Vier Pfoten und drei Koffer. Helge SobikЧитать онлайн книгу.
noch ein in der Mitte der linken Hälfte angebrachtes Rad zum Festhalten hat, dass man all das nicht einfach sich selbst überlassen kann, sondern auch bei Stillstand überwachen sollte. Und da Hoover in seiner Wahrnehmung die Position nach dem Chef besetzt und jener Chef sich gerade im Tankstellen-Klo eingesperrt hatte, hätte er übernehmen müssen.
Glücklicherweise müssen wir unsere interne Hackordnung nie neu ausfechten. In der Hundspubertät war das anders. Da hat er durchaus versucht sich emporzuarbeiten und die Akzente zumindest ein wenig zu verschieben. Mehr als einmal. Jetzt gilt die Formel: Er darf viel. Er darf sich auch mal etwas herausnehmen. Er darf mich foppen, er darf frech sein und wir sind super Kumpel. Aber er darf nicht alles. Wenn eine klare Ansage kommt, gilt sie. Sofort. Und dann kommt sie von mir, nicht von ihm. Das weiß er und daran hält er sich. Mit einer Ausnahme.
»Bei Fuß« will er sich partout nicht merken. Für diese blödeste aller Anweisungen hat er zu viel Temperament. Ich bleibe inzwischen einfach stehen, wenn die Leine stramm ist, und sage nichts. Weiter geht es erst, wenn er wieder exakt auf meiner Höhe neben mir steht. Er findet das unfassbar nervig und manövriert dann inzwischen meist im Rückwärtsgang in die geforderte Position. Manchmal stöhnt er dabei. Und mehr als einmal hörte ich Passanten sagen: »Huch, guck mal, ein Hund, der rückwärts gehen kann!« Meistens reagiere ich nicht darauf oder lächele kurz. Denn dieser Hund, der rückwärts gehen kann, ist in meiner Wahrnehmung in solchen Momenten eher einer, der noch immer nicht bei Fuß gehen kann. Oder will. Mehrere groß angelegte Feldversuche jedenfalls haben gezeigt: Die Worte versteht er ganz genau und füllt sie auch richtig. Er will nur nicht. Weil ja fünfzehn Meter weiter vorne gerade etwas Spannendes geschehen könnte und er doch besser schon jetzt genau dort aufgehoben wäre.
Was ganz toll ist: Manchmal scheint er zu fragen, ob er etwas darf. Ob das, was er da gerade im Schilde führt, ausnahmsweise okay ist, obwohl es haarscharf an den Bereich des Verbotenen grenzt. Fällt mir beim Essenzubereiten in der Küche etwas Appetitliches herunter, stürzt Hoover herbei und bremst dreißig Zentimeter vor dem Objekt der Begierde abrupt, um mir direkt ins Gesicht zu schauen. Sage ich »Is’ gut«, dann nimmt er sich, was da unten liegt, ob es ein bisschen Hack (irgendwie akzeptabel, etwas fleischig im Geschmack) oder ein Stück Karotte (großartig und mit besonderer Begeisterung aufgesogen) oder eine einzelne Nudel (in der Konsistenz seltsam; wird deshalb zur näheren Untersuchung abtransportiert) ist. Oder wenn er im Übermut einen Gäste-Schuh abtransportieren will, obwohl das illegal ist: Entweder stoppt er mit den Zähnen millimetergenau oberhalb des Schuhs und luschert mich aus den Augenwinkeln an oder er greift ihn und schaut mich wiederum direkt an, um sich unmittelbar vorm Abtransport zu erkundigen, ob das diesmal nicht vielleicht doch klar geht, weil der Besuch das lustig finden könnte. Sage ich »Is’ gut« oder »Dann lauf«, ist die Freude groß und er entschwindet mit lauter dicht hintereinander gereihten kleinen Bocksprüngen. Kommt aus meinem Mund ein lang gezogenes »Neeeiiinnn« oder ist der Blick über den Rand der Lesebrille streng, lässt er ab von seinem Plan. Das klappt zwischen uns ganz wunderbar.
Diesmal gibt es nichts weiter zu regeln. Ich bin zurück, er sitzt auf der Rückbank. Getrunken hatte er gerade, einen kurzen Spaziergang gemacht auch. Also zurück auf die Autobahn und Start frei zur langen Etappe quer durch Frankreich gen Süden. Mit Tempomat und Hörbuch. Und fast niemandem sonst auf der teuren Maut-Piste. Hoover grunzt einmal kräftig, wirft sich der Länge nach auf die Rückbank und schaltet wieder in den Winterschlafmodus. Sein Vorgänger, ebenfalls ein Flat Coated Retriever, brauchte da hinten mehr Auslauf und gewährte ihn sich auch. Von Welpentagen an ließ er sich über die seitliche Stoffbahn der Sitzabhängung fallen und zog es vor, abwechselnd im Fußraum hinter Fahrer- oder Beifahrersitz oder – der allerbeste Platz – auf dem schutzbedürftigen Sitzpolster direkt unter der Abhängung zu campieren, trotz arg in die Länge gezogenen Hunde-Sicherheitsgurts. Er hatte da seine Tricks und Techniken.
Hoovers selbst auferlegte Beschränkung auf die offizielle Liegefläche gab mir die Chance, das Auto für die vielen Wochen umso voller zu laden und auch in den beiden Fußräumen noch Unterlagen, Bücher, originalverpackte Kauknochen und einen Extra-Sack der vertrauten Trockenfuttersorte zu transportieren.
