Mein Blutsbruder: Der Orden der Schwarzen Löwen – Die Jagd auf eine Mörderbande. Tomos ForrestЧитать онлайн книгу.
einem Schuss konnten wir hier nicht ausweichen. »Was machen wir also?«
Anton deutete, noch immer grinsend, auf meinen Rücken.
»Du hast doch einen Mehrlader, oder?«
»Den Stutzen, ja, mit fünfundzwanzig Schuss!«
»Fünfundzwanzig? Ja, bärig (schön), warum nicht gar?«
»Soll ich’s beweisen?«
»Bitte, tritt nur vor und schieß dem Zoggla (Anfänger) was um die Ohren, damit er zurückgeht. Dann haben wir ihn, denn er muss wieder auf die Spitze zurück.«
Ich zögerte nicht länger, nahm den Stutzen von der Schulter und schob den Lauf um die Ecke. Nur einmal feuerte ich, natürlich ungezielt, in die Richtung und wartete die Reaktion des Wildschützen ab. Tatsächlich krachte es gleich darauf auf der anderen Seite, und das Geräusch der kleinen Bleikugeln, die gegen den Felsen klatschten, verriet mir, dass der Mann Schrot geladen hatte. Jetzt war es an der Zeit, ihm Beine zu machen. Ich schob erneut den Lauf um die Ecke und schoss in rascher Folge fünfmal und wartete wieder die Reaktion ab. Kein Schuss fiel mehr von seiner Seite, und nun riskierte ich etwas mehr. Ich legte mich flach auf den schmalen Pfad und registrierte nur im Unterbewusstsein, dass dabei mein linker Ellbogen keinen Bodenkontakt mehr hatte. Dann schob ich mich so weit vor, dass ich ein Stück des Pfades übersehen konnte. Weiter oben hörte ich einen Stein herabrollen und gleich darauf auf den Pfad aufschlagen – der Mann flüchtete vor uns, denn er musste aufgrund der Schüsse mit einer wahren Übermacht rechnen.
»Lass mich vorgehen, ich kenne die Gegend auswendig!«, erklärte Anton und ich presste mich dicht an die Felswand, um ihn vorbeizulassen. Ohne zu zögern, eilte der Gamsjäger geschickt weiter, während ich ihm in gebückter Haltung folgte. Es war keine sehr angenehme Situation, in der wir uns befanden. Hier gab es keinerlei Deckung, und sollte uns der Bursche hinter der nächsten Biegung erneut auflauern, waren wir ihm schutzlos ausgeliefert. Doch das schien Anton nicht zu kümmern, er eilte weiter und sprang über das Geröll wie eine Gämse. Dann standen wir beide, tief aufatmend, auf einem schmalen Plateau, dessen Ende von dichtem, aber niedrigen Kieferngestrüpp überwuchert war.
Hier erwartete uns der Wilderer, das Gewehr flog an seine Wange, der Schuss krachte zugleich mit unseren. Ich spürte den Luftzug der Kugel an meiner Wange, so dicht flog sie vorüber. Doch der Schütze zuckte zusammen, drehte sich um die eigene Achse und stürzte mit einem Aufschrei zwischen das Gestrüpp. Etwas polterte in die Klamm hinunter, ein Schuss krachte, dann blieb alles ruhig. Vorsichtig schlichen wir uns näher, die Gewehre im Anschlag.
»Obacht!«, rief mir Anton zu, der einen Schritt vor mir ging. Um ein Haar wäre er zwischen den Sträuchern ins Leere getreten. Fast gleichzeitig mit seinem Warnruf hatte ich ihn mit der linken Hand an der Schulter gefasst und zurückgerissen.
»Da ist kein Felsen mehr unter den Büschen – der Kerl ist in die Tiefe gestürzt!«, sagte ich dazu.
»Kruzifix noamal eini, wia ischn des passiert?«, rief Anton verwundert in seiner Mundart aus und starrte zwischen die verkrüppelten Latschenkiefern, die hier ein scheinbar undurchdringliches Hindernis boten, in Wahrheit aber wohl bereits weit über den Abgrund gewuchert waren und ihn dadurch vor den Augen verbargen.
Doch dann legte er seine Büchse ab und kroch auf allen vieren weiter, ohne auf meinen nächsten Warnruf zu hören. Endlich gab er es auf und kehrte auf gleiche Weise zurück.
»Etwas zu sehen, Anton?«
»Nein, weg ist der Saufratz!«
»Lass uns zu den anderen zurückkehren!«, schlug ich vor, und tatsächlich willigte Anton ein. Es dauerte seine Zeit, bis wir auch das letzte, steile Stück überwunden hatten und wieder bei den anderen eintrafen. Während König Ludwig nun darauf bestand, noch eine Pirsch auf Gämsen zu versuchen, wollte Anton in der Klamm nach dem Toten suchen und war von seinem Vorhaben nicht abzubringen.
