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Der weiße Adler. Thomas WünschЧитать онлайн книгу.

Der weiße Adler - Thomas Wünsch


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Herzog von Krakau und das polnische Volk aus seinem Land vertreiben, um den Besitz an Ausländer weitergeben zu können. Muskata wurde 1308 seines Amtes förmlich enthoben – was zwar nicht beweist, dass die Anschuldigungen korrekt waren, aber einen Fingerzeig auf die gespannte Atmosphäre gibt, in der sich dieser Diskurs um die Bewertung von Immigration und kulturellem Wandel abspielte. Kein Zufall ist, dass sich der Konflikt gerade auf dem Feld der Sprache entspann: Erst seit Beginn des 13. Jahrhunderts begegnet in den Quellen der Begriff der lingua Polonica, und die Verschriftlichung der polnischen Sprache stieg markant an. Man wird die Genese eines polnischen Nationalbewusstseins im 13. Jahrhundert nicht verkennen können – was zu höchst unterschiedlichen Reaktionen führen konnte. Eine waren jedenfalls Verse eines Mönchs der niederschlesischen Zisterzienserabtei Leubus/Lubiąż aus dem 14. Jahrhundert, in denen er sich über kulturelle Mängel bei den Polen mokierte.

      Die Zeit der späten Piasten

      Es ist sicher kein Zufall, dass sich die heiße Phase der Auseinandersetzung um die Deutschen und den deutschen Einfluss zeitlich mit dem »Vereinigungskorridor« überschneidet, der zur Wiedererrichtung der Monarchie führen sollte. Polen hatte sich in der Zeit der Teilfürstentümer merklich auseinanderentwickelt; Zeichen dafür ist, dass man den Landesnamen selbst im 13. Jahrhundert auf Großpolen reduzierte. Der Raum, von dem die Staatswerdung Polens im 10. Jahrhundert ausgegangen war, wurde mit »Polen« assoziiert – eine Einengung, die angesichts der unterschiedlichen Verhältnisse in Schlesien und des Aufbaus eines eigenen Staates auf der Basis des Kulmer Lands durch den Deutschen Ritterorden nur allzu verständlich war. Die Frage, was das polnische Staatswesen dennoch zusammengehalten hat, beschäftigt die Forschung seit Langem. Hatte man in früheren Zeiten vor allem das Gewicht äußerer Bedrohung und den Anteil der polnischen Kirche an der Bewahrung eines Gesamtstaats betont, so bringt die neuere Forschung zusätzlich die ideellen Beiträge, etwa in Form der Hagiografie um den Märtyrerbischof Stanislaus von Krakau, und die ständischen Wandlungen ins Spiel. Angeführt wird, dass sich nicht nur der Episkopat für eine zentrale (politische) Gewalt einsetzte, die auch politischen Schutz versprach. Daneben sind andere Kräfte zu sehen, die in eine ähnliche Richtung tendierten. So war auch der ärmere Adel daran interessiert, dass Landesverteidigung und Richterfunktion von einer zentralen Institution wahrgenommen wurden. Dieser Teil des Adels grenzte sich als »Ritterschaft« gegen andere Schichten der Bevölkerung ab, war territorial in Verbänden organisiert und bestand auf den alten Vorrechten der Erblichkeit des Besitzes und der Steuerfreiheit. Besitzgarantie und militärischer Schutz dürften auch die Motive gewesen sein, warum eine andere wichtige Gruppe der Bevölkerung, das Patriziat der neuen Städte, eine Erneuerung der Königsmacht unterstützte. Dieses Patriziat wies einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Deutschen aus, was nicht verhinderte, dass man sich von einer Monarchie Vorteile versprach. Zusammen mit anderen Faktoren bildete gerade das Stadtbürgertum eine wirtschaftliche Basis für das neu zu errichtende Königreich Polen.

      Schon seit dem 13. Jahrhundert sind Bestrebungen seitens der schlesischen Piasten zu beobachten, eine Zentralgewalt zu etablieren. Treibende Kraft wurde dann jedoch Kleinpolen, das ebenfalls stark von den Veränderungen in der Zeit von Ostsiedlung und Landesausbau geprägt war. Hier organisierte der aus dem ungarischen Exil zurückgekehrte kujawische Herzog Władysław łokietek (»Ellenlang«, reg. 1305–1333) die Vereinigung der polnischen Landesteile. Abschluss dieser Bemühungen, die nicht ohne Widerstände blieben, war die Königskrönung in Krakau im Jahr 1320. Der Papst hatte sein Einverständnis gegeben, was diesem Akt zusätzliches symbolisches Gewicht verlieh. Noch 1300 hatte sich der böhmische Herrscher Wenzel/Václav II. in der Gnesener Kathedrale zum König von Polen krönen lassen; nach dem Aussterben der Přemysliden 1306 (die mit Przemysł II., Wenzel II. und Wenzel III. drei Könige in Polen stellten) konnte Władysław łokietek seinerseits eine Expansion der Macht einleiten. Allerdings ist festzuhalten, dass mehr als die Hälfte des Herrschaftsgebiets der frühen Piasten nicht in dem erneuerten Königreich vorhanden war. Das betraf in erster Linie die schlesischen Herzogtümer, die sukzessive eine Lehnsaufreichung an die Krone Böhmen durchführten und bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts sämtlich aus dem polnischen politischen Verband ausschieden. Eine Klammer blieb lediglich die nach wie vor bestehende Eingliederung des schlesischen Bistums Breslau in den Gnesener Metropolitanverbund. Hinzu kommen Abstriche im Norden: Masowien wurde nicht Teil des neuen Königreichs Polen, genauso wenig wie Westpommern, das den Status eines Reichslehens besaß. Und um den Besitz von Ostpommern (Pommerellen) musste das neue Königreich Krieg mit dem Deutschen Orden führen.

