Tom Sawyer. Mark TwainЧитать онлайн книгу.
Mund wurde trocken. Jaaaaa, gern, sofort… ich brauche nicht mal einen Strand, schrie ein Teil von ihm, noch bevor er ihn zum Schweigen bringen konnte. Der Teil von ihm, über den er keine Kontrolle hatte, der Bedürfnisse hatte, die schon zu lange nicht befriedigt worden waren, der durch und durch Mann war. Doch das, was dieser Teil von ihm wollte, würde nicht passieren – niemals. Jon atmete tief durch, und begrüßte Annabell, bevor es zu peinlich werden konnte. „Guten Morgen, Miss Jenkins, was kann ich für Sie tun?“
Annabell grinste in sich hinein. Lustig – der Hausmeister war wohl genau wie sie heute erst etwas später aufgestanden. „Guten Tag“, konterte sie, frech wie eh und je, „der Morgen ist ja wohl schon vorbei!“ Der junge Mann ihr gegenüber schnappte nach Luft. Ha. Sie hatte ihn eiskalt erwischt. So sollte es sein! Er trug wie sie eine Jogginghose von der Sorte, die man nur noch zuhause anziehen konnte – also ein ähnliches Modell wie sie selbst -, und ein einfaches, aber sauberes weißes T-Shirt. Sein braunes Haar war noch vom Schlaf zerzaust und stand in alle Himmelsrichtungen ab, und rasiert hatte er sich auch noch nicht. Irgendwie niedlich, befand sie, aber sie war schließlich nicht ins Souterrain gefahren, um den Hausmeister zu bewundern. „Mein heißes Wasser funktioniert nicht!“ Bingly nickte knapp, griff nach dem Werkzeugkasten, den er offenbar direkt an der Wohnungstür aufbewahrte, und trat aus seiner Wohnung. „Ich komme mal direkt mit“, entgegnete er resigniert. Besser, er brachte es sofort hinter sich.
Annabell schluckte. Klar – sie wollte natürlich, dass er mitkam, deshalb war sie ja schließlich hier. Sie wollte unbedingt heiß duschen, und er konnte den Boiler wohl kaum per Ferndiagnose reparieren… doch sie hasste den Gedanken, dass er ihre Wohnung sehen würde, ihre richtige Wohnung. Nachdem sie vollständig eingerichtet gewesen war, hatten nur ihre Eltern, Sandra und Caroline ihr Allerheiligstes betreten. Da, wo sie nicht Anna war, sondern Bella, wo sie kein Model war, sondern einfach nur ein Mädchen. Sie fummelte, etwas ungeschickt, den Schlüssel ins Schloss, während der Hausmeister hinter ihr stand und wartete, eingelassen zu werden. Sie hatte sich ihr Reich geschaffen, das nur ihr gehörte, ihren Rückzugsort. Und dieses Reich betrat nun ein Fremder. Dort, wo sonst nur sie und ihre engsten Vertrauten hineindurften, stand nun, in Jogginghose und mit derben Arbeitsschuhen, Jon. Und er staunte nicht schlecht. Wow. Unfassbar… Jon fühlte sich, als hätte ihn jemand auf einen anderen Planeten gebeamt. Gerade noch hatte er in Miss Jenkins‘ durchgestyltem Vorzimmer gestanden, und nun… befand er sich in einer Mischung aus Bauernhaus, Kuriositätenkabinett und Tausendundeiner Nacht. Kurz setzte sein Verstand aus. Häh…? Als er Miss Jenkins‘ fragendes Gesicht sah, bemerkte er, dass er laut gesprochen haben musste, und er räusperte sich. „Also“, setzte er neu an und blinzelte, um all die Eindrücke um ihn herum zu sortieren, „wo ist das Badezimmer?“
8. Kapitel
Eine Stunde später kniete Jon immer noch schwitzend in Annabells Bad. Verflucht. Müsste er etwa aufgeben und die Profis anrufen? Sein Ehrgeiz war geweckt, und er hatte noch eine letzte Idee… Annabell steckte den Kopf zur Tür herein. „Mister Bingly?“, fragte sie zurückhaltend. Irgendwann hatte sie gemerkt, dass ihr Heißwasserproblem offensichtlich schwieriger zu lösen war, als sie angenommen hatte, und er tat ihr leid, wie er sich da erfolglos abmühte. „Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?“ Er hob den Kopf, strich sich eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte erschöpft. „Oh“, antwortete er überrascht, und bemerkte, dass er tatsächlich einen Kaffee vertragen konnte, und schließlich hatte sie doch diese geniale Maschine… „Gern“, sprach er weiter, „bitte einen Karamellmacchiato mit doppeltem Espresso und wenig Schaum!“ Mit diesen Worten machte er sich wieder an die Arbeit, und konnte daher Annabells verblüfftes Gesicht nicht sehen. Gegen ein aufperlendes Lachen ankämpfend, machte sich Annabell auf in ihren Vorraum und drückte die Tastenkombination A3F7, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Und dann drückte sie A3F8, denn sie mochte ihren Kaffee ganz genauso wie er – nur mit Zimt statt Karamell.
