Die Krieger des alten Japan. Roland HabersetzerЧитать онлайн книгу.
Benkei noch neun weitere Krieger befanden, von einer Streitmacht von nicht weniger als 20 000 Kämpfern umzingelt. Die Tatsache, daß er seinen Feinden offenbar so viel Furcht einflößte, brachte ihn fast zum Lachen. Aber er besann sich und begriff, daß die Zeit gekommen war, sich auf den Tod vorzubereiten. Ein letztes Mal versammelte er seine tapferen Männer um sich, bevor sie sich in den Kampf stürzten. Die Gewißheit ihres unmittelbar bevorstehenden Todes verzehnfachte ihre Kräfte, und sie beflügelte der Wille, so viele Verräter wie nur möglich mit in den Tod zu nehmen. Keiner ihrer Schläge verfehlte sein Ziel, und bald schon häuften sich die Leichen ihrer Gegner um sie herum. Die Leute von Fujiwara Yasuhira erkannten, daß sie im Nahkampf diese Gegner nicht besiegen würden und beschlossen, sie aus sicherer Entfernung mit ihren Pfeilen zu töten. Yoshitsune und Benkei fanden sich plötzlich allein auf dem Schlachtfeld wieder. Yoshitsune ergriff die Gelegenheit, seinen letzten Getreuen zu bitten, dafür zu sorgen, daß er sich in ihr kleines Haus zurückziehen könne, um dort in aller Würde seinen rituellen seppuku begehen zu können. Diese Anweisung bedeutete zugleich das Lebewohl des Meisters gegenüber seinem treuen Diener. Die beiden Helden wollten sich die rührselige Banalität irgendwelcher letzter Worte ersparen. Sie blickten einander ein letztes Mal mit größter Intensität in die Augen, und sie begriffen, daß sie am Ende ihres Weges angelangt waren. Unwiderruflich.
Benkei stand nun allein den lärmenden Gegnern gegenüber. Noch einmal verwandelte er sich in einen wahren Dämon und hieb mit naginata und katana auf alles, was sich in seiner Reichweite befand, ein, auf Menschen und Pferde. Seine Rüstung war von Pfeilen übersät, und etliche Pfeile hatten sie bereits durchschlagen, doch während er den Hieben der Gegner auswich und zugleich selbst den Tod verbreitete, schien er unverwundbar zu sein. Es war ein wahrer Todestanz. Der Kreis um ihn wurde enger, aber niemand wagte, sich ihm weiter zu nähern. Tatsächlich war Benkei jedoch bereits stehend gestorben, auf seine Lanze gestützt. Doch die Furcht ließ die Reiter wie versteinert auf den Riesen starren. Es herrschte eine große Stille. Endlich versetzte einer von ihnen sein Pferd in Trab und ritt an Benkei vorüber, wobei er ihn seitlich berührte. Benkei schwankte leicht und stürzte dann, sich durch den Impuls des Stoßes um die eigene Achse drehend, zu Boden. Das laute Scheppern der Rüstung durchbrach die Stille. Nach einem letzten ungläubigen Zögern näherten sich die Krieger, um ihm den Kopf abzutrennen.
Unterdessen hatte Yoshitsune in seinem Haus, unterstützt durch den Samurai Kanefusa, Selbstmord begangen. Kanefusa setzte daraufhin das Haus in Brand und stürzte sich in die Flammen. Es gelang den Gegnern jedoch, den Körper Yoshitsunes aus den Flammen zu retten. Man enthauptete seinen Leichnam und legte seinen Kopf in ein mit Reisschnaps gefülltes Gefäß, um ihn Yoritomo zu schicken.
Um den Tod Yoshitsunes ranken sich verschiedene Legenden. So wird behauptet, daß das Haupt, das nach Kamakura geschickt wurde, nicht Yoshitsunes gewesen sei und daß, als das Gefäß Yoritomo erreichte, der Zustand des Kopfes es nicht mehr erlaubte, ihn eindeutig zu identifizieren. Andere Legenden erzählen davon, daß es Yoshitsune und Benkei in Wahrheit noch einmal gelungen sei, zu entkommen und daß Yoshitsune später unter dem Namen Gikyô-dai-myôjin König der Ainu auf der großen Insel Ezo (Hokkaidô) geworden sei. Selbst eine Geschichte, die besagte, daß er nach China entkommen sei, wo niemand geringeres als der berühmte Dschingis Khan, der »Blaue Wolf«, aus ihm geworden sei, wurde erzählt.
Der Verrat blieb auch dem Verräter Fujiwara Yasuhira nicht erspart. Yoritomo, der natürlich nicht einen Moment daran gedacht hatte, dem neuen Lehnsherren von Mutsu seine Unabhängigkeit zu lassen, entsandte eine starke Armee gegen ihn. Fujiwaras Truppen wurden geschlagen. Er selbst versuchte nach Ezo entkommen, doch einer seiner eigenen Offiziere ermordete ihn.
Minamoto-no-Yoritomo. Seidenmalerei aus dem 12. Jahrhundert.
Auch die schöne Shizuka wurde verraten und nach Kamakura ausgeliefert, gemeinsam mit dem Sohn Yoshitsunes, den sie zur Welt gebracht hatte. Die Häscher Yoritomos brachten das Kind unverzüglich um, indem sie es gegen die Klippen der Bucht von Yuigahama schmetterten.
