Der verborgene Dämon. Detlef AmendeЧитать онлайн книгу.
auf unseren familiären Geldbeutel auch an mir nicht spurlos vorbei. Mutter klagte häufig über mangelhafte Einlagensicherung, gestiegene Krankenkassenbeiträge, immer höhere Lohnsteuern und immense Energiekosten. Deshalb musste ich mich leider damit abfinden, dass mein Taschengeld um einen nicht unerheblichen Betrag gekürzt wurde. Die Eltern benötigten etwas Geduld, mein Verständnis zu erringen, aber sie erklärten mir die Ursachen. Die Preise auf dem Energiemarkt hatten sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt – und das, obwohl Investitionen in erneuerbare Energiequellen überall auf der Welt schon seit einiger Zeit stagnierten und damit der Anteil nichtfossiler Quellen am Primärenergieverbrauch nicht steigen konnte – was dringend erforderlich gewesen wäre. Der weltweite Mangel an sogenannten seltenen Erden, die man für die Herstellung von Photovoltaikanlagen benötigt, ermöglichte China, als einziger verbliebener Exporteur die hohen Preise zu diktieren, und das führte fatalerweise zu einem erneuten Anstieg der Erdöl- und Kohlenachfrage.
So wuchs ich in eine Welt hinein, deren absurde Verwerfungen selbst mir als relativ jungem und unerfahrenem Menschen schon auffielen. Hatte nicht oft genug das außergewöhnliche Wetter zu Trockenheit geführt und anderenorts der Wassermangel wiederum zu Krieg? Ohne tatsächlich etwas ändern zu können, versuchte ich dennoch bereits in diesem Alter, schlaue Ideen zu entwickeln, wie solche Missstände auf einen besseren Weg zu bringen wären, zum Beispiel mit mehr Energie. Wie könnte man ohne seltene Erden den Wirkungsgrad von Photovoltaikzellen von derzeit zwanzig Prozent auf wenigstens fünfzig oder sechzig Prozent erhöhen? Ließen sich die vielen kleinen Alltagsgeräte, in denen Batterien schlummern, die später die Umwelt vergiften, auch anders betreiben? Uhren zum Beispiel verbrauchen nur geringste Energiemengen. Könnte man dafür nicht Mini-Akkus einsetzen, die durch Ausnutzen von Luftdruckschwankungen ständig wieder aufgeladen würden? Mit derlei Hobbys beschäftigt, vergingen die ansonsten schönen und auch abwechslungsreichen Jugendjahre. Für die Schule musste ich nicht viel tun, glücklicherweise fiel mir das Lernen recht leicht und so bereitete ich mich ohne allzu viel Mühe auf das nahende Abitur vor. Zu meiner Leidenschaft ‚Umwelt‘ gesellte sich noch ein anderes Interesse, das sich später auch in der weiteren beruflichen Orientierung als hilfreich erweisen sollte – das Programmieren. Der Umgang mit Computern war schon seit langem allenthalben notwendig und bei meinen Mitschülern natürlich auch beliebt, obwohl die meisten sich nur mit ihren Tablets und Smartphones beschäftigten. Ich aber wollte auch die Details etwas genauer kennenlernen und wandte mich den neuesten Betriebssystemen und ihren verschiedenen Besonderheiten zu. Netzwerktechnik und Funktechnologie sind ja überaus interessant und wenn man den richtigen Zugang findet, auch durchaus spannend. Ich bemerkte durch Zufall, dass sich trotz Antivirensoftware und Firewall auf einem meiner Rechner solche Datenpakete die Hand schüttelten, die dort nichts zu suchen hatten. Na, schau einer an, dachte ich mit verwundertem Blick auf das Ergebnisfenster des selbst geschriebenen Überwachungsprogramms. Nach näheren Analysen und internen Transformationen wurden die kyrillischen Zeichen in den Hauptspeicherauszügen immer häufiger und ich stellte zu meinem Leidwesen fest, dass offenbar russische ‚Spezialisten‘ unterwegs waren. Ich hatte keine Ahnung, was die aktuell denn so vorhaben könnten, doch schon wenige Tage später platzte die Bombe: In den Fernsehnachrichten zur besten Sendezeit wurde berichtet, dass etwa zwei Drittel der bisherigen großen internationalen Serverstationen durch Russland gekapert und mit einer eigenen, nicht wieder entfernbaren Software ausgestattet worden sind. Experten zufolge bedeutete das nicht mehr und nicht weniger, als dass Russland nunmehr das Internet beherrschte und kontrollierte. Die gesamte Netzgemeinde schrie auf – konnte aber nichts tun. Weltweite Proteste verhallten und waren nicht in der Lage, eine Rücknahme der Aktion zu bewirken. Zusätzlich ist das neue russische Internet mit einem System aus Kommunikationssatelliten verbunden worden, um so die totale Kontrolle über den weltweiten Datenaustausch zu erlangen. Nach außen funktionierte alles wie immer, aber nun herrschte Russland über die Einführung und Vergabe einmaliger Internetbegriffe und nicht mehr die im kalifornischen Los Angeles angesiedelte und angeblich gemeinnützige Vereinigung ‚Internet Corporation for Assigned Names and Numbers‘. Russland baute auf diese Weise das Netzwerk der sogenannten Serverplattformen SPF auf, über die der gesamte internet- und funkbasierte Datenverkehr abgewickelt wurde. Einige Teile des ehemaligen Netzes