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DSA: Rabenerbe. Heike WolfЧитать онлайн книгу.

DSA: Rabenerbe - Heike Wolf


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      »He, Süßer!« Eine Seefahrerin, der eine Fieberfäule das halbe Gesicht zerfressen hatte, hob ihren Krug und schwenkte ihn auffordernd. »Schenk uns ein! Geht auf mich, die Runde!«

      Johlen begleitete ihre Worte, als die anderen zustimmend ihre Becher auf die zerfurchte Tischplatte donnerten. Es waren raue Gesellen, Schmuggler oder heruntergekommene Freibeuter, die unter der Flagge der Rabenstadt segelten. Der Durstige Hai lag nah genug am Hafen, um den Abschaum der Meere anzuziehen, Männer und Frauen, die nicht viel zu verlieren hatten und ihre Heuer lieber mit schmutzigen Huren und schlechtem Fusel durchbrachten, als sie mit in Efferds Arme zu nehmen. Vermutlich war das der Grund, warum der Wirt ausgerechnet hier eine Taverne unterhielt. Seeleute brachten Neuigkeiten, und es gab kaum einen anderen Ort, wo so viele Nachrichten aus aller Welt zusammenliefen wie in den Kaschemmen am Hafen.

      Said nickte, um anzuzeigen, dass er verstanden hatte, und schob sich zwischen den Tischen hindurch zur Theke.

      »Wein«, sagte er mit gesenktem Blick, während er die leeren Krüge abstellte. Er vermied es, den Wirt anzusehen, wenn er sprach. Als er im Hai angefangen hatte, hatte er vorgegeben, ein Freigelassener zu sein, der nach dem Tod seines Herrn auf der Straße saß und verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, ein paar Dirham zu verdienen. Der Wirt hatte nicht nachgefragt, aber Said war der Blick nicht entgangen, mit dem ihn der Mann gemessen hatte. Said kannte diese Art Blick. Es war der gleiche, mit dem Nuradjian ihn gelegentlich ansah, wenn er meinte, Meister Darjin bemerke es nicht. Said war es nur recht, wenn der Wirt sich mehr als den Schankdienst erhoffte. Es machte seinen Auftrag leichter.

      Der Wirt nickte kaum merklich, und sah an Said vorbei zu dem Tisch mit den Seeleuten. »Halte dich von der Rothaarigen fern«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Sie hat ein Auge auf dich geworfen. Denk nicht einmal daran, verstanden? Ich bezahle dich, und du tust, was ich dir sage.«

      Said hob den Kopf, um den Blick des Wirts zu erwidern, eine Winzigkeit zu lang. »Natürlich«, sagte er leise. »Ihr bezahlt mich.«

      »Vergiss das nicht.« Der Wirt packte die Krüge, um sie aufzufüllen. Wein schwappte über den Rand und lief über seine schwieligen Pranken, als er sie zu Said hinüberschob. »Beeil dich und kümmere dich dann um den Tisch an der Tür. Die brauchen nicht mehr viel.«

      Said nickte. Er kannte die Geschäfte des Wirts inzwischen, der daraufsetzte, seine Gäste so betrunken zu machen, dass sie sich nicht einmal an ihren eigenen Namen erinnern konnten und sich nicht beschwerten, wenn er die Zeche kurzerhand selbst aus ihren Geldbeuteln nahm. Immer ein paar Münzen zu viel. Es war ein einträgliches Geschäft, zumal die Stadtwache sich nicht groß darum scherte, was hier unten am Hafen geschah.

      Said brachte den Wein zu dem Tisch mit den Seeleuten und schenkte ein, während er sich innerlich sammelte. Das war die Gelegenheit. Wenn er nicht noch weitere Abende im Hai verbringen wollte, musste er die Dinge in die Hand nehmen und den Wirt endlich dazu bringen, etwas zu unternehmen.

      »Der Wein«, sagte er überflüssigerweise und streifte dabei wie zufällig den Arm der Matrosin. Ein scheues Lächeln huschte über seine Züge. »Ruft, wenn Ihr noch etwas braucht.«

      »Nicht so hastig, Süßer.« Wie erwartet packte die Frau sein Handgelenk. Sie grinste und offenbarte dabei eine Reihe schlechter Vorderzähne. »Du leistest uns doch sicher etwas Gesellschaft, hm? Na los, trink einen mit uns.«

      Mit einem Ruck zog sie ihn auf ihren Schoß und legte den Arm um ihn. Die Ausdünstungen ihres ungewaschenen Körpers stiegen Said in die Nase, und für einen winzigen Moment verspürte er das Verlangen, sich loszureißen und der Matrosin mit ihrem eigenen Krug die Kehle aufzuschneiden. Noch vor ein paar Jahren wäre es ihm schwer gefallen, gelassen zu bleiben, und auch jetzt spürte er die Wut, die wie ein wildes Tier in seinem Innern kratzte. Aber er hatte gelernt, das zornige Biest im Zaum zu halten. Er musste diese Rolle spielen, bis er seinen Auftrag zu Ende gebracht hatte. Danach würde alles anders sein.

