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Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.

Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1 - Gerstäcker Friedrich


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Hulda erst siebzehn Jahre und Deiner Aussage nach ‚ein Engel der Schönheit‘ ist, wie lange glaubst Du, daß sie noch ungesucht blühen wird? doch wohl nur ein oder höchstens zwei Jahre. Dann finden sich, und vielleicht noch früher, die Bewerber ein, die auch zugleich im Stande sind, ihr eine Häuslichkeit zu bieten.“

      „Und wenn sie mich liebt, wie ich sie, wird sie jedes Bewerbers Hand mit Entrüstung und kaltem Stolz zurückweisen.“

      „Du bist dann zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre alt,“ fuhr Kurt, ohne von der Unterbrechung Notiz zu nehmen, ruhig fort, „und hast wenigstens noch fünf bis sechs Jahre vor /87/ Dir, ehe Du nur vernünftiger Weise an’s Heirathen denken darfst. Hulda ist bis dahin vierundzwanzig Jahre alt, und glaubst Du, daß ihr an einem so hinausgezögerten Brautstande irgend etwas gelegen wäre?“

      „Und wenn sie sechzig Jahre alt wäre,“ rief Alfred, dessen Augen in höchster Aufregung leuchteten, „so würde ich dieselbe heiße, brennende Liebe für sie fühlen wie jetzt!“

      „Und hast Du Dich schon gegen sie erklärt?“ frug Kurt.

      „Ich wagte es nicht,“ sagte Alfred scheu, „wenn ich es auch hundertmal auf den Lippen hatte.“

      „Also weißt Du nicht einmal, ob sie Dich wieder liebt?“

      „Sind solche Gefühle nicht stets gegenseitig?“

      „Nicht daß ich wüßte; und ihre Eltern kennst Du eben so wenig?“

      „Nein, aber ich habe Freunde genug in Dresden, um dort im Haus schon eine Einführung zu bekommen. Ihre Tante heißt von Loswall.“

      Kurt schüttelte mit dem Kopfe. „Da hilft alles Reden nichts,“ sagte er. „Du bist einmal in den richtigen Liebestaumel, den blutjunge Leute sehr häufig für wahre Liebe halten, hineingefallen, und ich sehe ein, daß jetzt mit Dir kein vernünftiges Wort zu reden ist. Dein Herz ist mit Deinem Verstande vollständig durch gegangen, und ich werde es dem alten Aesculap, der Zeit, überlassen müssen, Dich von allen Deinen Holzwegen wieder auf die breite Chaussee des wirklichen Lebens zu bringen.“

      „Auf eine Chaussee willst Du mich bringen, wo ich jetzt auf blumigen Waldpfaden und weichem duftenden Moose wandere?“

      „Das letztere ist ein Irrthum,“ bemerkte Kurt. „Moos duftet gar nicht, bekommt weit eher einen fauligen Geruch.“

      „Du bist unausstehlich, Kurt.“

      „Ich habe Ursache,“ sagte dieser, „denn Du hast mich mit Deinem Liebeswahnsinn heute um einen starken Hirsch gebracht und, das Schlimmste dabei, nicht einmal eine Ahnung davon, was das heißen will. Aber wann wirst Du abreisen?“

      „Morgen früh wollte ich mit der nämlichen Post fort, in der sie heute abgefahren ist. Wie lange bist Du aber schon hier?“

      /88/ „Seit vier Tagen.“

      „Das ist merkwürdig, daß wir uns da nicht früher begegnet sind; ich bin schon eine ganze Woche hier und nicht aus dem Dorfe oder seiner allernächsten Umgebung hinausgekommen.“

      „Da hast Du also gleich den Grund, ich wohne bei dem alten Oberförster dort oben auf der Höhe, und habe nicht allein den Wald nicht verlassen, sondern bin auch jedesmal geflüchtet, wenn ich lichte Kleider durch die Büsche schimmern sah. Der liebe Gott bewahre Einen vor allen Spaziergängern, wenn man bürschen geht!“

      „Du hast keinen Sinn für das Schöne.“

      „Nicht?“ rief Kurt begeistert aus, und seine Augen blitzten. „Du solltest nur einmal das Glück haben, einen edlen Hirsch aus dem Walde treten zu sehen, wenn er den prachtvollen Kopf hebt, hinaussichert, und dann laut schreiend den Gegner zum Kampfe herausfordert. Alfred, wenn Dir dabei das Herz nicht aufginge, daß Du laut aufjubeln möchtest vor lauter Glück und Seligkeit, dann hast Du kein Herz. Das ist schön, das ist erhaben, und dazu noch der herrliche grüne Wald, die lautlose heilige Stille umher.“

      „In die der Hirsch hinein schreit?“ bemerkte Alfred trocken.