blieben zwar international, büßten aber ihre wesentlichen Leistungsparameter wie Datenmenge und Schnelligkeit der Übertragung ein. Ich hätte nicht vermutet, dass auch der Journalismus durch diese Entwicklung schwer beeinträchtigt werden würde. Die globale Berichterstattung bevorzugte schon deshalb, weil sie nicht einer möglichen russischen Zensur unterworfen sein wollte, den verbliebenen freien Rest des Internets, war aber dadurch sowohl quantitativ als auch qualitativ enorm eingeschränkt. Nun gut, ich konnte mich an meinem Computer darauf einstellen und habe auch den Eltern die entsprechenden heißen Tipps für ihre Emails und Telefonate gegeben. So blieben wir von dieser an Frechheit nicht zu überbietender Maßnahme zunächst unbeeindruckt und gaben uns alle voller Vorfreude der Vorbereitung des geplanten Urlaubs hin. Tunesien sollte das Ziel sein. Mutter meinte, die Reise würde bestimmt einer der letzten gemeinsamen Urlaube. Das kann gut sein, grinste ich, denn für das nächste Jahr ist mit meinen Freunden eine Abi-Tour angesagt. Umso mehr wollte ich dieses Mal noch mit den Eltern zusammen in die Ferien, zumal ich wusste, dass beide dafür hart gespart hatten. Wir schauten uns in Prospekten die Bilder der am Meer gelegenen, zwischen weißen Mauerbögen verwinkelt gestalteten Hotelanlage an, ich buchte die Flüge über das freie Internet und schon war der Sommer heran und Mutter am Koffer packen. Vater studierte das Kartenmaterial, spekulierte über mögliche Ausflugsziele und riet Mutter noch, auch ein Kopftuch mitzunehmen. Ich hatte mir unter tolerierendem Schmunzeln der Eltern einen Fensterplatz im Flieger ergattert und dann sah ich im Landeanflug auf Tunis aus geringer Höhe durch das Bullauge die sonnenüberstrahlten Strände und eine Vielzahl von Segelbooten vor der Küste. Im Reisebus Richtung Hotel stieg die Spannung und wir wurden bei Ankunft nicht enttäuscht. Eine pompös verglaste Hotelfassade nahm uns in Empfang und von der luxuriös ausgestatteten Eingangshalle waren wir mächtig beeindruckt. Wir checkten ein und auch das gebuchte Apartment mit Meeresblick faszinierte mich. Noch am Abend unternahmen wir einen ersten Rundgang durch die allenthalben von Palmen gesäumte, parkähnliche Umgebung, die mehrere Pools und verschieden Sportanlagen umfasste. Toll, so hatten wir uns das vorgestellt. Am nächsten Morgen beschlossen die Eltern, erstmal den weißen Sandstrand und das türkisblaue, warme Mittelmeerwasser zu genießen, und erst die darauf folgende Woche an der Rezeption den einen oder anderen Ausflug ins Landesinnere zu buchen. Das war mir recht, denn ich freute mich ja schon auf Wasser, Wind und Wellen. Eine Woche darauf saßen wir abends, geschafft vom vielen Schwimmen und befreit von der tagsüber notwendigen Schicht Sonnencreme bei allerlei Getränken im schattigen Grün nahe dem großen Pool und freuten uns auf die bevorstehenden Ausflüge, als plötzlich Sirenen ertönten und laute Motorengeräusche die Idylle jäh beendeten. Wir sahen uns erschrocken an, dann ertönten überall Lautsprecher. Das Hotelpersonal kam herangerannt, schrie, forderte alle Urlauber hektisch auf, sofort das Hotel zu verlassen. Wir hätten höchstens ein Stunde Zeit. Ich konnte diese Aufforderung nicht glauben. Auch Vater und Mutter realisierten die Situation erst, als bewaffnete Polizisten erschienen und antreibend irgendwelche unverständlichen Anweisungen brüllten. Wir bekamen Angst. Was zum Teufel ist los?! Ein Terroranschlag? Hals über Kopf rannten wir nach oben ins Apartment. Wir verstauten unser Habe, so gut das in der Kürze der Zeit ging, hasteten mit unseren Koffern wieder nach unten und schon fanden wir uns vor dem Haupteingang auf der Straße inmitten einer Unzahl herumirrender anderer Urlauber wieder. Mutter und Vater waren völlig durcheinander. Auch ich rätselte, was jetzt zu tun wäre. Wir hatten ja nicht einmal ausgecheckt. Der gesamte Vorplatz des Hotels stand voller olivgrüner Militärbusse. Die Motoren liefen schon. Überall wimmelten Polizisten und Soldaten. „Tunisia is to be evacuated!!“, schrie einer. Was? Das ganze Land soll evakuiert werden? Im selben Moment wurden wir harsch aufgefordert, unser Gepäck in einem der olivgrünen Busse zu verstauen und einzusteigen. Wir fuhren Richtung Flughafen, die Strecke kam mir von der Herfahrt noch bekannt vor. Im Bus mutmaßten wir kopfschüttelnd, um was es denn hier überhaupt gehen könnte. Unsicherheit umfing uns. Dann fiel dieses Wort: Ebola! Der Schock saß tief. Ich versuchte, mit meinem Smartphone das freie Internet zu kontaktieren. Tatsächlich! Laut einem Nachrichtenportal müssen mehrere Flüchtlingstrosse aus tausenden, an Ebola erkrankten Afrikanern heute an Tunesiens Küste und offenbar direkt vor unserer Hotelanlage angekommen sein. Wir wussten nicht, dass die Epidemie bereits vor vielen Monaten ausgebrochen war und genau an unserem ersten