Die Krieger des alten Japan. Roland HabersetzerЧитать онлайн книгу.
der Minamoto, das der Wind flatternd gegen seinen Rücken schlug, war blutgetränkt. In leichtem Trab ritt er mit seinem Fuchs den Strand entlang, in der Hoffnung, den Tag mit einem wertvollen Fang beschließen zu können. Da erblickte er einen gegnerischen Reiter, dessen Ausrüstung schön gearbeitet war. Kein Zweifel, es mußte sich um einen Anführer der Taira handeln. Dieser hatte sein Schlachtroß bereits ins Wasser getrieben, um mit ihm eines der in der Bucht ankernden Schiffe zu erreichen. Kumagai galoppierte unverzüglich in seine Richtung. Sobald er in Rufweite des Flüchtenden gekommen war, rief er: »He, du da unten! Komm zurück, wenn du kein Feigling bist! Wage es, um dein Leben zu kämpfen!«
Der Taira-Reiter wendete unverzüglich sein Pferd und kam zum Ufer zurück. Wie er aus den Wogen auftauchte, zeigte sich eine schlanke Silhouette, gehüllt in eine violette Rüstung, die mit schwarzem Leder geschnürt war und in der sich Lichtreflexe spiegelten. Auf seinem Rücken, hinter dem Helm mit dem roten Pfeilschutz, der auf seine Schultern fiel, trug er einen Bogen und Pfeile mit schwarzen Federn. Zweifelsohne ein Glücksgriff, sagte sich Kumagai. Dennoch, als er den langsam näherkommenden Gegner genauer musterte, beschlich ihn ein ungutes Gefühl, dessen Ursache ihm unklar war. Als der Reiter das Festland erreicht hatte, sprang er von seinem Pferd, legte seinen Köcher ab und zog sein Schwert. Auch Kumagai ließ sich rasch aus dem Sattel gleiten und kreuzte unverzüglich mit dem Gegner die Klinge. Schließlich rollten sie aneinandergeklammert im Sand, wobei Kumagai schnell die Oberhand gewann. Sein Gegner lag reglos unter seinem schweren Körper, und Kumagai nahm ihm den Helm ab, um ihm den Kopf abzutrennen. Unverhofft blickte er in das ruhige Antlitz eines Jünglings von 16 Jahren. Er dachte an seinen eigenen Sohn, der das gleiche Alter hatte und auch an der Schlacht teilgenommen hatte. »Dein Name«, sagte er, »nenn mir deinen Namen, und ich verschone dich.«
»Das spielt keine Rolle. Aber wisse, daß ich kein unwürdiger Gegner für dich bin. Nimm meinen Kopf und zeige ihn den Minamoto. Es wird welche geben, die mich erkennen werden.«
Verwirrt zögerte Kumagai. Doch um sie herum wimmelte es von Minamoto-Rittern, und wenn er den jungen Taira nicht tötete, würde es einer von ihnen tun. Er faßte einen Entschluß. »Wenn du schon sterben mußt, so soll es von meiner Hand geschehen. Ich werde dafür sorgen, daß für dich gebetet wird, damit du mit einem besseren Karma wiedergeboren wirst.«
»Dann laß es geschehen.«
Ein trüber Schleier legte sich für einen Moment vor die Augen Kumagais, als er sein Schwert mit zitternder Hand hob. Er mußte all die Selbstbeherrschung eines alten Kriegers aufbringen, um sich zu zwingen, die Klinge auf das Genick des Jünglings herabfallen zu lassen. Dieser starb, ohne auch nur die leiseste Geste zu seiner Verteidigung gemacht zu haben.
Als er das abgetrennte Haupt in ein Stück Tuch wickelte, entdeckte er eine Flöte, die im Gürtel des Enthaupteten steckte. Und Kumagai brach in Tränen aus. Dieser Jüngling war es also gewesen, der in der Nacht vor der Schlacht auf so wunderbare Weise Flöte gespielt hatte. Er erinnerte sich an die leichten Töne, die aus dem schlafenden Lager aufgestiegen waren und die ihn einen Moment lang in Träumerei versetzt hatten. Kumagai Naozane verfluchte sich dafür, den Jüngling herausgefordert zu haben, wo er doch bereits auf dem besten Wege gewesen war, das rettende Schiff zu erreichen.
Es war niemand anders als Yoshitsune, der ihm den Namen seines jungen Opfers nennen konnte. »Das ist Atsumori, ein Enkel von Taira Tadamori.« Und gedankenverloren streichelte Yoshitsune die Flöte, von der er wußte, daß sie direkt vom ehemaligen Kaiser Toba stammte, und er erinnerte sich an seine eigene Kindheit auf dem Berg Kurama.
Von diesem Tag an war Kumagai Naozane ein anderer Mensch. Er trug Trauerkleidung für Taira Atsumori. Schließlich wurde er unter dem Namen Rensho Mönch, um den Weg des Friedens zu suchen.
Die Schlacht von Ichi-no-Tani endete für die Taira in einem Desaster. Einer der Söhne von Kiyomori, Taira Tomomori, derselbe, der 1180 in der Schlacht am Fluß Uji über Minamoto Yorimasa den Sieg errungen hatte, war der Oberbefehlshaber der Stellung gewesen. Seine Bogenschützen hatten so lange wie möglich dem direkten Angriff der Truppen von Noriyori standgehalten, mußten sich aber schließlich auch auf die Schiffe zurückziehen. Tomomori war der letzte der Taira, der das Festland verließ. Es gelang ihm nicht, sein Pferd mit aufs Schiff zu nehmen. Aber anstatt den prächtigen Hengst zu töten, damit er dem Feind nicht in die Hände fiele, ließ er ihn zum Strand zurückkehren. Die Minamoto brachten das Tier in die kaiserlichen Pferdeställe, denn es war ein Schlachtroß von hohem Wert.
