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Der Alpdruck. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.

Der Alpdruck - Ханс Фаллада


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war in diesem Punkte, dem Heranschaffen von Waren aller Art, Frau Almas Tätigkeit noch viel einträglicher, ihre Geschicklichkeit wohl auch größer als die des Mannes. Ihr war – mit dreißig, vierzig andern Frauen und Mädchen – die Aufgabe zugefallen, aus dem Barackenlager, das früher die SS eingenommen, die dort noch lagernden Vorräte in einen großen Schuppen an der Bahn zu schaffen. Es war ein weiter Weg, und oft waren die Säcke, welche die Frauen zu tragen hatten, mit schwerer Ware gefüllt, so daß die Last über ihre Kraft ging.

      Was aber ihren Unwillen auf das höchste trieb, war der Umstand, daß all diese Fleischkonserven, diese Butter-, Käse-, Milch- oder Sardinendosen, daß diese Büchsen mit gemahlenem Kaffee, diese Stangen mit gepreßtem feinen Blättertee, diese Kartons voller Schokoladenpulver (wozu noch Flaschenbatterien mit Wein und Kognak kamen, sowie unübersehbare Packungen mit Rauchwaren) – ja, der Unwille der schleppenden Frauen wurde durch den Gedanken aufs schärfste angestachelt, daß all diese in solchem Übermaß vorhandenen Waren seit Jahren darbenden Frauen und hungernden Kindern vorenthalten waren, Kindern, von denen viele in ihrem Leben Schokolade nie geschmeckt hatten, um dann all dies anmaßenden, herrschsüchtigen Burschen von der SS, denen Deutschland ein gut Teil seines Unglücks verdankte, ins gefräßige Maul zu stecken.

      Schon seit die Kinder, Weinflaschen in den Händen, sich vor dem größten Hotel der Stadt betrunken hatten, war eine neue Auffassung des Eigentumsbegriffs unter dem größten Teil der Bevölkerung aufgekommen: dies alles waren eigentlich Waren, die ihnen zustanden. Eigensucht und Geldgier der Kaufleute hatten sie ihnen vorenthalten – es war nicht mehr als recht, daß man sich jetzt noch nahm, was man nur bekommen konnte! Der Weg von den SS-Baracken zu den Bahnschuppen war weit, der Sack drückte, die Last war schwer: immer wieder verschwand eine Frau in den Büschen am Wege, und wenn sie wieder vortrat und sich, eben noch an der Spitze, jetzt in das Ende der lang auseinandergezogenen Kolonne einreihte, war der Sack nur noch dreiviertelvoll, für den Abend aber ein hübsches Depot in den Büschen angelegt.

      Frau Alma Doll war nicht bedenklicher als die andern Frauen, wie die meisten von ihnen hatte sie zu Hause Kinder, die nach Fett ausgehungert waren und gerne auch einmal erfuhren, wie eine Tasse mit Milchschokolade schmeckte. Wie die andern Frauen legte sie ihre Depots an, und als sie merkte, daß entweder Mitarbeiterinnen oder Beobachter aus der Ferne diese Depots noch vor Feierabend beraubten, wurde sie noch kühner: sie ließ, in den Büschen versteckt, das Ende des Zuges ruhig an sich vorüberziehen. War er dann außer Sicht, eilte sie mit ihrem Sack in ein nahe gelegenes Haus zu Bekannten und ließ dort – auf Teilung alles. War nun die Zeit herangekommen, daß die Kolonne auf ihrem Rückweg wiederkommen mußte, trat sie neu unter die Büsche und schmuggelte sich, den leeren Sack über dem Arm, unter die andern.

      Natürlich hatten die ihr Fehlen bemerkt, sie sparten auch nicht mit spitzen Bemerkungen und Anspielungen; da sie aber alle mehr oder weniger das gleiche taten, geschah ihr nichts Schlimmeres. Was aber die russischen Posten anging, die an der Spitze und am Ende des Zuges marschierten, so sahen sie entweder nichts oder wollten nichts sehen von dem, was da vorging. Wahrscheinlicher war das letztere, sie wußten wohl alle, wie weh Hunger tut, und waren großmütig – auch einem gehaßten Volk gegenüber, das die Frauen und Kinder der Posten erbarmungslos hatte hungern und verhungern lassen.

      Am Abend saß Alma dann bei ihrem Manne, auf dem kleinen Notherd kochte »seine« Abendmilchsuppe, und die junge Frau wies ihm bei Kerzenschein – der elektrische Strom funktionierte nicht mehr – ihre Eroberungen. Sie aßen allesamt Ölsardinenbrot auf Vorschuss, dann wurde in die Milchsuppe Schokoladenpulver gestreut. Sie aßen nicht, sie fraßen, sie stopften sich bis zum Platzen voll, alle, von der fünfjährigen Petta an bis zur alten, fast bewegungsunfähigen Großmutter. Sie dachten nicht an überfüllte Mägen und an den schon ohnedies so unruhigen Nachtschlaf, sie dachten auch nie an den nächsten Tag, an die Anlage eines kleinen Vorrats. Gedanken derart waren ihnen in den Jahren der Bombenangriffe gründlich vergangen. Sie waren wieder zu Kindern geworden, die nur dem Heute, ohne einen Gedanken an den kommenden Morgen, leben, aber sie besaßen nichts mehr von der Unschuld der Kinder. Sie waren entwurzelt, sie, dieser Kuhhirte und diese Sackträgerin, die Vergangenheit war ihnen entglitten, und ihre Zukunft war zu ungewiß, sich mit Denken daran zu beschweren. Ziellos trieben sie auf dem Strom des Lebens dahin – wozu lebte man eigentlich?

