ich weiß, was ich bin«, antwortete Amato ungehalten. »Deshalb bemühe ich mich um den Frieden mit den großen Häusern, auch wenn es mich anekelt, wie sie mich betrachten und darüber nachdenken, wie ich mich in ihre nächste Orgie einfüge, anstatt sich anzuhören, was ich ihnen zu sagen habe.«
»Und dennoch tut Ihr es.«
»Es ist meine Pflicht.«
»Die wem nützt? Euch? Eurem General?« Reto stieß leise schnaubend Luft durch die Nase aus. »Ihr gehorcht ihm, weil er Euch vor Eurem Onkel schützt.«
»Ich stehe an der Seite des Generals, weil ich es für das Richtige halte. Ich habe keine Angst vor meinem Onkel«, fuhr Amato auf, aber er wusste selbst, wie leer seine Worte klangen. Er hatte Angst, aber nicht um sich selbst, sondern um Reto. Um Ismelde, um Cortez, um alle, an die er sein Herz gehängt hatte, obwohl er es nicht wollte. Und damit machte er sich zum Niemand in diesem Spiel. Goldo hatte ihn als Kind zweier Vipern bezeichnet, aber er war ein Schoßhund geblieben. Beliebt, aber harmlos, weil er es nicht wagte, das Spiel nach seinen Regeln zu spielen.
»Vielleicht muss ich selbst zur Viper werden«, sagte er leise und hob die Hand, zögerte aber, sie auf Retos Brust zu legen. Langsam ließ er sie wieder sinken. Er wich dem Blick des Nordländers aus, als er sich abwandte und wieder ans Fenster trat.
»Geh bitte.« Er atmete tief ein, um die Frische des Regens aufzunehmen, der sich inzwischen wie ein grauer Vorhang über die Stadt gelegt hatte. Hinter sich hörte er, wie Reto sich bewegte, unentschlossen, doch dann klang das dumpfe Geräusch der Faust auf dem ledernen Brustpanzer, und die Schritte entfernten sich.
Amato starrte hinaus in den Regen, während die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
II
Said
Der Durstige Hai war eine Taverne von vielen, die sich zwischen den Brabaker Baracken und dem Hafen drängten und in denen der Wein gepanscht und die Huren billig waren. Hier traf sich der Bodensatz der Schwarzen Perle, lichtscheue Gestalten, die ihre Dienste für ein paar Kupferstücke feilboten. Gestrandete Existenzen, die ihr jämmerliches Dasein im Reisbrand zu ertränken suchten, ehemalige Sklaven und Tagelöhner, die oft nicht wussten, wovon sie die hungrigen Mäuler zu Hause stopfen sollten, und das wenige Geld lieber versoffen, als schimmligen Reis davon zu kaufen. Dazwischen fand man auch fremde Gesichter, Seeleute aus dem Norden, die die Neugier auf das verruchte Al’Anfa hierhertrieb, oder Questadores mit großen Träumen, aber kaum einem Dirham in den Taschen. Al’Anfa war eine Stadt, die Träume verschlang, und das galt mehr als irgendwo anders für die heruntergekommenen Kaschemmen zwischen Baracken und Hafen, wo dem Rausch viel zu schnell die Ernüchterung folgte.
Gewöhnlich mied Said Spelunken wie den Hai. Nicht, weil er sich vor dem fürchtete, was ihn dort erwartete. Diese Art Furcht hatte ihm Meister Darjin schon vor Jahren ausgetrieben. Die Gestalten, die im Durstigen Hai ein- und ausgingen, witterten, wenn man Angst vor ihnen hatte. Angst verriet Schwäche, und wer schwach war, wurde in dieser Stadt gefressen.
Said war nicht schwach, und wahrscheinlich zählten Meister Darjins Schüler zu den gefährlichsten Raubtieren der Stadt. Doch auch sie mussten sich vor dem Jäger in Acht nehmen, wenn man sie entdeckte, ehe sie zum tödlichen Sprung ansetzen konnten. In einer Kaschemme wie dem Hai lief man ständig Gefahr, sich seiner Haut erwehren zu müssen und dabei unbeabsichtigt mehr von sich preiszugeben, als gut war. Dass Said trotzdem Krüge mit billigem Reisschnaps und Wein durch den rauchverhangenen Schankraum schleppte, war Teil der letzten Prüfung, die ihn frei machen würde. Er arbeitete erst seit einigen Tagen im Durstigen Hai, aber er hatte genug Zeit und Gelegenheit gefunden, sich umzusehen und herauszufinden, dass