Shizuka erwies sich als würdige Frau eines Samurai. Man zwang sie, die eine hervorragende Tänzerin war, in Gegenwart Yoritomos und anderer Edler im Tempel des Kriegsgottes Hachiman zu tanzen. Sie nutzte die Gelegenheit zu einem langen Klagelied über ihre Liebe zu Yoshitsune. Doch trotz dieser Beleidigung blieb sie verschont, da Yoritomos Frau sich für sie einsetzte. Sie starb ein Jahr später, nachdem sie sich von der Welt zurückgezogen hatte. Das übergroße Unglück hatte ihr das Herz gebrochen.
Yoritomo, dem Sieger, gelang es, das Land zu vereinigen und seinen Vorstellungen gemäß zu zentralisieren. Im Jahre 1192 nahm er in Kamakura den Titel Seii Taishôgun, »Generalissimus gegen die Barbaren«, an. Der Gründer des Bakufu42, ein kaltherziger, berechnender und politisch denkender Mensch, war vor nichts zurückgeschreckt, um die höchste Macht im Lande zu erlangen. Wie Bauern auf dem Schachbrett hatte er jedermann gegeneinander ausgespielt. Es heißt jedoch, daß seine Gefühlsarmut dazu führte, daß er von Alpträumen heimgesucht wurde. Im Jahre 1199, im Alter von 53 Jahren, stürzte er vom Pferd und starb an den Folgen seiner Verletzungen. Man raunte sich zu, daß das Pferd des übermächtigen Shôguns vor der plötzlichen Erscheinung des Geistes des schmachvoll verratenen jüngeren Bruders gescheut habe, und daß dies eine letzte Geste Yoshitsunes und Benkeis aus dem Jenseits gewesen sei.
Der junge Minamoto-no-Yoshitsune und sein ergebener Diener, der riesenhafte Kriegermönch Benkei, sind aus dem Epos über die ersten Samurai noch heute die beliebtesten Helden. Niemand verkörperte das Starke und das Reine dieser Krieger so wie sie. Ihr tragisches Epos ist unserem Rolandslied nicht unähnlich. Wie durch einen romantischen Nebelschleier hindurch dringt aus ihrer Geschichte das Schöne und das Große, aber auch das Anrührende zu uns, die Tugenden des alten bushidô in ihrer reinsten Form. Yoshitsune war intelligent und ungestüm, von Idealen beseelt. Er vereinte die Stärke des Kämpfers und die Zerbrechlichkeit des aufrechten Mannes, der am Ende von widrigem Schicksal zu Boden geworfen wird. Yoshitsune zählte erst 31 Jahre, als er traurig und schicksalsergeben starb. Aber sein kurzes Leben war intensiv und erfüllt, geprägt von klarer Bestimmung, flüchtig und schön wie die Kirschblüte. Yoshitsune und Benkei erlangten durch ihren beispielhaften Tod unvergänglichen Ruhm. Ihre Taten sind häufiger Gegenstand von Märchen, Gedichten, volkstümlichen Erzählungen, nô- und kabuki-Theaterstücken oder auch von Holzschnitten, als die jedes anderen Helden der japanischen Geschichte.
»Sieben Leben, um dem Kaiser zu dienen.«
Die Loyalität des Kusunoki Masashige
Ein Baum im Süden
Im Japan des anbrechenden 14. Jahrhunderts standen sich zwei unversöhnliche Mächte gegenüber, die des Shôguns Hôjô Takatoki, der in Kamakura ein ausschweifendes, luxuriöses Leben führte, und die des Kaisers Go-Daigo. Hôjô Takatoki entstammte der Familie der Gemahlin des Minamoto-no-Yoritomo. Ihm mangelte es vollkommen an jener Integrität, die dem Klan der Minamoto stets zu eigen gewesen war. Auf seiner Seite stand die Realität der Macht, doch diese Macht war nicht mehr unerschütterlich. Die Kriegerkaste war immer weniger gewillt, die wuchernde und allgegenwärtige Korruption und den absoluten Autoritätsanspruch des Shôgunats hinzunehmen. Dies galt um so mehr, als der letzte Sieg über die Mongolen, die am Ende des 13. Jahrhunderts versucht hatten, das Land zu erobern, sich für sie nicht in Form von Ländereien oder Reichtum ausgezahlt hatte.
Die Autorität des Kaisers war durch die mächtige Kriegerkaste (buke) zur Bedeutungslosigkeit degradiert worden. Natürlich wurden dem Tennô nach wie vor alle Zeichen der äußerlichen Ehrerbietung dargebracht, aber alle waren sich über die tatsächlichen Machtverhältnisse im Klaren. Seit den Zeiten der Fujiwara waren die Kaiser durch die Kriegerkaste nach Gutdünken eingesetzt, gestürzt und manipuliert worden. Die Aristokraten des Hofes fühlten sich zunehmend an den Rand gedrängt, was ihr Ehrgefühl in hohem Maße verletzte. Doch da sie über keine eigenen Militärkräfte verfügten, mußten sie sich ihrem Geschick ergeben. Mit dem Tode des Kaisers Go-Saga im Jahre 1272 hatten sich die Verhältnisse noch