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Mörderisches Bamberg. Werner RosenzweigЧитать онлайн книгу.

Mörderisches Bamberg - Werner Rosenzweig


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alle bekannten Kirchen, die er sehen wollte, erzählte von deren Geschichte und den vielen kostbaren Kunstwerken, die sie in ihren Mauern bargen. Carlo Eposito lauschte zunächst den Worten seines Freundes, aber dann, als sie aus der St. Martinskirche traten, fiel ihm der erste dieser verteufelten Kästen auf, der unmittelbar neben dem Kircheneingang platziert war. Ein Mann stand davor, wühlte in seinen Hosentaschen nach Münzen und warf diese in ein kleines Plastikkästchen, bevor er sich eine Zeitung entnahm. Tod in der Regnitz, Polizei tritt immer noch auf der Stelle. Fette Buchstaben prangten vom Titelblatt. Eposito sprach zwar kaum Deutsch, aber die Worte Regnitz und Polizei brachte er schnell zusammen. Der Tod des Mädchens beherrschte die Schlagzeilen.

      „Gehen wir zur Oberen Brücke“, vernahm er die Worte seines Freundes und Stadtführers wie aus der Ferne. „Das hier zu unserer Linken ist übrigens der Neptunbrunnen. Wir Bamberger nennen ihn Gabelmann, wegen des Dreizacks, den Neptun in der Hand hält.“ Eposito nahm den Brunnen gar nicht richtig wahr. Dafür starrte er auf den nächsten Zeitungskasten, unter dessen Plexiglasscheibe er eine weitere Schlagzeile erkannte. Die Worte Tod und Regnitz verstand er. Diese verdammte Stadt schien voll von diesen Zeitungskästen zu sein. Drüben, jenseits der Straße Obstmarkt standen schon wieder zwei von diesen Dingern.

      „Das Viertel hier hat sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts stark verändert“, hörte er von Sensheim erzählen, „vor allem nach den Luftangriffen vom 22. Februar 1945.“ Doch Eposito war auch die Geschichte dieses Bamberger Viertels egal. Am liebsten hätte er sich an Ort und Stelle in Luft aufgelöst. Er fühlte die Blicke der Menschen, die an ihm vorbeigingen. Sie schienen ihn anzuklagen und zu fragen: Warum? Warum hast du sie erwürgt? Was hat sie dir angetan?

      Nichts! Er wollte ihr doch nur helfen, sie von ihrer Besessenheit befreien. Er hatte doch nichts falsch gemacht?

       „Ich beschwöre dich, Satan, Feind des menschlichen Heils, erkenne die Gerechtigkeit und Güte Gottes, des Vaters, der deinen Hochmut und deinen Neid durch gerechtes Urteil verdammt hat. Weiche von dieser Dienerin Gottes, die der Herr nach seinem Bild geschaffen, mit seinen Gaben beschenkt und als Tochter seiner Barmherzigkeit angenommen hat.“

      Sein Gebet war innbrünstig gewesen und das Mädchen war sofort in Trance verfallen. Dann hatte er die lateinischen Gebete aus dem Rituale Romanum gesprochen, hatte der Besessenen das Ende seiner grünen Stola auf die Brust gelegt und sie mit Weihwasser bespritzt.

      „Fugite partes adversae – Flieht, ihr diabolischen Kräfte“, hatte er gebetet und dem Mädchen mit seinem Daumen und dem Katechumöl das Kreuz auf die Stirn gezeichnet. Dann, ganz urplötzlich, ohne Vorwarnung, war es geschehen: Das Mädchen war von einer Sekunde auf die andere aus der Trance erwacht und in rasende Zuckungen verfallen, hatte sich wie eine Schlange gewunden und war ihm mit ihren spitzen Fingernägeln in den Hals gefahren. Er hatte ihren heißen Atem gespürt, der nach dem Leibhaftigen gerochen hatte. Der Satan, der in diesen zarten Körper gefahren war, hatte sich mit unheimlichen Kräften gegen seine Vertreibung gewehrt.

      Dann waren der Kehle des Mädchens diese gutturalen Laute entfahren, dieses Gebrüll, das aus dem Grund der Hölle zu kommen schien. Sie waren immer lauter geworden, das Mädchen hatte ihn angefaucht, nicht mehr aufgehört. Der Satan hatte ihn persönlich angegriffen, ihn, den Gesandten Gottes, hatte ihn von seinem Vorhaben abbringen wollen, das Böse aus dem Körper des Kindes zu vertreiben.

      Hätte er sich bloß nicht auf diese Sache eingelassen.

      Er war in Panik geraten. Böse Mächte hatten gedroht über ihn zu kommen. Er hatte sich wehren müssen, hatte Satan eine Lehre erteilen müssen, hatte den Heiligen Geist in seiner Not angerufen. Gemeinsam würden sie den Teufel besiegen! Dann, tatsächlich, war die Kraft des Heiligen Geistes über ihn gekommen und hatte ihm die Hände an den dünnen, nackten Hals des sich unter ihm windenden Beelzebubs geführt.

      Er hatte zugegriffen, erst mit einer, dann mit beiden Händen. Dann hatte er gedrückt. Fest. So fest er konnte. Luzifer hatte sich vehement gewehrt. Doch er hatte nicht locker gelassen und plötzlich hatte er gemerkt, wie die Kräfte des Satans schwanden. Der Gestank der Hölle hatte sich verzogen.