„Zimt? Tatsächlich? Es ist Februar!“ Zweifelnd blickte Jonathan auf Annabells Kaffee. Sie saßen in ihrem Wohnzimmer, auf dem kuscheligen Ecksofa, dass Annabell kürzlich hatte neu polstern und beziehen lassen. Es war so bequem, dass er niemals wieder aufstehen wollte, und eine Wohltat für seinen Rücken. Als Annabell ihm seinen Kaffee gebracht hatte, hatte sie ihm angeboten, ihn nicht im Badezimmer hockend, sondern mit ihr gemeinsam im Wohnzimmer zu trinken. Fast war sie selbst ein wenig überrascht über diesen Vorschlag gewesen, aber sie hatte ihn nicht bereut. Jon hatte sich zu ihr gesetzt und sie hatten sich unterhalten, erst vorsichtig-zurückhaltend, dann immer kameradschaftlicher. Nun waren sie bereits bei der zweiten Runde Kaffee angelangt. „Egal“, verkündete Annabell und warf sich in Pose. Jonathan sah sie amüsiert an. „Gibt es ein Gesetz, das Zimt nur zu Weihnachten erlaubt?“ Sie hielt inne und überraschte Jonathan, indem sie ihr großes Glas, das immer noch halb voll war, wie einen Pokal über den Kopf hielt. „Ich, Annabell Jenkins, setzte es hiermit außer Kraft, und verkünde, Zimt für alle, und das jederzeit!“ Darüber mussten sie beide so lachen, dass Annabells Kaffee ein wenig in Aufruhr geriet und ihr über die Hand, und, ups, übers Gesicht lief. Doch Annabell lachte nur noch mehr, wischte sich nachlässig den Kaffee ab, und fragte Jonathan: „Wollen Sie nicht mal probieren?“ Jon lachte und nickte. Zimt im Kaffee, das klang echt widerlich. Das Spiel würde er mitspielen. „Nur wenn Sie meinen probieren. Es geht echt nichts über Karamell!“ Auch Annabell nickte und hielt dann inne, schien zu überlegen. „Also, Mr Bingly“, setzte sie an. „Sie sind nicht der hirnlose Idiot, für den ich Sie gehalten habe…“ – Jonathan schnappte entsetzt nach Luft, doch sie schnitt ihm das Wort mit einer rigorosen Handbewegung ab – „…und bin ich etwa die, für die Sie mich gehalten haben?“ Jonathan konnte nur stumm den Kopf schütteln. Hoffentlich wollte sie nicht hören, wofür genau er sie gehalten hatte…! „Na dann“, fuhr Annabell fort. „Wir sollten mit diesem dämlichen „Sie“ aufhören und Brüderschaft trinken. Ich bin Annabell!“ Auffordernd hielt sie ihm ihr Latte Macchiato-Glas entgegen. In Jons Hirn kreiste es. Brüderschaft trinken? Mit Kaffee? Doch ihre direkte Art und ihre fröhliche Frechheit hatte ihn in seinen Bann gezogen. Er stieß sein Glas leicht gegen ihres, sie tranken einen Schluck und… ihr Mund war genau in Kussweite, und Brüderschaft trinken bedeutete doch… oder? Jonathan zögerte. Annabell grinste. „Trau dich“, witzelte sie und boxte ihn gegen den Oberarm, so dass er seinen Kaffee fast verschüttete. Na gut. „Ich bin Jonathan“, gab er mit rauer Stimme zurück und… drückte seine Lippen auf ihre.
Es dauerte nur eine halbe Sekunde. Sie schmeckte Karamell, Kaffee, und ihn. Und irgendwas passierte, fühlte sich richtig an… dann war es vorbei, und sie sahen sich in die Augen. Scheiße. Das hatte sie sich anders vorgestellt. Was war nur mit ihr los? Lud den Hausmeister zum Kaffee ein, trank mit ihm Brüderschaft, küsste ihn… und nun? Hoffentlich dachte er nicht, sie würde ihn anmachen, verdammt! Plötzlich schüchtern geworden rückte sie ab von ihm und nahm sich einen Schluck ihres Kaffees. Und Mr Bingly, Jonathan, der so anders war, als sie gedacht hatte, überraschte sie schon wieder. Er lächelte. „Das habe ich echt noch nie gemacht“, murmelte er, mehr zu sich selbst, und schüttelte verwundert den Kopf. „Annabell“, wiederholte er ihren Namen, als müsse er sich an ihn gewöhnen. „Eine Anna oder eine Bella?“ Lustig, dass er das fragte, fand Annabell. „Beides. Auf der Arbeit eine Anna, im Privaten eine Bella!“ – „Dann darf ich also Bella sagen?“ – Sie nickte. „Du, Jonathan…“ – „Ja?“ – „Das eben…“ – „Ja?“ – „Also, der Kuss…“ – „Gehört doch zum Brüderschaft trinken dazu, oder?“, gab Jon leichthin zurück, und Bella wurde es sofort leichter ums Herz. „Mach dir mal keinen Kopf, ich falle nicht über dich her.“ Bella lachte, und Jon fuhr fort. „Das ist mir echt zu eklig… immerhin trinkst du Zimtkaffee!“
Drei Stunden später schloss Bella hinter Jon die Tür. Sie ging zu ihrem Sofa, kuschelte sich hinein, und lächelte vor sich hin. Komisch. Da hatte sie den Hausmeister gerufen, der ihre Dusche reparieren sollte… und ein paar Stunden später hatte sie zwar immer noch kein heißes Wasser, aber einen Freund gewonnen. Zumindest fühlte es sich so an. Jon war nett, Jon war lustig, und Jon war clever. Sie waren auf einer Wellenlänge, eindeutig. Die Ähnlichkeit ihrer Kaffeevorlieben war erst der Anfang