Mörderisches Bamberg. Werner RosenzweigЧитать онлайн книгу.
„Wow, das klingt nach echtem Berufsglück, ich beneide dich.“
„Wieso das denn?“, wunderte sich die Polizeibeamtin. „Du stehst doch schon viel länger im Beruf, hast keine Zeit verloren wie ich, immer zielstrebig. Wahrscheinlich bist du auch sehr erfolgreich, ich hab deinen Namen immer wieder unter Artikeln bei uns im Fränkischen Tag gelesen – hab aber zu keinem Zeitpunkt vermutet, dass genau du dahintersteckst, sonst hätte ich mich längst schon mal bei dir gemeldet. Und seit der Schulzeit hast du dich auch kaum verändert – immer noch rank und schlank. Ganz ehrlich: Das ist ein schönes Leben. Was willst du mehr? Bist du eigentlich liiert?“
„Gott behüte, bloß das nicht!“
„Auch schlechte Erfahrungen?“, fragte Tina neugierig nach.
„Gott sei Dank nein. Der Richtige hat sich einfach noch nicht bei mir vorgestellt. Braucht er aber auch nicht so bald, ich bin ganz gern unabhängig.“
„Auch keine lose Beziehung?“
„Auch keine lose Beziehung!“, bestätigte Franziska.
„Und was machst du, wenn dir mal danach ist? Na ja, ich meine … wenn dir mal nach Sex zumute ist?“
Franziska musste lauthals lachen, schüttelte ihre blonde Tina-Turner-Mähne und meinte: „Dann gehe ich in den Mojow-Club, oder ins Agostea, da lernst du immer jemanden kennen.“
„Auch für einen One-Night-Stand?“
„Warum nicht?“
Die jungen Frauen grinsten sich an und rückten dann zur Seite, um dem Kellner Platz zu machen. Der stellte zwei Milchkaffees, eine Obstschnitte und einen beeindruckenden Eisbecher vor den beiden ab und wünschte guten Appetit.
Franziska griff nach ihrer Kuchengabel. „Sag mal, wenn du schon nicht in die Fußstapfen deines Vaters treten wolltest, hat sich dann wenigstens einer von deinen kleinen Brüdern erbarmt?“
„Axel oder Johannes als Anwalt?“ Tina lachte und zog den blauwandigen Kelch mit ihrem Früchteeis näher zu sich heran. „Kannst du dich nicht mehr an sie erinnern, wie faul die zwei damals waren? Null Bock auf gar nichts. Nur Flausen und Fußball im Kopf. Am Ende waren meine Eltern froh, dass sie überhaupt die Mittlere Reife geschafft haben.“ Sie stach beherzt in ihren Eisbecher. „Der Ehrgeiz kam bei den beiden erst viel später. Johannes hat sich dann bei Siemens in Erlangen beworben, für eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Und, was für ein Wunder, er wurde tatsächlich genommen. Heute bereist er als Vertriebler die halbe Welt und verkauft U-Bahnzüge. Anscheinend sehr erfolgreich. Vor zwei Jahren hat er die Liebe seines Lebens geheiratet – wie er sagt. In zwei Monaten wird er Vater.“
„Aber das ist doch schön“, freute sich Franziska. „Und Axel, der hoffnungsvolle Nachwuchsspieler vom FC Bamberg?“
„Ach, der Axel“, Tina verdrehte die Augen. „Der war ja schon immer ein Hitzkopf und ist das auch geblieben. Immer in Bewegung, Stillsitzen ist einfach nicht seine Sache. Mit der Fußballerkarriere ist’s leider nichts geworden, dafür hat er seine ganzen anderen sportlichen Hobbies zum Beruf gemacht. Der tanzt auf allen Hochzeiten: In Staffelstein betreibt er eine Paragliding-Schule, führt Wandergruppen durch die Fränkische Schweiz und bringt Leuten am Walberla bei Schlaifhausen das Klettern bei.“
„Oh, ein echter Naturbursche. Da fliegen die Mädels sicher scharenweise auf ihn“, warf Franziska ein.
„Schon, aber soviel ich weiß gibt es da nichts Festes. Das letzte, was ich von Axel zu diesem Thema gehört habe, ging in etwa so: Schwesterherz, die Weiber rennen mir die Bude ein, warum soll ich da mein Herz in feste Hände geben? Na ja, der Junge sieht schon gut aus, das muss man neidlos zugeben.“
Franziska lachte. „Was meinen die beiden eigentlich dazu, dass aus ihrer Schwester eine große Verbrecherjägerin geworden ist?“
„Ich glaube, sie finden das eigentlich ganz spannend. Nur Johannes wird immer spießiger, seit er verheiratet ist. Der würde mich lieber an einem Schreibtisch sehen, wo das gefährlichste die scharfen Kanten der Papierstapel sind. Tja.“
Einen Moment lang herrschte Schweigen, während Franziska und Tina beide nach ihren Milchkaffees griffen und den ersten Schluck genossen.