      Kurt sah ihn einen Moment rasch und wie unwillig an; plötzlich brach er in Lachen aus und rief:

      „Du hast wahrhaftig Recht, Alfred. Wir haben Beide unsere verschiedenen Ansichten von Leben, Neigungen und Leidenschaften, und es würde mir so schwer werden, Dich, wie Dir, mich zu überzeugen, daß Du oder ich im Irrthum wären. Also Du gehst nach Dresden?“

      „Ja, direct, ich habe dreiwöchentlichen Urlaub erhalten, um meine etwas angegriffene Gesundheit zu restauriren, und kann den nicht besser anwenden.“

      Kurt lächelte, erwiderte aber nichts und sagte nur nach einer Weile:

      „Gut, dann bleiben wir wenigstens heute zusammen. Ich bin durstig geworden, und vor uns, im goldenen Hirsch, finden wir ein vorzügliches Glas Bairisch Bier.“

      „Bier?“ sagte Alfred mit einem wegwerfenden Gesichtsausdruck, „gemeines Bier jetzt! – ich möchte Champagner trinken.“

      /89/ „Du würdest hier einen schönen Stoff bekommen,“ lachte Kurt, indem er des Freundes Arm wieder nahm. „Nein, Kamerad, trink Du Bier, denn das ist Dir auch am zuträglichsten. Champagner steigt Dir nur noch mehr in den Kopf, und Du brauchst vor allen Dingen etwas dickes, ruhiges Blut.“

      Und die beiden jungen Leute schritten, von jetzt an nur über gleichgültige Dinge plaudernd, die Straße hinab, dem nicht mehr fernen Dorfe zu.

      2.

      Die Schwestern.

      In Neustadt-Dresden, in einer reizenden Villa der so hübsch angelegten Königsbrücker Straße, wohnte der alte pensionirte Forstmeister von Rankhorst mit seiner Familie: seiner verwittweten Tochter und seinen zwei Enkelinnen.

      Der alte Herr – er war schon hoch in die siebzig – führte ein ganz glückliches Leben, denn selber mit zeitlichen Gütern gesegnet, so daß er nicht auf seine ziemlich geringe Pension angewiesen blieb, lebte er einen Theil des Sommers gewöhnlich in der Schweiz und kehrte erst im August nach der Residenz zurück, wo er noch mit der alten Leidenschaft die Jagden frequentirte und selbst oft auf der doch ziemlich ermüdenden Hühnersuche drei, vier Stunden draußen in den Feldern umherstieg.

      Außerdem war er auch, wie er es stets gewesen, sehr geselliger Natur. Er liebte Gesellschaft, sah auch mit größter Freude Gäste bei sich, und Abends, behauptete er, dürfe man nicht zu Bett gehen, ohne seine Partie Whist gespielt zu haben. Ein jovialer Kamerad, aber dabei ein tüchtig praktischer Mann, war er deshalb auch in seinen Kreisen allbeliebt, und wurde, wenn er in fröhlichen Cirkeln sogar noch manchmal ein Tänzchen wagte, den jungen blasirten Leuten oft als Muster aufgestellt.

      /90/ Sein Haus bot übrigens eben durch seine beiden bildhübschen Enkelinnen Hulda und Paula noch einen ganz besondern Reiz, denn etwas Lieblicheres, als diese beiden Zwillingsschwestern, konnte es auf der Welt nicht geben. Dabei war der heitere Charakter ihres Großvaters auf sie übergegangen, und das sang und trillerte und lachte den ganzen Tag im Hause, sowie sie nur eben bei einander waren.

      Und heute schien ein ganz besonderer Festtag in der kleinen freundlichen Villa, denn Hulda war von ihrer etwas monotonen Krankenfahrt mit der alten, von je ein wenig mürrischen Tante, die sie in ihre eigene Wohnung zuerst richtig abgeliefert, wieder zurückgekehrt, und die beiden jungen Wesen konnten nun gar nicht genug Zeit finden, sich mit einander auszuplaudern und von hüben und drüben zu erzählen. Es ließ sich nämlich denken, daß „Großpapa“ sein lange und schmerzlich vermißtes Enkelkind nun auch wieder voll genießen wollte. Gegen „Großpapa“ konnte Hulda aber – so herzlich lieb sie ihn hatte, doch nicht so von der Leber weg reden, wie mit der Schwester. Es gab da eine Menge von Dingen, die für sie Beide natürlich vom allerhöchsten Interesse waren, die aber den alten Herrn nicht im Entferntesten interessiren konnten, oder über die er auch am Ende gar in seiner wirklich oft provocirenden Weise gelacht hätte. Kein Wunder denn, daß sich die Schwestern danach sehnten, einmal eine Stunde vollkommen ungestört zu sein, aber die fand sich nicht eher, als bis sie endlich dem Großvater und der Mutter gute Nacht gesagt und nun in ihrem lauschigen kleinen


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