Der verborgene Dämon. Detlef AmendeЧитать онлайн книгу.
würde. Das klappte prima und so setzte unser Politiklehrer, den ich wegen seiner väterlichen Art und seiner verständlichen Erläuterungen gern mochte, in den darauf folgenden Unterrichtsstunden genau bei diesen Inhalten fort. Er berichtete, dass dieser Kampf ums Wasser und die mit ihm verbundene Kriegsgefahr der anderen Weltmacht China nicht entgangen ist und Peking dazu veranlasste, seine Militärausgaben kurzerhand zu verdoppeln – was vor der Weltöffentlichkeit ganz unumwunden zugegeben wurde. Was er auch noch erwähnte: Seiner Theorie zufolge greift der Mensch in die Natur ein, das ruft eine Wechselwirkung natürlicher Prozesse hervor und deren Folgen wiederum beeinflussen dann das Handeln Dritter. Er bezeichnete dies als einen „kybernetischen Zusammenhang“. Das fand ich äußerst spannend. Er kehrte jedoch gleich wieder zum ursprünglichen Thema zurück und erläuterte, wie sich im Reich der Mitte mit der Aufrüstung auch die chinesische Raumfahrt weiter entwickelte. Dies ließ befürchten, dass – wie auch immer geartete – Weltraumtechnologie ebenfalls für militärische Zwecke genutzt werden würde. Von Experten war dieser Verdacht schon seit einer merkwürdigen diplomatischen Irritation diskutiert worden, über die der Politiklehrer uns in der nächsten Unterrichtsstunde einen Zeitungsartikel mitbrachte, den ich voller Wissbegier unter die Lupe nahm. Darin wurde von einem Fall berichtet, der sich bereits drei Jahre zuvor ereignet hatte. Unser Lehrer erklärte noch einmal die Vorgeschichte. Einige kleinere, aber brisante Pressemeldungen, die zunächst lanciert, jedoch sofort wieder dementiert worden waren, hatten zwar so gut wie keine öffentliche Beachtung gefunden, waren jedoch von einigen Regierungen in Europa sehr wohl mit Besorgnis registriert worden. In diesen Meldungen ist von einem eigenartigen Vorgang die Rede gewesen.
Was wurde aus R. K. und J. D.?
Aus Guizhou, einer der ärmsten Provinzen Chinas im Südwesten des Landes, berichteten Internet-Blogger, dass unter Reisbauern angeblich Paniken ausgebrochen waren. Zwei Journalisten R. K. und J. D., die sich auf der Suche nach möglichen Menschenrechtsverletzungen zu dieser Zeit in China aufhielten, sind daraufhin inkognito in jene Provinz gereist, weil sie Revolten gegen die örtliche Führung vermuteten und eventuelle Gegenmaßnahmen des Staates ans Tageslicht zu bringen gedachten. Als sie vor Ort eintrafen, müssen Reisbauern völlig verängstigt in ihren Häusern gesessen und wirres Zeug von Außerirdischen gefaselt haben. Die beiden beschlossen trotz der Gefahr, vom Geheimdienst entdeckt zu werden, sich mehr Zeit zu nehmen, um das Vertrauen der Bauern zu gewinnen. Sowohl die Älteren mit ihrem gebückten Gang, den zerfurchten Gesichtern und der traditionellen Kleidung als auch die wenigen Jüngeren in Jeans und T-Shirts berichteten von kreisrunden Flugzeugen, die lautlos gekommen und schnell wie Raketen, aber ohne wahrnehmbaren Antrieb wieder davon geflogen seien. UFOs? Möglich, aber höchstwahrscheinlich sehr irdische UFOs. Fotografische Dokumentationen standen nicht zur Verfügung und so zogen die zwei Journalisten ins Nachbardorf, wohin ihnen ihr Ruf, durchaus vertrauenswürdig zu sein, schon vorausgeeilt war und wo die Leute exakt das gleiche erzählten. Alle in der Gegend hätten panische Angst bekommen und wären, als gelte es, das nackte Leben zu retten, von den Reisfeldern sofort nach Hause gerannt, um sich in ihren baufälligen Hütten in Sicherheit zu bringen. Manche zitterten noch, als sie ihre unglaubliche Geschichte endlich jemandem von außerhalb erzählen konnten. Beiden Journalisten wurde offenbar schnell klar, dass sich hier etwas ereignet hatte, das die chinesische Führung um jeden Preis würde geheim halten wollen. Sie verabschiedeten sich vermutlich hastig und müssen sich dann getrennt voneinander auf abenteuerlichem Weg ins Ausland abgesetzt haben, wo sie ihre Recherchen doch tatsächlich der Netzgemeinde präsentieren konnten. Einmal veröffentlicht, führte dieses Thema dann schon noch zu einigen Diskussionen im Internet, aber der Ruf der Journalisten war ruiniert. Verschwörungstheoretiker! So zumindest war das offizielle Statement der chinesischen Staatspresse – nichts dran, an dem dummen Geschwätz der illegal Ausgereisten. Und so trumpfte wieder einmal der Joker „Verlogenheit“ auf. Was später von R. K. und J. D. in ihren weiteren beruflichen Bemühungen publiziert worden ist, hat man geschickt totgeschwiegen. Ihrer Laufbahn wurde allein durch die Fragestellung, ob bei den unbekannten Flugobjekten eventuell völlig neuartige Gravitationsantriebe ausprobiert worden sein könnten, weil man die dafür erforderlichen Gravitationswellen 2016 ja schon entdeckt hatte, ein jähes Ende bereitet. So blieb ihr Wirken erfolgreich unbeachtet und die Aufrüstung Chinas konnte trotz dieser kleinen Ärgernisse kontinuierlich weiter gehen. Man könnte meinen, die Menschheit hätte keine anderen Probleme …
