Kleine Novellen. Уилки КоллинзЧитать онлайн книгу.
Ihr Leben auch der Gefahr ausgesetzt, wenn Sie Frauen ins Boot nahmen. Lesen Sie es selbst und lassen Sie sich’s für die Zukunft zur Warnung dienen.«
Herr Cosway überblickte den Bericht des Vorfalls — und tat das romantische Geheimnis seines Lebens in dem ergebungsvollen Ausruf kund: »Gott sei Dank, meine Frau ist ertrunken!«
II.
Wenn ich sage, dass Baron Peter und seine Gäste vor Erstaunen sprachlos waren, als sie auf diese Weise erfuhren, dass Herr Cosway ein verheirateter Mann sei, so habe ich damit noch sehr wenig gesagt.
Der allgemeine Eindruck schien der zu sein, dass er verrückt sei. Seine Tischnachbarn zogen sich, mit Ausnahme seines Freundes, alle von ihm zurück. Herr Stein blickte auf die Zeitung, drückte Herrn Cosway in stiller Teilnahme die Hand — und wandte sich an den Gastgeber.
»Erlauben Sie mir, dass ich für meinen Freund spreche« sagte er, »bis er die nötige Ruhe gefunden hat, für sich selbst einzutreten. Die Umstände sind so außergewöhnlicher Art, dass ich annehmen darf, ihn durch sie entschuldigt zu sehen. Wollen Sie uns erlauben, mit Ihnen privatim zu sprechen?«
Baron Peter öffnete, indem er sich mit einer Entschuldigung an seine Gäste wandte, die Tür, die zu seiner Studierstube führte. Herr Stein nahm Herrn Cosways Arm und ging mit ihm aus dem Zimmer. Cosway achtete auf niemand, sprach mit niemand — und bewegte sich nur mechanisch fort wie ein Nachtwandler.
Nach Verlauf einer Stunde, für die Zurückbleibenden eine unerträgliche Zeit, kehrte Baron Peter allein in das Frühstückszimmer zurück. Herr Cosway und Herr Stein waren mit ihres Gastgebers vollständigem Einverständnis bereits nach London abgereist.
»Es ist in mein Belieben gestellt« fuhr Baron Peter fort, »Ihnen wieder zu erzählen, was ich in meiner Studierstube gehört habe. Ich will dies tun unter der einen Bedingung — dass Sie alle sich auf Ehrenwort verpflichtet betrachten, die wahren Namen und die wirklichen Orte nicht zu nennen, wenn Sie die Geschichte anderen erzählen.«
Unter diesem klugen Vorbehalte wird die Geschichte hier von einem aus der Gesellschaft wieder erzählt. Dieser findet, wenn er darüber nachdenkt, wie er seine Aufgabe aufs vorteilhafteste lösen könne, dass die Ereignisse, welche Herrn Cosways unglücklicher Heirat vorausgingen und ihr folgten, sich in gewisse wohlmarkierte Teile bringen lassen. Indem er diese Einteilung zu Grunde legt, erzählt er die Geschichte wie folgt:
Erster Zeitabschnitt in Cosways Leben
Die Abfahrt Ihrer Majestät Schiff Albicorn wurde durch die ernste Krankheit des Kapitäns verzögert. Ein Mann, der keinen politischen Einfluss besaß, würde auf den bedenklichen Bericht des Arztes hin durch einen anderen Kommandanten ersetzt worden sein. Im vorliegenden Falle aber zeigten sich die Herren im Marineministerium als ein Muster von Geduld und Teilnahme Sie hielten das Schiff im Hafen zurück und warteten des Kapitäns Wiederherstellung ab.
Unter den jüngeren Offizieren in minder wichtigen Stellungen, die unter diesen Umständen an Bord nicht nötig waren und demgemäß leichten Urlaub erhielten, um auf dem Lande weitere Ordre abzuwarten, befanden sich auch zwei junge Männer im Alter von 22 und 23 Jahren, die unter den Namen Cosway und Stein bekannt waren.
Das Ereignis, durch das sie uns jetzt bekannt werden, nimmt seinen Anfang in einem bedeutenden Seehafen an der Südküste Englands und zeigt uns die beiden jungen Herren am Mittagstische in einem Privat-Zimmer ihres Gasthofes.
»Ich glaube, dass wir die letzte Flasche Champagner entkorkt haben« sagte Cosway. »Lass uns noch eine versuchen. Du bist der Schelle am nächsten, Stein. Schelle!«
Stein zog die Schelle, aber er machte seine Bedenken geltend. Er war der ältere von beiden und ein Muster von Besonnenheit.