      Wenn Doll mit seiner jungen Frau am frühen Morgen zur Arbeit ging, wenn er abends allein vom Kuhhüten heimwärts eilte, stets führte sein Weg an einem großen grauen Hause vorüber, das mit seinen geschlossenen Fenster einen abweisenden und düsteren Eindruck machte. An der Tür dieses Hauses befand sich ein sehr altes Messingschild, so vernachlässigt, daß es ganz stumpf aussah und an einigen eingebeulten Stellen Grünspan aufwies. Auf diesem Schilde war zu lesen: »Dr. Wilhelm – Tierarzt«.

      Als Doll mit seiner Frau zum ersten Male nach dem Umsturz an diesem dunklen Haus vorüberkam, hatte seine Frau gesagt: »Der hat sich auch erledigt – hast du gehört?«

      »Ja ...« hatte Doll nur geantwortet, in einem Tone, aus dem die Frau verstehen mußte, daß er eine Fortsetzung dieses Gespräches nicht wünschte.

      »Aber«, hatte Alma trotzdem zornig gerufen, »aber ich bin froh, daß der alte Kerl tot ist! Wenn ich jemanden gehaßt habe, so war er es; ja, ich hasse ihn noch ...«

      »Gut, gut«, hatte Doll sie unterbrochen. »Er ist tot, wir wollen ihn vergessen. Wir wollen nie mehr von ihm sprechen.«

      Und sie sprachen nicht mehr von ihm, ja, Dr. Doll sah, wenn er in die Nähe des Hauses kam, geflissentlich die andere Straßenseite an, während seine Frau das Haus immer wieder mit gereizter oder spöttischer Miene musterte. Beides sprach nicht ganz für das von Doll gewünschte Vergessen, und sie wußten auch beide – trotz ihres Schweigens – sehr gut, daß sie weder vergessen konnten noch vergessen wollten. Dafür hatte ihnen beiden der tote Tierarzt Wilhelm zu viel Herzeleid angetan.

      Auf seinem Türschild nannte er sich Tierarzt, aber er war ein so großer Feigling, daß er sich kaum je an ein krankes Pferd oder Rind herangetraut hatte. Die Bauern wußten das so gut, daß sie ihn höchstens zur Rotlaufimpfung der Schweine holten, daher trug er weit und breit den Übernamen »Farken-Willem«: Ferkel-Wilhelm. Ein großer schwerer Mann in den Sechzigern, mit einem fahlgrauen Gesicht, das stets so grämlich verzogen war, als schmecke er Galle.

      Dieser Tierarzt besaß keine einzige Fähigkeit, die ihn vor dem niedersten Durchschnitt ausgezeichnet hätte, bis auf die eine, daß er eine ungewöhnlich feine Zunge für Weine hatte. Schnaps und Bier trank er auch, aber nur um ihres Alkoholgehaltes willen, denn er war längst das geworden, was man einen »mäßigen Trinker« nennen kann: er brauchte jeden Tag eine bestimmte, nicht einmal übermäßig hohe Alkoholmenge. Aber nichts ging ihm über den Wein, und je besser seine Kreszenz war, um so glücklicher wurde er. Dann glätteten sich sogar die galligen Falten in seinem Gesicht, und er konnte lächeln. Für einen Mann von seinem Einkommen war das eine etwas kostspielige Leidenschaft, doch meist wußte er, wie er zu seinem Rechte kam.

      Gegen fünf Uhr nachmittags hielt ihn nichts mehr im Haus, konnte der dringendste Anruf ihn nicht mehr zu einem kranken Tiere locken; er nahm seinen Stock, setzte sein Jägerhütlein mit einem Dachspinsel auf und wanderte gravitätisch, immer in Kniehosen, die Füße gespreizt sehr auswärts setzend, die Straße entlang.

      Dr. Wilhelm – Farken-Willem – hatte nur wenige Schritte zu gehen, so konnte er schon in ein kleineres Hotel treten, das einstens für ihn eine wahre Weinrente bedeutet hatte, nämlich als der selbst ins Trinken verliebte Wirt noch lebte. Nach seinem Tode wurde das Haus aber von der Witwe und je länger je mehr von der jüngsten Tochter regiert, einem Mädchen voll unbegreiflicher Launen, ja, von direkten Antipathien besessen, von denen eine – und nicht gerade die schwächste – dem Tierarzt Dr. Wilhelm galt.

      Der Tierarzt mußte zu seinem tiefsten Kummer erleben, daß die Tochter des Hauses ihm immer häufiger die bestellte Flasche Wein verweigerte und ihm nur ein Schöppchen brachte, während sie doch auf andere Tische noch oft genug Flaschen stellte. Beschwerte er sich dann mit seinem nussknackerhaften, gallenbitteren Munde, langsam und bedächtig sprechend, wie es seine Art war, so fuhr sie ihm schon in den Anfang seiner Rede mit ihrer raschen, scharfen Zunge hinein und rief: »Sie wollen alle Tage Ihren Wein, die andern


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