Der Überfall auf Yashima
Die überlebenden Taira flohen auf die Insel Shikoku. Den Kindkaiser Antoku nahmen sie mit sich. Dies war für die siegreichen Minamoto der einzige Makel der Schlacht von Ichi-no-Tani, aber in den Augen Yoritomos war dies eher nebensächlich. Zunächst ließ er den Feldzug unterbrechen, um die Kräfte seiner Truppen wiederherzustellen. Außerdem trachtete er danach, die für seinen Geschmack allzu brillant begonnene Laufbahn seines Halbbruders so schnell wie möglich enden zu lassen. Er mißgönnte ihm seinen Erfolg.
Yoshitsune hatte bei Ichi-no-Tani bemerkenswertes taktisches Gespür, Kühnheit und ausgeprägtes Entscheidungsvermögen an den Tag gelegt. Er war ein kalkuliertes Wagnis eingegangen und hatte gewonnen. Sein Wagemut gefiel aber nicht allen. Selbst einige seiner Offiziere machten vor Yoritomo keinen Hehl aus ihren Vorbehalten gegenüber Yoshitsune.
Yoritomo war nun das Oberhaupt des wiederhergestellten Klans. Sein Hauptquartier befand sich in Kamakura. Bei aller Eifersucht auf den Erfolg seines jüngeren Bruders konnte er es ihm natürlich nicht zum Vorwurf machen, auf spektakuläre Weise das Lager des Feindes eingenommen zu haben. So zügelte er seinen Groll und beschloß, zunächst einmal nichts gegen die wachsende Popularität Yoshitsunes zu unternehmen, auch wenn diese seinen eigenen Ambitionen zuwiderlief. Man hatte Yoshitsune einen triumphalen Empfang vor den Toren von Kyôto bereitet. Der ehemalige Kaiser Go-Shirakawa verlieh ihm den Titel eines Offiziers der kaiserlichen Polizei, verbunden mit dem Privileg des Zugangs zur Kammer der Höflinge des Kaisers. Das war ganz und gar nicht im Interesse Yoritomos. Dieser wollte seine Macht auf einer neuartigen Hierarchie gründen, deren Titel er allein verlieh. Er fand die Ehre, die der Ex-Kaiser seinem Bruder zuteil werden ließ, übertrieben, und er warf Yoshitsune, der schließlich von geringerer Geburt war als er selbst, vor, die Ehrungen angenommen zu haben, ohne ihn zuvor um seine Meinung dazu gefragt zu haben. Yoshitsune war auf dem besten Wege, zu einer Gefahr für die neue Ordnung, von der Yoritomo träumte, zu werden. In jedem Fall war er ein ernstzunehmender Konkurrent. Denn es war denkbar, daß das Volk und auch die Samurai dem jüngeren Bruder den Vorzug geben könnten, wenn es darum ging, wer die Macht ausüben sollte. Somit war es eher Furcht und nicht, wie häufig behauptet wird, Haß, welche Yoritomos Handlungen gegen den jungen Helden antrieb.
Zunächst beraubte er Yoshitsune der Früchte seines Erfolges im Kampf gegen die Taira, indem er seinen anderen Halbbruder, Noriyori, der sich ihm gegenüber liebedienerischer verhielt, zum Oberbefehlshaber der Minamoto-Truppen ernannte. Zudem nötigte er den darüber verständlicherweise verärgerten Yoshitsune, mehrere Monate lang tatenlos in der Hauptstadt zuzubringen. Doch bereits zu Beginn des darauffolgenden Jahres wurden die Feldzüge gegen die Taira wiederaufgenommen, und erneut gelang es Yoshitsune, sich im Kampf mit Ruhm zu bedecken, während Noriyori mit seinen wenig motivierten Truppen kaum Erfolge vorzuweisen hatte. Doch diesmal hatte Yoritomo dafür gesorgt, daß Kajiwara-no-Kagetoki, einer seiner treuesten Gefolgsleute, sich Yoshitsune anschloß, um ihn zu beobachten und über seine Taten Bericht zu erstatten.
Nach ihrer Niederlage bei Ichi-no-Tani hatten die Taira ihr neues Hauptlager in Yashima, auf der Insel Shikoku, eingerichtet. Zwar waren die Taira auf dem Land besiegt worden, aber auf dem Meer hatten sie ihre Vorherrschaft bewahren können. Sie waren keineswegs gewillt, die Macht aufzugeben, und so hatten sie sogar am Fuße des Yashima-Gebirges einen Palast errichtet, wo der 7jährige Antoku residierte, der trotz seiner jungen Jahre noch immer als offizieller Kaiser galt.
Die Aussicht, mit den Taira auf deren Terrain, dem Meer, konfrontiert zu werden, schreckte die Minamoto-Samurai, die sich vor allem als gute Reiter auszeichneten und deren bevorzugtes Gelände die Berge waren. Nichtsdestotrotz wurde an der Küste von Watanabe, auf der Shikoku gegenüberliegenden Seite der Inlandsee, eine Flottille