„Tina, was ist eigentlich deine Meinung zu dem Fall, den ihr seit gestern zu lösen habt?“, nahm Franziska den Faden wieder auf und gestikulierte mit ihrer Kuchengabel. „Ich meine das tote Mädchen aus der Regnitz?“
„Aha, auf diese Frage hab ich schon gewartet. Da meldet sich die eifrige Journalistin in dir. Du weißt aber, dass ich dir darüber nichts sagen darf.“
„Ja, ich weiß. Ich frage dich auch nicht, um darüber zu schreiben. Mir geht das arme Ding nur ständig durch den Kopf. So jung und schon tot. Ermordet. Was müssen das für Menschen sein, die so eine Tat begehen? Unvorstellbar. Schrecklich. Auch deshalb hab ich vorhin gesagt, dass ich dich beneide. Weißt du, anstatt immer nur von außen drüber zu schreiben, würde ich mich am liebsten selbst auf die Suche machen und den Mörder zur Strecke bringen.“
„Bloß nicht!“, schreckte die Kommissarin zurück. „Das könnte verdammt gefährlich werden. Dafür sind wir zuständig. Mein Chef, der Hagenkötter – du hast ihn auf der Pressekonferenz gesehen, der mit dem Schnauzbart – kriegt den Täter schon zu fassen. Da bin ich mir absolut sicher. Er ist geradlinig, vielleicht ein wenig querköpfig, aber gerecht – und ein verdammt guter Ermittler.“
„Ich meine ja nur … Oh, Mist!“ Franziska hatte einen Blick auf ihre Uhr geworfen. „Wie die Zeit dahinrast! Um 18 Uhr will mein Chef meinen Bericht über euren neuen Fall auf dem Tisch haben und ich hab noch keine einzige Zeile geschrieben. Ich muss, Tina. Treffen wir uns bald mal wieder? Ich hab mich so gefreut, dass wir uns nach so langer Zeit wieder begegnet sind. – Ich übernehme die Rechnung“, setzte sie hinzu, als Tina in ihre Handtasche greifen wollte und war kurz darauf winkend verschwunden.
Wer ist die Tote in der Regnitz?, hämmerte sie zuhause in die Tastatur ihres Laptops, nachdem sie am Hollergraben angekommen war. Vor ihrem geistigen Auge erschien der sich sachte drehende Leichnam des toten Mädchens, durch einen Wasserwirbel an der Oberfläche der Regnitz gehalten. Um viertel vor sechs drückte sie auf Senden und schickte ihren Beitrag an den Fatzke aus Wolfenbüttel.
Orientierungslos
Montag, 28. August
Bischof Carlo Eposito ging es immer noch mehr als schlecht. Die tote Johanna war in seinen Gedanken, in seiner ganzen Verzweiflung. Niemand konnte ihm die Last abnehmen, die große Schuld, die er auf sich geladen hatte. Wann immer es ihm möglich war, betete er für das Seelenheil der von ihm Getöteten und schloss ihre trauernden Eltern in seine Gebete mit ein. Er wusste noch nicht, wie das Ganze ausgehen würde.
Sein langjähriger Bekannter und guter Freund von Sensheim hatte quasi die Regie übernommen vor gut einer Woche: „Lass mich mal machen … ich regle das schon, du kannst nichts dafür, ein schrecklicher Unfall …“ Dann hatte man ihn zu seinem Wagen geführt, wo sich Giuseppe seiner angenommen hatte. Der gute, treue Giuseppe. „Fahren Sie den Bischof in sein Hotel und bringen Sie ihn zu Bett“, hatte von Sensheim seinen Fahrer auf Italienisch angewiesen. „Kümmern Sie sich um ihn.“
Eposito hatte bis um die Mittagszeit geschlafen. Dann waren die Geschehnisse der letzten Nacht in sein Gedächtnis zurückgekrochen. Fetzenweise. Er konnte sich seitdem nicht richtig konzentrieren. Je angestrengter und häufiger er nachdachte, desto öfter fiel er in ein Tal der Erschöpfung und hätte sich am liebsten nur ins Bett gelegt. Heute, gleich nach dem Frühstück, hatte von Sensheim ihn am Hotel abgeholt. „Heute ist dein letzter Tag in Bamberg, Carlo. Morgen um diese Zeit befindest du dich bereits wieder auf der Rückfahrt nach Rom. Alles wird gut. Gott wird dir vergeben, schließlich hast du in seinem Auftrag gehandelt. Lass uns diesen letzten Tag gemeinsam in Bamberg verbringen. Zeit genug, heute noch unsere schönen Bamberger Kirchen zu bewundern. Das hast du dir doch gewünscht. Das lenkt dich hoffentlich