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Die Kostenvermeidungsdirektive. Jens WahlЧитать онлайн книгу.

Die Kostenvermeidungsdirektive - Jens Wahl


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zufrieden. Von seinem Vollbart, den er während seiner Jahre in Nordostdeutschland getragen hatte, war als Relikt lediglich ein inzwischen fast komplett weißer Schnauzbart übrig geblieben. Zwei kräftig ausgeprägte Geheimratsecken und ein am Hinterkopf durchscheinendes "Knie" wurden von seinen nur wenige Millimeter langen, weißen Haaren noch betont. Sein Vater hatte zu dessen Lebzeiten eine deutlich kräftigere Ausprägung einer Glatze gehabt und versucht, diese mittels weniger, langer Haarsträhnen zu verdecken, die dann bei jedem Windhauch umhergewirbelt wurden. Dies mochte Torsten absolut nicht und spottete immer wieder bei seinem Vater über dessen Versuche, den "Hühnerpopo" zu verstecken. Torstens Frau Gudrun hatte zwar eine Art Bürokauffrau gelernt, war aber noch zu DDR-Zeiten strafversetzt worden und musste ab dann als Verkäuferin zu einem Hungerlohn arbeiten, weil sie damals keine VD-Verpflichtung unterschreiben wollte - diese hätte ihr den Kontakt mit ihrer in Brühl bei Köln lebenden Oma untersagt. Wie das Leben so spielt, starb ihre Oma kurz danach. Hier in Traunstein saß Gudrun an der Kasse eines Supermarktes.

      Max, ein Traunsteiner Urgestein, war Torstens Hausarzt und hatte vor etwa zehn Jahren bei Torsten einen Infekt mit schwerwiegenden Folgen diagnostiziert. Trotz rasender Schmerzen im Rücken und immer wieder wegknickender Beine war Torsten erst dann zum Arzt gefahren, als es wirklich nicht mehr ging. Max war von dem Verhalten des damals erst seit ein paar Monaten in Bayern lebenden angetan - da wurde nicht gleich wegen eines kleinen Risses im Finger der Notarzt gerufen, wie das heutzutage oft der Fall war! Und bei einem echten Notfall ist dann kein Notarzt verfügbar. Nach Torstens Rückkehr aus der Spezialklinik erhielt er von Max die Einladung, am Stammtisch den gerade frei gewordenen Platz einzunehmen - sein „Vorgänger“ war kurz zuvor zu den „Isarpreissn“ gezogen, da ihm die tägliche Pendelei zwischen Traunstein und München zu viel war. Torsten war nicht so der Stammtisch-Fan und befürchtete, unter den vielen Bayern auch sprachlich unterzugehen. Als Gudrun mal an einem Stammtischtermin Spätdienst hatte, ging er trotzdem hin und blieb dabei. Obwohl Max und Torsten beide gern in den heimischen Bergen wanderten, hatten sie noch nie zusammen eine Tour unternommen. Der Grund dafür lag in der Art der "Bergwanderung": Während Max versuchte, möglichst schnell auf den Berg zu kommen und natürlich auch wieder schnellstmöglich zurücklief, wanderten Torsten und seine Frau Gudrun nicht gegen die Uhr. Sie betrachteten es als Ausgleich zu ihrer sitzenden Tätigkeit, legten Wert auf eine gute Aussicht und wollten möglichst auch Tiere beobachten. Gudrun hatte ihre Art des Bergwanderns einmal als "Genusswandern" bezeichnet. Max dagegen rannte auch bei Nebel oder Regen los, ihm ging es ausschließlich um die sportliche Leistung.

      Dieser Stammtisch war im Prinzip schon praktiziertes innerdeutsches Miteinander. Jeder hatte aufgrund seiner Erfahrungen einen anderen Blickwinkel auf die Dinge und so gab es immer wieder Grund zu mehr oder weniger sinnvollen Diskussionen, die auch meist sachlich blieben. Im Prinzip waren sich alle am Stammtisch einig: Den Flüchtlingen musste geholfen werden. Aber mit Augenmaß und Überlegung. Beides ließ die Bundesregierung in dieser Zeit leider sehr vermissen. Der Einzige, der in Deutschland versuchte, den Flüchtlingsstrom in geordnete Bahnen zu lenken, war der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer. Dafür wurde auch er sehr schnell als „Rechter“ abgestempelt. Im Endeffekt galt aber bei ihm leider auch nur der Spruch: Hunde, die bellen, beißen nicht. Er konnte rein rechtlich der Bundesregierung nichts vorschreiben. Und Angela Merkel ließ sich auch nichts sagen. Wie wurde damals so schön gelästert: Alle haben das Recht auf Merkels Meinung.