»Ich fürchte, dass unsere Rechnung schrecklich aufläuft« sagte er. »Wir sind länger als drei Wochen hier gewesen —«
»Und wir haben uns nichts versagt« fügte Cosway hinzu. »Wir haben wie Fürsten gelebt. Kellner, noch eine Flasche Champagner! Wir haben unsere Reitpferde, unsere Wagen, die beste Loge im Theater und Zigarren, wie sie London selbst nicht liefern kann. Das heiße ich den höchsten Vorteil aus dem Leben ziehen. Probiere einmal die neue Flasche! Herrliches Getränk, nicht wahr? Warum hat denn nur mein Vater keinen Champagner auf seinem Familientische?«
»Ist dein Vater ein reicher Mann, Cosway?«
»Ich könnte es nicht sagen. Er gab mir nichts als das gehoffte Geld, als ich ihm Lebewohl sagte — und ich glaube sogar, er ermahnte mich beim Abschiede ernstlich, mit ihm recht sparsam umzugehen. ‚Du bekommst keinen Heller mehr‘, sagte er, ‚bis euer Schiff von seiner Fahrt nach Südamerika wieder zurückkehrt.‘«
»Dein Vater ist ein Geistlicher, Stein.«
»Ja, und was willst du damit sagen?«
»Nun, einige Geistliche sind reich.«
»Mein Vater ist keiner von diesen, Cosway.«
»Dann lass uns nicht mehr von ihm sprechen. Schenke dir selbst ein und reiche mir dann die Flasche.«
Anstatt dieser Aufforderung zu folgen, erhob sich Stein mit sehr ernster Miene und zog noch einmal die Schelle.
»Bitten Sie die Wirtin heraufzukommen« sagte er, als der Kellner erschien.
»Was willst du mit der Wirtin?« fragte Cosway.
»Ich wünsche die Rechnung.«
Die Wirtin — eine Frau Pounce — betrat das Zimmer. Sie war Witwe, von kleiner Statur, alt, wohlbeleibt und geschminkt.
Leute, die Charaktere studieren, wie solche im Gesicht ausgeprägt sind, würden Bosheit und List in ihren glänzenden kleinen schwarzen Augen und ein heftiges, rachsüchtiges Gemüt in den Linien ihrer dünnen roten Lippen wahrgenommen haben. Die beiden jungen Offiziere waren solch feiner Unterscheidungen nicht fähig und gingen daher in ihren Ansichten über Frau Pounce weit auseinander. Cosways sorgloser, heiterer Sinn gefiel sich in der Behauptung, dass er verliebt in sie sei. Stein hatte dagegen von Anfang an eine Abneigung gegen sie gefasst. Als sein Freund nach deren Grunde fragte, gab er eine merkwürdig dunkle Antwort.
»Erinnerst du dich jenes Morgens, als du im Walde die Schlange tötetest?« sagte er. »Ich fasste eine Abneigung gegen die Schlange.«
Cosway stellte keine weiteren Fragen an ihn.
»Nun, meine jungen Helden« rief Frau Pounce, die immer laut, immer heiter und immer zutraulich gegen ihre Gäste war, »was wünschen Sie denn von mir ?«
»Nehmen Sie ein Glas Champagner, mein Liebchen« sagte Cosway, »und lassen Sie mich versuchen, ob ich meinen Arm um Ihre Taille legen kann. Das ist alles, was ich von Ihnen wünsche.«
Die Wirtin ließ diese Bemerkung unerwidert vorübergehen. Obgleich sie zu beiden gesprochen hatte, blieben doch ihre kleinen, listigen Augen von dem Augenblicke ihres Eintritts an auf Stein haften. Instinktmäßig erkannte sie den Mann, der sie nicht leiden mochte — und sie wartete bedächtig auf Steins Antwort.
»Wir sind eine Zeitlang hier gewesen« sagte dieser, »und Sie würden uns verpflichten, Madame, wenn Sie uns die Rechnung geben wollten.«
Frau Pounce öffnete mit einem Ausdruck unschuldiger Überraschung weit die Augen. »Ist der Kapitän wieder gesund und müssen Sie heute abend an Bord gehen?« fragte sie.
»Nichts von alledem!« warf Cosway dazwischen. »Wir haben keine Nachricht von dem Kapitän und gehen heute abend ins Theater.«
»Aber« wiederholte Stein, »wir wünschen die Rechnung zu haben, wenn es beliebt.«
»Gewiss, verehrter Herr« sagte Frau Pounce, indem sie plötzlich eine ehrerbietige Miene annahm. »Aber wir sind drunten sehr beschäftigt und hoffen, dass Sie uns heute abend nicht drängen werden.«
»Natürlich nicht!« rief Cosway.