#3 MondZauber: VERBANNUNG. Mari MärzЧитать онлайн книгу.
nicht das, was sie sich vorgenommen hatte. Zu sehr tobte die Angst in ihr, dass ihre Liebe zu Ian nur eine Illusion war.
Er strich durch sein dunkles Haar und wischte sich müde übers Gesicht. Ian war immer noch wunderschön, doch die jüngsten Ereignisse hatten offensichtlich ihre Spuren hinterlassen. Unter seinen grauen Augen waren deutlich Schatten zu sehen, er wirkte abgemagert und irgendwie krank. Aber wie konnte das sein? Seine Regenerationskräfte ließen das eigentlich gar nicht zu. Lyra beobachtete ihn, während er davon erzählte, wie er in Spitzbergen nach seinem Onkel Cathán gesucht hatte. Nur widerwillig berichtete Ian von der Überfahrt zurück nach Irland und dem infizierten Werwolf, den er gefangen und in die Höhle der Beanna gesperrt hatte.
»Was ist aus ihm geworden?«, fragte Lyra und stand vom Bett auf.
»Er ist schwach. Wenn wir nicht bald ein Gegenmittel haben, wird er sterben.«
»Vampire können sterben?«
Ian lächelte freundlos. Lyra wandte sich von ihm ab, schaute aus dem Fenster auf die schneebedeckte Landschaft und hätte gern die widersprüchlichen Gefühle ignoriert, die in ihr tobten.
»Vergiss den Holzpfahl, das Silber, Knoblauch und Weihwasser! Vampire sind untot, sie sterben. Wenn sie Blut bekommen, nur sehr langsam. Wenn sie keins bekommen, dann eben schneller. Und noch schneller geht es, wenn man ihr Gehirn zerstört – also ähnlich wie bei Zombies.«
Ruckartig drehte sich Lyra um. »Es gibt Zombies?«
Wieder lächelte Ian, diesmal wirkte er jedoch tatsächlich amüsiert. »Nein, also nicht wirklich. Ich meine, wie du es sicherlich aus Zombie-Geschichten kennst. Bei jedem Individuum, das höherentwickelt ist als eine Amöbe, ist das Nervenzentrum quasi die Schaltzentrale. Ohne Gehirn ist kein Leben möglich, nicht mal in der magischen Welt.«
Die Zombies waren Lyra gerade egal, selbst die absurde Realität interessierte sie in diesem Moment keine Bohne. Ian stand jetzt hinter ihr, nur wenige Zentimeter entfernt. Sie waren allein in diesem Zimmer, neben ihrem Bett, in dem sie so viele Nächte von der großen Liebe geträumt hatte. Sie dachte an ihren Schulschwarm Niklas, an den sinnlichen Faun Daris und all die schönen Momente mit Ian.
»Was ist mit dir und Kenneth? Ich meine ...« Lyra rang nach Worten. Ihr Herz klopfte laut in ihrer Brust, sie konnte kaum atmen, doch sie musste diese Frage jetzt stellen. »Ich meine, bist du ... also ... bist du, ähm ...«
»Ob ich schwul bin?« Ian überwand die letzten Zentimeter, streichelte sanft über Lyras Wange und raunte: »Kätzchen, das wäre das geringere Problem.«
Kalte Dusche
Die Nacht war kurz, an Schlaf war kaum zu denken gewesen. Lyra hatte sie allein in ihrem Bett und mit einer Mischung aus Nostalgie und Wut verbracht. Zu viele Erinnerungen, zu viele Fragen, zu viel Ian.
Er hatte sie mit diesem kryptischen Satz, dass die Homosexualität sein geringeres Problem wäre, einfach stehengelassen und war zurück zu den anderen ins Wohnzimmer gegangen. Wütend war Lyra ihm nachgelaufen, doch die Anwesenheit ihrer Mutter und ihrer Tante hatten es ihr unmöglich gemacht, sich Gewissheit zu verschaffen. Irgendwann war sie ins Bett gegangen, allein und mit dem faden Beigeschmack der Zurückweisung.
Eigentlich hatte Ian sie nicht zurückgewiesen, jedenfalls nicht direkt. Andererseits hatten seine Worte ihr alles andere als Antworten gebracht. War er nun schwul oder nicht?
Auf dem Weg hinunter in die Küche dachte Lyra daran, Emily anzurufen und zu fragen, wie sie darauf kam, dass Ian nicht schwul war. Irgendetwas musste sie doch zu dieser Aussage veranlasst haben. Aber ihre Freundin hatte gerade wahrlich anderes zu tun, als mit Lyra über Ian zu quatschen. Ihr Vater war gestorben, ihre Mutter ein psychisches Wrack und ihr kleiner Bruder drehte komplett am Rad. Nein, sie würde Emily nicht anrufen, das musste warten.