»Herr Ludwig, das ist der Saufratz gewesen, der uns hier schon oft das Leben schwer gemacht hat. Einmal hat er auch auf mich geschossen, jetzt muss ich wissen, ob er wirklich tot ist.«
»Meinetwegen!«, räumte der König ein. »Wir anderen aber gehen nun einzeln dort drüben hinter dem Wäldchen auf die Pirsch. Und damit wir uns nicht wieder ins Gehege kommen, werden wir uns in einer Linie verteilen. Nur der Oberstleutnant, Carl, Sepp und Charly gehen mit mir hoch, die anderen Jäger und Treiber gehen zur Pirschhütte zurück, wo wir uns dann später treffen werden. Auf geht’s, Buam!«
Den toten Wilderer fand Anton jedoch nicht, lediglich seine zerschlagene Büchse. Vergeblich strengte er sich bei seiner Suche an und kam schließlich zu dem Schluss, dass der Bursche bei seinem Abrutschen wohl Glück gehabt hatte und unterhalb der Latschenkiefern hängen blieb – bis wir verschwanden. Anders war das Fehlen seines Körpers nicht erklärbar.
4. Kapitel
Noch einer der Jäger sollte ein aufregendes Erlebnis auf dem Rückweg haben. Es war ausgerechnet König Ludwig, der zusammen mit Oberstleutnant Friedrich von Zastrow noch einmal in eine schmale Klamm eingebogen war, weil sie auf ihrem Pfad die deutlichen Hufspuren eines Hirsches erkannt hatten.
»Das ist ein kapitaler Bursche!«, rief der König erfreut aus, als er sich bückte und mit dem Handteller die Größe der Abdrücke ausmaß. Hier floss ein schmaler Wildbach entlang, an dessen weichem Uferrand der Hirsch getrunken hatte und dann weiter die Klamm hinaufgezogen war.
»Aber, Maje… Ludwig, die anderen sind schon ein ganzes Stück weiter!«
Der König richtete sich auf und lachte den Offizier fröhlich an. Seine dunklen Augen blitzten vor Jagdeifer, seine Haare lagen wirr und hingen ihm in die Stirn, und nichts schien den bayerischen Monarchen jetzt davon abhalten zu können, einen Hirsch zu jagen.
»Also gut – ich bin dabei!«, sagte Zastrow schließlich und ließ ein kleines Stöhnen folgen, denn erneut stieg der Pfad steil bergan und wurde zudem immer schmaler. Doch das störte die beiden Jäger nicht, sie hatten da ja gerade ganz andere Wege hinter sich gebracht.
Plötzlich verharrte der König an einer Felsennase und hob sofort seine Jagdbüchse. Rasch war der Oberstleutnant an seiner Seite, und gebannt schauten die beiden Jäger auf das friedlich äsende Wild, das in nur kurzer Entfernung durch ein kleines Tal schritt.
Der Schuss krachte und hallte von den Bergen wider, und mit einem fröhlichen »Waidmanns Heil!« eilte Zastrow zu dem verendenden Stück, bückte sich und fing es mit seinem Hirschfänger ab.
»Waidmanns Dank!«, antwortete der König lächelnd. »Das ist wirklich ein Prachtbursche. Du hast mir Glück gebracht, Friedrich. Aber nun lass uns zurückeilen, es wird nicht mehr lange dauern, und wir müssen durch die Dunkelheit zur Hütte hinauf.«
»Lassen Sie mich vorangehen, Majestät!«, sagte der Oberstleutnant und schritt gleich auf dem Weg voran, während der König ihm kopfschüttelnd folgte. Um das erlegte Wild würden sich die Treiber kümmern.
Sie hatten gerade ein besonders schwieriges Wegstück vor sich, das sie so beim Aufsteigen nicht wahrgenommen hatten, denn da trieb sie der Jagdeifer an. Jetzt aber mussten sie behutsam gehen und dabei sehr darauf achten, wie sie ihre Füße setzten. Der Oberstleutnant sah sich sorgfältig um, warf auch mehrfach einen Blick nach oben und schrie plötzlich entsetzt auf.
Noch ehe der König ahnte, was geschah, warf sich der Offizier gegen ihn, sodass beide zu Boden fielen. Dabei hatte Zastrow die Geistesgegenwart, den König an seiner Joppe festzuhalten und dadurch den Sturz zu mildern. Auf den Weg prasselten jetzt zahlreiche Steine und polterten ein Stück weiter ins Tal, die weitaus größte Geröllmenge aber war auf der Stelle heruntergekommen, an der sie sich gerade noch befunden hatten.
»Sakra, das hätte schief gehen können! Danke dir, Friedrich, hast ein gutes Reaktionsvermögen!«
Der Offizier starrte den König an, und dann begann Ludwig, herzhaft zu lachen.
»Du müsstest dich einmal sehen, Friedrich! Der Herr Oberstleutnant in Galauniform!«
Verblüfft