Erst der Geruch meiner Bifi irgendwo knapp südlich von Dijon weckt ihn kurzfristig auf und ein immer schwerer werdender Hundekopf auf meiner Schulter signalisiert, dass davon doch mindestens ein paar Zentimeter schon grundsätzlich vom Hersteller für ihn speziell oder wenigstens für mitreisende Hunde im Allgemeinen vorgesehen sein müssen. Trotzdem esse ich die Mini-Salami alleine auf und reiche ersatzweise einen Kauknochen nach hinten durch. Davon ist jeder Zentimeter bereits ab Werk für Hoover und seinesgleichen gedacht.
Der Mineralwasser-Test
Das Nachbarland zieht in immer gleichem Tempo an uns vorbei und es kommt, wie es kommen sollte: Langsam wird es wärmer, grüner, südlicher. Die Form der Bäume wandelt sich. Auf der Höhe von Lyon und auf vielen Hundert Kilometern danach sind sie plötzlich kleiner und vom Wind geformt, landeinwärts gebogen. Viele sehen aus, als hätte man sie falsch herum eingepflanzt. Mit der Wurzel nach oben. Es sind vom Mistral modellierte Pinien. Neben ihnen wachsen einigermaßen flexible Zypressen, die immer dann kerzengerade dastehen, wenn es mal windstill ist, und sich bei Sturm um sechzig Grad zur Seite biegen können, ohne zu brechen oder irgendwann in dieser Position zu verharren. Die Luft wird milder, es riecht auch schon nach Süden. Und mancherorts reichen die Weinstöcke jetzt bis fast an die Autobahn heran.
Hoover befindet sich weiterhin im Winterschlafmodus, kaum dass der Wagen gleichmäßig rollt. Wann immer eine Autobahngebühr zu bezahlen ist, setzt er sich anfangs kurz auf, weil der Wagen plötzlich steht und die Fensterscheibe an der Maut-Station für einen Moment elektrisch herunterfährt. Beim dritten Mal interessiert ihn das nicht mehr sonderlich. Er hat registriert, dass der Vorgang weder mit Angekommensein noch mit einem tollen Spaziergang zu tun hat. Auch bei den Boxenstopps ist er nicht mehr ganz so euphorisch wie beim ersten Mal, als wollte er lieber erst mal abwarten, ob das nun wirklich das Ziel ist. Dabei ist es genau genommen ja gar nicht schlimm, sich zu früh zu freuen. Eigentlich gilt das grundsätzlich im Leben. Denn das bedeutet nur, dass man sich einmal mehr freut. Jedenfalls so lange die vielen kleinen (Vor-)Freuden nicht mit Enttäuschungen verbunden sind.
Irgendwann sind seine reichlich bemessenen mitgeführten Wasservorräte erschöpft – ausgerechnet auf einem kleinen südfranzösischen Rastplatz ohne Zapfhahn, irgendwann in der Abenddämmerung. Es bleibt nur, Hoover etwas von meinem Mineralwasser in den Trinknapf zu füllen. Mit Kohlensäure. Leider. Und kaum, dass die Zunge mit den ersten Blubberblasen dieses höchst seltsamen und irgendwie angriffslustigen Wassers in Berührung kommt, macht er einen rasanten Satz rückwärts, zur Sicherheit mit allen Vieren gleichzeitig. Und in derselben Sekunde bellt er ein einziges Mal lautstark und tieftönig auf.
Jetzt schaut er aus anderthalb Meter Sicherheitsabstand auf seinen Trinknapf, der aussieht wie immer. Wie das ganze bisherige Hundeleben lang, als das Wasser noch nicht diesen seltsamen Blubb hatte. Er schleicht sich an, duckt sich dabei, schnüffelt hörbar. Und wagt erneut, zum Trinken anzusetzen. Dreimal wiederholt sich das Spiel mit dem Satz rückwärts und dem einzelnen Beller. Im Laufe der Zeit scheint er Spaß an dem Experiment zu finden, steckt die Nase ins Wasser, atmet dabei aus, macht noch mehr Blasen, springt wieder und ruft dabei etwas, das kaum anders klingt als ein menschliches »Huch!« oder »Hach!«. Und am Ende trinkt er doch – zwei große Schlucke, dann macht er wieder diesen Satz und gleich danach noch zwei Sprünge. Und wäre nicht selbst die Laufleine auf acht Meter limitiert, es kämen noch ein paar Sätze hinzu.
Er entscheidet sich für ein Tänzchen, springt auf den Napf zu, bellt, knurrt, schubst das Blech-Behältnis mit der Pfote. Erst einmal, dann immer resoluter. Er haut auf den Rand, springt wieder zurück und mit dem nächsten Satz wirft er die Schale um – um dann versuchsweise aufzulecken, was längst im Sandboden des südfranzösischen Rastplatzes versickert. Was für ein unerwartetes Abenteuer! Aber irgendwie ist es nicht sein Lieblingsgetränk, dieses Blubberblasenwasser. 150 Kilometer müssen wir beide noch ausharren, dann sind wir im Zwischenübernachtungs-Hotel. Mit Wasserhahn, mit Restaurant, mit Garage sogar. Und mit Bett.