Mürrisch hantierte sie an der Kaffeemaschine, die zum Glück noch die alte war. Während die Bohnen gemahlen wurden und ihren unvergleichlichen Duft verströmten, suchte sie im Kühlschrank nach Milch und etwas Essbarem. Der Hunger trieb Lyra an wie an jedem Morgen. Es würde bestimmt noch eine Weile dauern, bis sie mit Miranda und ihrer Mutter gemeinsam frühstücken konnte. Die beiden schliefen wahrscheinlich noch.
»Guten Morgen, Kätzchen!«
Ruckartig drehte sich Lyra um und starrte in graue Augen. Was macht Ian hier?, fragte sie sich und spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte, als der junge Wolf nur mit T-Shirt und Boxershorts bekleidet eine Kaffeetasse aus dem Küchenschrank holte, als wäre es das Normalste der Welt. Lyra erwischte sich dabei, wie sie auf seinen knackigen Hintern glotzte, dann auf seinen Rücken, der ein formvollendetes V darstellte. Die trainierten Muskeln seiner Oberarme waren ebenfalls eine Augenweide, dass Lyra sich mit sämtlichen Sinnen – den tierischen, magischen und menschlichen – darauf konzentrieren musste, ihm nicht direkt die wenigen Klamotten vom Körper zu reißen. Sie kam sich vor wie ein sabbernder Volltrottel, während sie Ian mit offenem Mund anstarrte. Er streckte sich und gähnte herzhaft, dann reichte er ihr lächelnd die dampfende Tasse und stellte eine leere unter den Auslauf der Kaffeemaschine. Während das Mahlwerk ein weiteres Mal lautstark seinen Dienst tat, kam Lyra endlich wieder zur Besinnung und schloss die Kühlschranktür. Mit zitternder Hand goss sie Milch in ihre Tasse und räusperte sich. »Willst du auch?«, fragte sie mit belegter Stimme.
»Danke, nein. Aber Zucker hätte ich gern.«
Umständlich schlängelte sich Lyra an ihm vorbei und hielt den Atem an, als sie dicht neben Ian die Zuckerdose aus dem Schrank holte. Er roch so gut. Nach Mann, nach Tier, nach Bett.
Was, wenn ich ihn jetzt einfach küsse?, schoss es ihr durch den Kopf. Aber irgendetwas hielt sie davon ab, eine innere Stimme, die ihr sagte, dass ER sie küssen musste oder gar nicht.
Oder gar nicht. Scheiße!
»Kommst du nachher mit?«
»Wohin?«, fragte sie, wandte sich ab und steckte ihre Nase in die Tasse. Der Geruch von Kaffee wirkte neutralisierend, das hatte sie mal irgendwo gelesen. Vielleicht half er auch gegen diesen alles einnehmenden Ian-Duft.
»In unser Haus. Ich muss im Auftrag des Rudels nach dem Rechten sehen, ein bisschen Staub wischen, die Wasserrohre checken.«
»Hm«, erwiderte Lyra, die kaum wusste, wie sie die nächsten zwei Sekunden in seiner Nähe überstehen sollte. »Warum hast du nicht dort übernachtet?«, fragte sie, um irgendetwas halbwegs Intelligentes zu sagen.
»Wieso fragst du, bin ich hier nicht willkommen?«
Verdammt, was sollte das nun schon wieder bedeuten? Natürlich war Ian willkommen, Lyra hatte sogar den Eindruck, dass ihre Mutter ihn mochte. Miranda sowieso. Aber ...
»Ich hatte gestern Nacht noch ein langes Gespräch mit deiner Tante und deiner Mutter. Sie baten mich, hierzubleiben, damit ...«
»Was?«, fiel Lyra ihm ins Wort. Die Leidenschaft war vergessen. Was zum Henker hatten die beiden mit Ian zu bereden? Ohne sie!
»Ich denke, es gibt keine Geheimnisse mehr!«, stellte sie trotzig fest. Es war keine Frage. »Was musstet ihr denn so Dringendes ohne mich bereden?«, fügte sie zähneknirschend hinzu. »Ich bin kein kleines Kind mehr, verdammt!«
»Nein, das bist du weiß Gott nicht.« Ian schenkte ihr ein sanftes Lächeln, dann wurde seine Miene ernst. »Deine Mutter und auch Miranda machen sich Sorgen um dich. Nach der Sache mit Ceara in Venedig ...«
»Da konnte ich ganz gut allein auf mich aufpassen«, unterbrach Lyra ihn erneut. »Außerdem wollte Redrubi mir nichts tun und sie hat sich bis zum 16. März verabschiedet. Es gibt also überhaupt keinen Grund, sich Sorgen zu machen.«
»Aber sie ist die Tochter der Geisterkönigin, ein wahrlich unberechenbares Wesen, das ...«
»Ach, hör doch auf! Ihr redet hinter meinem Rücken, als wäre ich fünf oder so. Das ist ein Riesenhaufen Scheiße,