      Als er die Augen geöffnet hatte, war vor ihm das Kind gelegen. Es hatte sich nicht mehr gerührt, war nur mehr eine leere Hülle gewesen.

      Er, Eposito, hatte über das Böse gesiegt – doch das Kind war tot.

      Immer wieder spielten sich diese Szenen vor seinem geistigen Auge ab, und zwischenzeitlich fragte er sich, ob nicht doch der Teufel diese Schlacht gewonnen hatte. Er hatte ihn zum Morden verführt, hatte ihn benutzt und zum Narren gehalten. Auch sein langjähriger Freund, Maria Ludwig von Sensheim, konnte ihm nicht mehr helfen. Als er ihn von dem Mädchen wegriss, war es bereits zu spät.

      *

      Der Kurienbischof stand in seinem Zimmer im Hotel Brudermühle. Er war gerade vom Abendessen zurückgekehrt. Die mörderische Hitze, die tagsüber über der Stadt gelegen hatte, machte ihm gesundheitlich zu schaffen. Er hatte von Sensheim gebeten, die Besichtigungstour früher zu beenden, als ursprünglich geplant.

      Nun blickte er von seinem Hotelzimmer geistesabwesend auf das Alte Rathaus hinüber, das zum Greifen nahe war. Noch immer wälzten sich die Touristenströme über die Obere Brücke. Unter seinem Fenster rauschten die Wasser der Regnitz und die Strömung des Flusses schien eine Todesmelodie zu komponieren, die drohte, seinen Kopf und seine Gedanken platzen zu lassen. „Raus, du musst hier raus!“, brüllte ihm eine innere Stimme zu.

      Fluchtartig verließ er sein Zimmer und fand sich Minuten später etwas orientierungslos auf der Unteren Mühlbrücke wieder. Er starrte erneut hinüber zum Alten Rathaus. Es begann zu dämmern, die Sonne stand bereits tief im Westen und die Hitze verlor allmählich ihre Kraft.

      Regungslos stand er da, der schlaksige alte Mann, und wusste nicht so recht wohin. Die trüben Augen in seinem langen, schmalen Gesicht waren gegen den Himmel gerichtet, als ob er ein Zeichen Gottes erwartete. Doch Gott meldete sich nicht, ließ ihn allein mit seinen Ängsten. Seine gewaltigen Ohrmuscheln waren auf Empfang geschaltet, doch alles, was sie wahrnahmen, war das ständige Rauschen der Flussströmung. Die Falten, die sich beiderseits seiner Nasenflügel und des Mundes nach unten zogen, hatten sich in den letzten Tagen noch tiefer in sein Gesicht gegraben. Ein aufmerksamer Betrachter wäre nicht umhingekommen, ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit dem amtierenden Papst zu attestieren, wenn da nicht des Bischofs Haupt gewesen wäre – haarlos wie ein Kinderpopo.

      Dann kam plötzlich Bewegung in seine hagere Gestalt. Schritt für Schritt legte er zurück, ohne darauf zu achten, wohin er ging. Er folgte dem Fluss stromaufwärts. Was hatte er nur falsch gemacht? Pater Amorth fiel ihm ein, sein ehemaliger Lehrmeister für Exorzismen, der letztes Jahr in hohem Alter verstorben war, sowie der emeritierte deutsche Papst Benedikt XVI. Ein kluger Mann, nicht nur in kirchlichen Angelegenheiten. Im Jahr 2009 soll er mitten auf dem Petersplatz zwei vom Teufel besessene Männer, Giovanni und Marco, vom Bösen befreit haben. Völlig irrsinnig sollen sie vorher ihre Köpfe auf das Pflaster des Platzes gestoßen haben und wie ein Peitschenhieb soll es die beiden getroffen haben, als Benedikt XVI. mit seinem Segen den Kampf gegen Satan gewonnen und die bösen Mächte vertrieben hatte. Wenn er wieder zurück in Rom war, musste er, Eposito, Benedikt unbedingt an seinem Wohnsitz, im Kloster Mater Ecclesiae, besuchen, musste sich den Rat dieses weisen Mannes einholen und ihm im Rahmen des heiligen Sakraments der Beichte erzählen, was sich in Bamberg ereignet hatte.

      Er fasste wieder Mut. Ein leichtes Lächeln huschte für einen Moment über seinen Mund und seine trüben Augen versprühten wieder so etwas wie einen Funken Hoffnung.

      Während er seinen Gedanken nachgehangen war, hatte Eposito nicht auf seinen Weg geachtet. Nun sah er sich um. Er war ständig flussaufwärts gegangen, an alten, verfallenen Mühlen vorbeigekommen, hatte diverse kleine Brücken überquert und las jetzt Mühlwörth von einem Straßenschild ab Das sagte ihm nichts. Links von ihm schloss eine lange Häuserzeile die schmale Teerstraße ab, rechts von ihm rauschte die schnell fließende Regnitz vorbei. Dann sah er, drüben auf der anderen Flussseite, ein Haus, das er dieser Tage schon einmal besucht hatte. War das nicht die Villa Concordia, heute Sitz des Internationalen Künstlerhauses? Maria


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