Junger Herr ganz groß. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
Sie nun zufrieden?« fragte ich, und da Herr Ericke es sichtlich nicht war, ging ich ohne ein weiteres Wort auf mein Zimmer. Ich mußte dabei an Zimmer elf vorüber, aber ich verwehrte es mir, stehenzubleiben und auf ein Geräusch zu lauschen. Erst als ich mich mit dem Inhalt meiner Satteltaschen ein wenig frisch gemacht hatte und mit Socken in einem Lehnsessel saß, auf das Putzen meiner Reitstiefel wartend, erlaubte ich es mir wieder, an meine schöne Unbekannte zu denken und ein wenig zu lauschen. Zwischen unsern beiden Zimmern gab es wie fast stets in solchen Provinzhotels eine große, dunkle, reichgeschnitzte Doppeltür, gegen die von meiner Seite ein Kleiderschrank gerückt war, der aber viel zu klein war, die Öffnung zu verbergen. Ich lauschte und lauschte, aber von drüben kam kein Laut, kein Plätschern von Wasser, kein Seufzer, kein Schritt.
Mein Blut war jetzt nicht abgekühlt, o nein! Ich war noch genauso begeistert von meiner schönen Unbekannten und jeden Augenblick bereit, ähnliche und größere Heldentaten für sie zu begehen. Aber ich mußte mir doch eingestehen, daß ich einiges getan hatte, das jetzt selbst mir bedenklich erschien. Wenn ich noch so sehr das Geschwätz verachtete, und wenn ich noch so fest auf das Eintreten des ehrenhaften Gumpel pochte, es erschien mir wenig wahrscheinlich, daß diese Dame eine verehelichte Lassenthin war. Gewiß, sicher hatte ihr der Lump von Gregor die Ehe versprochen, und ebenso sicher war sie jetzt hier, ihn beim Wort zu nehmen, aber darum war sie noch keine Lassenthin. Aber ich hatte sie als Frau von Lassenthin ins Gästebuch eingetragen, mit meinem Namen hatte ich für diese Eintragung gebürgt.
Wahrhaftig, der gute Ericke hatte recht, daß ich jetzt in des Teufels Küche saß. Ich war gezwungen, diese Eintragung wahr zu machen, und seit heute nachmittag wußte ich es mit aller Bestimmtheit, daß weder Gregor noch sein Vater im geringsten gesonnen waren, dieser Dame den Namen Lassenthin zu gehen. »Habt ihr das Frauenzimmer doch in mein Haus geschleppt!« hatte der Raubold gerufen, übrigens ein sehr viel gemeineres Wort – und: »Geben Sie ihr Geld, aber nicht zu viel, damit ich sie endlich loswerde«, hatte Gregor gesagt. Ganz schlechte Aussichten für die Rehabilitierung dieser Unbekannten! Aber ich hatte mich dafür verbürgt, mein Name stand als Unterpfand im Gästebuch des »Halben Mondes«.
Ich war längst aufgesprungen und im Zimmer auf und ab gegangen, jetzt blieb ich stehen. Ich erinnerte mich: Wie ich die Dame auf der Treppe mit dem Namen Lassenthin angerufen hatte, war sie ohne Zögern stehengeblieben. Dann hatte sie mir ihren Vornamen genannt: Catriona, ich hatte nie etwas Ähnliches gehört, so herrlich! Nein, sie mußte eine Lassenthin sein, oder sie mußte es wenigstens von sich glauben. Vielleicht hatte der Schuft von Gregor ihr so etwas eingeredet, es gab ja falsche Trauungen, in Deutschland zwar nicht, aber irgendwo im Ausland. Catriona, nein, diese Augen, dieser Mund konnten nicht lügen – ich würde es schon durchfechten, gegen die Lassenthins, gegen ganz Vorpommern, meinethalben gegen die ganze Welt!
Dann mußte ich plötzlich an Mama denken, wie stolz sie auf mich war und wie das kleinste Gerede über mich sie bekümmern würde! Nun, Mama hatte mir oft genug gesagt, daß ein Strammin nur nach seiner Ehre handeln solle, und wenn ich auf der Seite der Schwachen stand, wie der alte Geheimrat sich ausgedrückt hatte, war ich auf der richtigen Seite, der Seite der Ehre. Bessy – nun, Bessy hatte sich heute bereits in Madeleines Fall recht seltsam benommen. Darum tat es jedenfalls der Bessy recht gut, wenn sie erfuhr, ich sei noch nicht so unbedingt ihr Eigentum, wie sie anzunehmen schien.
Gottlob brachte der Friedrich jetzt die Reitstiefel, ich konnte endlich etwas für meinen Magen tun. Es war hohe Zeit. Ich fuhr in die Stiefel und wanderte trotz der hohen Zeit mit kräftigen Schritten ein paarmal in meinem Zimmer auf und ab, wobei ich stark hustete. Aber drüben regte sich nichts. So ging ich hinunter in den Speisesaal. Ich mußte dabei wieder durch die Halle, wo jetzt Puttfarken allein stand. Bei meinem Anblick legte er seine Hand wie einen Schalltrichter um den Mund und flüsterte mir zu – wir waren übrigens völlig allein in der Halle –: »Sie hat 'nen Brief an den Geheimrat Gumpel geschickt.« Ich nickte nur kurz. Aber Puttfarken war noch nicht zu Ende: »Und sie will nischt essen, gar nischt, auch nicht auf'm Zimmer.« Ich tat, als hätte ich nichts gehört, und trat in den Speisesaal.