      »Ich muss arbeiten«, wandte er halbherzig ein, aber die Matrosin setzte ihm bereits ihren Becher an die Lippen und zwang ihn, einen Schluck von dem süßen Fusel zu nehmen.

      Sie lachte. »Du musst gar nichts, mein Hübscher. Außer uns Gesellschaft leisten. Weißt du, ich hatte noch nie einen Waldmenschen. Das werde ich heute Nacht ändern, hm?« Ihre Hand griff lüstern in seinen Schritt.

      Said presste die Kiefer aufeinander, um den Widerwillen hinab zu zwingen, der seine Finger kribbeln ließ. »Ich weiß nicht«, murmelte er, den Blick starr auf die Tischplatte gerichtet, damit die anderen nicht sahen, wie es in seinem Gesicht arbeitete. »Ich darf eigentlich nicht ...«

      »Wieso darfst du nicht? Gehörst du etwa dem Wirt?«, fragte ein Nordländer mit roten Wangen und sonnenverbrannter Glatze. »Bist ein Sklave, hö?«

      Said schüttelte rasch den Kopf. »Nein, aber ...«

      »Natürlich gehört er mir«, grollte die tiefe Stimme des Wirts hinter ihnen. Gewichtig baute er sich vor dem Tisch auf. »Lass ihn los. Er hat zu tun.«

      Die Gespräche an den Nachbartischen verebbten, sodass das Lachen der Rothaarigen eigentümlich in die plötzlich einsetzende Stille klang. Ohne jede Eile wandte sie sich dem Wirt zu, der sich vor ihr aufgebaut hatte.

      »Hab dich nicht so.« Sie grinste frech, die Hand immer noch in Saids Schritt. »Er sagt, dass er dir nicht gehört, also kann ich ihn haben. Ich mach ihn schon nicht kaputt.«

      Die Augen des Wirts verengten sich. Er war nicht groß, vielleicht einen halben Kopf kleiner als die Matrosin, und eher sehnig als muskelbepackt, aber Said wusste, wie sehr der äußere Schein trog. Die Rothaarige ahnte vermutlich nicht einmal, mit wem sie es hier zu tun hatte.

      »Du nimmst jetzt die Finger von ihm.« Die Stimme des Wirts klang ruhig, aber es lag eine Kälte darin, die deutlich machte, wie ernst es dem Mann war. »Anschließend trinkt ihr aus und verlasst meinen Laden. Ich will euch hier nicht wiedersehen.«

      Die Matrosin wechselte einen kurzen Blick mit ihren Zechkumpanen, offenbar verblüfft, dass der Wirt es wagte, ihnen zu drohen. Ein herausforderndes Grinsen umspielte ihre Lippen, als sie sich ihm wieder zuwandte. »Und wenn nicht?«

      Der Mundwinkel des Wirts zuckte kurz. Dann schlug er zu.

      Seine Faust traf die Nase der Frau mit einer Wucht, dass sie aufschrie und zurückgeschleudert wurde. Mit lautem Getöse ging sie samt Stuhl zu Boden. Die anderen Zecher sprangen erschrocken auf, und für einen Moment schien die Taverne den Atem anzuhalten.

      Der Wirt packte Said und zerrte ihn auf die Füße. »In den Keller«, zischte er und versetzte ihm einen Stoß, der ihn zwischen den Tischen davonstolpern ließ. Aus den Augenwinkeln bemerkte Said, wie sich einige der Gäste langsam erhoben. Einen Herzschlag lang erwog er, sich der Aufforderung zu widersetzen, um im Handgemenge eine Gelegenheit zu finden, seinen Auftrag zu vollenden. Doch er verwarf den Gedanken gleich wieder. Die Gefahr, dass jemand etwas bemerkte, war zu groß. Aber wenn ihn der Wirt in den Keller schickte, würde er früher oder später nachkommen. Und dann wären sie allein.

      Flink huschte Said hinter die Theke, von wo aus eine Treppe hinab in die Kellergewölbe führte. Hinter ihm wurden Stimmen laut. Stühle wurden geschoben, aber er zwang sich, nicht zurück zu schauen, während er eilig die dunklen Stufen hinabstieg.

      Der Keller war in den Basalt gehauen und deutlich älter als der Rest des Hauses. Vielleicht so alt wie Al’Anfa selbst, denn während Tropenstürme und Brände das Gesicht der Stadt immer wieder veränderten, blieb die Unterwelt über Jahrhunderte davon unberührt. Es hätte Said nicht gewundert, wenn es hier auch irgendwo einen Zugang zum Labyrinth gab, das angeblich die ganze Stadt durchzog. Doch seine Suche war bislang erfolglos geblieben.

      In einer Wandnische brannte eine Öllampe, die Said an sich nahm. Gewöhnlich entzündete er eine zweite Lampe an der Flamme, wenn er hier unten zu tun hatte, aber für das, was er vorhatte, war es besser, wenn es so wenig Licht wie möglich gab. Das Flackern des Dochts fing sich an den Fässern, die sich an der Wand reihten und mit schlichten Basaltbrocken am Fortrollen gehindert wurden. Auf der anderen Seite erhob sich ein klappriges Regal, in dem Flaschen mit Reisbrand gestapelt lagen.


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