      Als Gegengewicht zu diesen Verlusten an Herrschaftsgebiet im Westen trat unter dem Nachfolger Władysław łokieteks, Kazimierz III., seit den 1340er-Jahren eine intensive Ostexpansion hinzu. Kazimierz III. erweiterte das Staatsgebiet, das er von seinem Vater übernommen hatte, auf nahezu das Dreifache. Neue Akquisitionen waren teils alte Piastenfürstentümer, wie Teile von Kujawien und Masowien, teils ganz neue Gebiete, wie das Fürstentum Halicz-Wolhynien. Aufgrund der Neuerwerbungen gerade im Südosten des Reichs, die sprachlich, konfessionell und rechtlich ganz anders gestaltet waren als die polnischen Kerngebiete, veränderte sich zum einen die Struktur des Reichs. Zum anderen bildete sich eine besondere Mentalität heraus, die mit der Ostgrenze Polens nicht nur einen gewöhnlichen territorialen Zuwachs verband, sondern auch eine Sonderstellung des Landes. Die Berührungsfläche mit dem ostslawischen Bereich, die eine Abgrenzung und Auseinandersetzung vor allem mit dem Moskauer Reich mit sich brachte, wurde zum Stimulus für eine veränderte Eigenwahrnehmung. Man sah sich an einer »Kultur- und Konfessionsgrenze«, an der »Grenze des Abendlandes«, und damit am Rand der europäischen Zivilisation. Die Auseinandersetzung damit begann in der Zeit Kazimierz’ III. und dauerte bis zum Ende der Adelsrepublik – mit Nachspielen im 20. Jahrhundert und punktuellen Reflexen bis heute. Dabei ging es in einer ambivalenten Bewegung immer um beide Richtungen: Nach Innen sollte die homogenisierende und integrierende Qualität des polnischen Staates unterstrichen werden, nach Außen die Schutzfunktion als eines Antemurale Christianitatis, einer »Vormauer des Christentums« (worauf noch einzugehen sein wird). Das war die Losung, die von den polnischen Intellektuellen seit Beginn des 15. Jahrhunderts ausgegeben wurde, und die andeuten sollte, dass das um Jahrhunderte später christianisierte Polen nun den alten Zentren Europas den Rang abgelaufen hatte und zur Avantgarde der christlichen Staatengemeinschaft mutiert war.

      Um die Leistung des letzten Piasten Kazimierz’ III. würdigen zu können, hilft ein Blick auf die europäische Bühne. Man hat für diese Zeit von einer »Blüte der Staaten« gesprochen, und auch wenn solche Metaphern aufgrund ihrer hierarchisierenden Qualität skeptisch gesehen werden müssen, frappiert doch die Paralelle an äußerer und innerer Machtentfaltung in ganz Mitteleuropa im 14. Jahrhundert. Expansionspolitik war dabei nur ein Faktor unter mehreren; genauso wichtig (und in den Folgen oft anhaltender) waren gesetzgeberische und ordnungspolitische Maßnahmen. Ludwig der Große von Ungarn, Karl IV. von Böhmen, Rudolf der Stifter von Österreich, Dušan der Große von Serbien und Kazimierz der Große von Polen gehören in ein und dasselbe Paradigma. Sie alle verbindet die Stärkung der Zentrale, was die Verwaltung anging, und eine entschiedene Förderung der Wirtschaft. Hinzu kommt ein weiterer Faktor, der auch im Fall Polens weitreichende Wirkung entfaltet hat: die Übernahme ideologischer Konstrukte – sei es in Form von Rechtsvorstellungen, sei es in Form eines staatsrechtlichen Einheitsgedankens. Kazimierz III. implantierte in Polen (wie die Könige Ludwig in Ungarn und Karl in Böhmen) in gewissem Umfang das sonst in Ostmitteleuropa eher nicht gebräuchliche Lehnrecht, machte Anleihen aus dem Kaiserrecht und bediente sich der abstrakten Staatsvorstellung einer »Krone« (corona). Damit war ein ideologisches Substrat in die praktische Politik eingeführt, das die heterogenen Herrschaftsgebiete Polens unter ein Dach brachte. Symbol dieses Daches war nach wie vor die physische Krone des Herrschers – aber die Idee der Krone verlieh ihr einen Bedeutungszuwachs: Mit der Staatskonstruktion »Krone« versuchten die drei ostmitteleuropäischen Monarchen, unter ihnen der polnische König, die verbindenden Elemente anzusprechen. Dahinter steht die Idee, kulturell und wirtschaftlich divergente Gebiete durch die Betonung ihrer Zugehörigkeit zu einem übergeordneten Ganzen zu vereinen. Die »Krone« bildete eine Achse der Gemeinsamkeit, über die Stände und die Regionen hinweg. Versehen mit dem Futter der königlichen Sakralität, konnte so eine quasi-imperiale Herrschaft aufgebaut werden.

      Konkret


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