Der Speisesaal war nur mäßig besetzt – wenn das Hotel wirklich voll war, so waren die meisten Gäste wohl schon im Theater oder im Ratskeller oder im Troubadour, einem gemäßigt mondän aufgezogenen Nachtlokal, oder im Café Kahnert, dem Café Stralsunds. Ich sah ein paar bekannte Gesichter, aber es waren nur halbbekannte, gegen die ich keine Verpflichtung als die eines kurzen Grußes im Vorübergehen hatte. So ging ich rasch an einen Ecktisch, setzte mich an diesem Tage zum erstenmal behaglich in den Winkel und bestellte mir zu einer Flasche Rheinwein ein Abendessen, wie es meinem Hunger angemessen war: Vorgericht, Suppe, Fischgang, Geflügel, ein doppeltes Rumpsteak und mindestens eine dreifache Portion süße Speise. Ich hatte mich kaum jemals zuvor auf ein Essen so gefreut.
Während ich mich eifrig durch diesen Aufmarsch von Herrlichkeiten hindurchaß, überlegte ich, was ich nun als erstes noch an diesem Abend erledigen mußte. Am liebsten wäre ich im Hotel geblieben, als Wache vor Zimmer elf. Die Nachrichten von Puttfarken hatten mich mit neuer Besorgnis erfüllt: Wenn es der Geheimrat Gumpel war, mit dem die schöne Unbekannte – Catriona! – ein Treffen im »Halben Mond« verabredet hatte, so würde sie an diesem Abend und in den nächsten Tagen kaum auf den alten Herrn, ja nicht einmal auf eine Beantwortung ihres Briefes rechnen können. Wenn sie aber auf meinen Onkel Gregor wartete, und es konnte ja sehr wohl Gumpels Auftrag heute nachmittag gewesen sein, Gregor von Lassenthin für diesen Abend zu einer Rücksprache ins Hotel zu bestellen, so hatte sie eine Wache vor ihrem Zimmer noch nötiger. Und dann – daß sie nichts aß! Jeder Mensch aß zu Abend, ich hatte tausend Schwierigkeiten, aber ich hätte noch ganz gut ein zweites solches Rumpsteak essen können! Es mußte sich nur einer finden, der ihr gut zuredete.
Aber dann dachte ich doch wieder an meinen Weizen. Es wurde nun wirklich Zeit, daß ich mich um meine Fuhrwerke kümmerte. Es war ganz unverständlich, warum nicht wenigstens eine Botschaft für mich hier im Hotel bereit lag. Junghanns wußte doch, daß wir immer hier absteigen. Allmählich wurde mir klar, daß wirklich etwas mit meinen Fuhrwerken passiert sein mußte, und vierhundert Zentner Weizen, nun, so ohne weiteres konnten wir Strammins jetzt kurz vor der Ernte nicht auf sie verzichten. Ich würde in den »Alten Fuhrhof« gehen müssen, wo unsere Wagen immer ausspannen, und schlimmstenfalls noch zur Brigg Svionia und dem Kapitän Ole Pedersen. Oder auch zu unserm alten Getreidehändler Kalander. Alles in allem eine Sache von höchstens zwei Stunden. Um halb zwölf würde ich wieder im Hotel sein. Ich sagte dies dem Portier Puttfarken und trat auf den Alten Markt hinaus.
Nach dem abendlichen Gewitterguss war die Luft frisch, ich atmete sie in tiefen Zügen ein. Hinter der prächtigen gotischen Schauwand ihres Rathauses, die sich die Stralsunder von 16 000 Mark feinem Silber Lösegeld für 24 im Jahre 1316 gefangene pommersche und mecklenburgische Ritter gebaut haben, stand schon der Mond und warf sein Licht durch ihr Maßwerk. Klotzig ragte daneben der nie vollendete Nordturm von St. Nicolai empor. Die Leute gingen plaudernd über den Marktplatz, der Laut ihrer Schritte hallte angenehm wider: Man hörte es diesen Lauten an, wie schön es war, an solchem Juniabend spazierenzugehen und zu plaudern. Aus den offenen Fenstern der Konditorei drang Geigenmusik.
Plötzlich empfand ich, wie allein ich war – an diesem schönen Abend. Auch ich hätte jetzt gern mit jemandem spazieren und plaudern mögen! Ich wandte mich um und sah zu den Fenstern des »Halben Mondes« empor. Jawohl, Nummer elf war beleuchtet. Ich dachte sie mir dort, in einem Sessel sitzend, ganz allein, vor sich hin sinnend, keinen Freund in Stadt und Land, das hilflose Opfer widerlichen Geschwätzes. An wen dachte sie? Auf wen hoffte sie? Gregor –? Ich schüttelte mich. Arme Frau, dachte ich, arme Catriona ...
Dann fiel mir plötzlich ein, daß während meines Abendessens ein paar Tische weiter der Major von Brandau gesessen hatte. Brandau war Polizeimajor von Stralsund, und wir jungen Leute hatten schon ein paarmal Zusammenstöße mit ihm gehabt. Der Major fand, wir nahmen uns etwas viel heraus in der guten, alten Hansestadt – nämlich dann, wenn wir einen sitzen hatten. Sicher war Herr von Brandau ein Mann von Verdiensten, leider war er aber auch ein Mann ohne Humor. Er hielt es für ein Staatsverbrechen, wenn wir nächtlicherweise das Schild der Hebamme Kakeldütt mit dem des Pastors Friesicke vertauschten – und es war doch nur ein sehr dummer Jungenstreich.
Nun