Ich fragte unseren Politiklehrer, was denn eine „Verschwörungstheorie“ sei. Er schmunzelte und meinte, das sei eine Methode, um missliebige Wahrheiten als vermeintliche Lügen darzustellen. Man muss dieses System nur einmal etabliert haben, dann funktioniert es. Und zwar nach beiden Seiten: Genug Verwirrte in der Welt nerven mit ihren hanebüchenen Geschichten. Zum Beispiel solche, die behaupten, eine Mondlandung hätte niemals stattgefunden. Diese Leute kann man getrost als Verschwörungstheoretiker hinstellen, was in diesem Fall den Vorteil bietet, sich selbst auf die Seite der Sachlichkeit und Objektivität zu schlagen. Hat man dies mehrfach öffentlich glaubhaft getan, kann jeder Andere, der tatsächlich wissenschaftlich exakt vorgeht, aufmerksam beobachtet, ehrliche Notifikation betreibt und die Seriosität zu seinen Prinzipien zählt, bei allem, was er äußert, ebenfalls als Verschwörungstheoretiker denunziert werden, was in diesem zweiten Fall den Vorteil bietet, auch wahre Informationen wunderbar verunglimpfen zu können. Ich war erschrocken darüber, mit welcher Raffinesse sich die Leute gegenseitig hinters Licht führen. Unser Lehrer muss meine verzweifelte Miene wohl richtig gedeutet haben und ergänzte, dass rechtschaffene Methodenkompetenz sich solcher Verfahren ja nicht unbedingt bedienen müsse. Das verstand ich nicht wirklich, grinste aber erstmal sehr wissend und war froh, dass die Schule für heute vorbei war. Am Nachmittag wachste ich die Skier und begab mich auf den Weg zu Gabi aus der Nachbarklasse, um sie zu einer kleinen Tour durch den verschneiten Wald hinter unserem Wohngebiet zu überreden. Ich klingelte. Ihre Mutter öffnete und schüttelte bedauernd den Kopf. Gabi sei heute mit ihrer Freundin in die Stadt gefahren. Die Tür fiel ins Schloss und ich stand etwas ratlos und enttäuscht auf meinen Skiern. Dann eben doch nur eine kleine Tour allein, es wird sowieso bald dunkel. Ich kann anschließend auch noch die Hausaufgaben für nächste Woche anfangen, nahm ich mir vor. Später, nach dem Abendessen saß ich – wie so oft – mit den Eltern vor dem Fernseher. Wir unterhielten uns über verschiedene Alltäglichkeiten und schauten die Nachrichten. Danach fesselte uns ein interessanter Beitrag, in dem Meteorologen und Experten angrenzender Fachgebiete auf Veränderung der Passatwinde im Indischen Ozean hinwiesen. Der indische Monsun als Ganzes stellte bisher eine verlässliche Klimaerscheinung mit nur relativ geringfügigen Schwankungen im Verlauf längerer Zeiträume dar. Doch man zeigte anschaulich, wie die Passatwinde der unteren Troposphäre die Richtungsstabilität der jährlichen Monsunströmungen verändern. Alle warnten eindringlich davor, dass in diesem Jahr mit frühzeitig einsetzenden und starken Monsunregen zu rechnen sei. Mit Nachdruck rieten die Wissenschaftler den betroffenen Ländern, umfangreiche Vorbereitungs- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Vater zog ein erstauntes Gesicht und Mutter meinte, dass das alles merkwürdig sei. Als der Abend zu Ende ging, dachte ich noch an Gabi. Vielleicht mochte sie nicht Ski fahren? Aber der Winter ist ja schon fast vorbei, dann kommt wieder die Fahrradsaison. Anderentags sah ich Gabi in der Pause auf dem Schulhof, aber sie zeigt mir die kalte Schulter und unterhielt sich auffällig lange mit einem Jungen aus einer der Klassen über uns. Dafür stand jetzt ihre Freundin leicht gelangweilt daneben.
Nicht lange, und die Schneeglöckchen verblühten, die Tage wurden wieder heller. Mein Fahrrad wartete entstaubt und einsatzbereit in unserem Carport auf seinen ersten diesjährigen Einsatz, und Gabis ehemalige beste Freundin war jetzt meine beste Freundin. Sie lernte ebenfalls sehr gut in der Schule, erledigte ihre Hausaufgaben meistens im Handumdrehen und dadurch konnten wir beide oft Zeit gemeinsam miteinander verbringen. Bei sonnigem Wetter trafen wir uns im Freibad regelmäßig an einer verabredeten Stelle, breiteten unsere Luftmatratzen aus und lästerten nach Spiel und Spaß im noch zu kalten Wasser trefflich über ebenfalls anwesende Schulkameraden. Sonnenschein, Fassbrause, Softeis und zwei in Handtücher eingewickelte und mit blauen Lippen zitternde Teenager mit nassen Haaren – das waren die Zutaten eines glücklichen Frühjahrs. In dieser Jahreszeit mussten wir noch keine Angst vor der Buschmücke haben, obwohl das Wetter ungewöhnlich oft schon heiß und schwül war. Und dann kamen in den Nachrichten die ersten Meldungen über den viel zu früh einsetzenden Monsunregen. Schon im April ergossen sich auf dem indischen Subkontinent monatliche