      Schnell wurde es am kleinen Stammtisch ruhiger: Osaro, der nigerianische Koch, brachte selbst das Essen. Er wurde von dieser Runde aufgrund seiner Kochkunst sehr geschätzt. Klaros Meinung war, dass die Bayern keinen Kuchen backen können, wogegen Toni und Max natürlich lautstark protestieren mussten. So hatte Klaro Osaro die Rezepte für Thüringer Rahm- und Mohnkuchen verraten; seitdem brummte auch der Kaffeebetrieb am Wochenende. Wirt Alois ließ sich nicht lumpen, als er den Grund dafür feststellte. Nun gingen bei Klaro zu jedem Stammtisch, der immer am letzten Freitag eines Monats stattfand, das erste Hefeweizen und ein großer Teller Bratkartoffeln mit Leberkäs und Spiegelei auf das Haus. Er ließ es sich gefallen.

      Osaro war nur als Aushilfe zufällig in der Küche gelandet. Als Alois einmal krankheitsbedingt ausfiel, kochte er einfach und zeigte, dass er die bayerische Küche sehr gut kennt. Dazu kamen noch ein paar Spezialitäten aus seiner Heimat und der „Wolpertinger“ hatte, als Alois gesundet zurückkam, eine etwas größere Stammkundschaft. Seitdem war der immer fröhliche Osaro bei Alois fest als Koch angestellt. Osaro war schon als Kind nach Deutschland gekommen und besaß die deutsche Staatsbürgerschaft. Anton hatte ihn einmal nach der Bedeutung seines Vornamens gefragt. „Gott ist hier“, antwortete Osaro und lächelte. „Welcher denn, der christliche Gott, Allah oder sonst einer?“, wollte Anton wissen und grinste. „Ich bin Katholik, also der christliche Gott. In Nigeria leben etwa 50% Muslime und 46% Christen, von Letzteren sind wiederum nur 25% katholisch“, antwortete Osaro. Seine Eltern seien geflohen, weil es immer wieder tödliche Angriffe auf die im Süden des Landes lebenden Christen gab.

      Nach dem Essen fragte Toni Torsten: „Vor ein paar Tagen habe ich im Fernsehen diese Demo der Bevölkerung in Sachsen gegen die Flüchtlinge gesehen. Weshalb seid ihr Ossis nur immer so gegen andere?“

      „Das sind wir überhaupt nicht. Den Bericht kenne ich. Es ging dabei um etwas ganz anderes, nämlich um die Forderung nach einer gesteuerten Migration. Blöd war nur, dass sich der Demo ein paar Rechte angeschlossen hatten - die hätten außen vor bleiben müssen.

      Zum Ersten: Auch wir Ossis hatten genügend ausländische Arbeiter im Land: aus Angola, Mosambik, Vietnam, Kuba, Ungarn und dem damaligen Jugoslawien. Dazu noch die Russen als Besatzungsmacht. Probleme wird es auch damals gegeben haben, aber das wurde ja immer verschwiegen.

      Zum Zweiten: Du musst die Pegida-Demonstrationen von denen der anderen Bürger auseinanderhalten. Nur ist es so, dass jeder, der mit unserer jetzigen Regierung beziehungsweise mit deren Arbeit unzufrieden ist, kein Sprachrohr hat. Damit laufen natürlich viele der AfD und Pegida zu. Zurzeit hast Du keine andere Möglichkeit, als entweder für oder gegen die Politik unserer Regierung zu sein - es wird von oben keine Schattierung dazwischen erlaubt, siehe Gabriel. Und was ich absolut nicht verstehe: 1989 nahmen wir in Kauf, erschossen zu werden oder im Stasi-Gefängnis zu landen. Und haben trotzdem demonstriert. Weshalb gehen die Wessis nicht raus auf die Straße, wenn ihnen etwas nicht passt - das ist doch jetzt viel ungefährlicher!

      Zum Dritten: Wir Ossis haben schon einmal den Untergang eines Staates miterleben müssen unter Honecker. Da ist man sensibilisiert für so etwas.“

      Der hagere Max nickte: „Ja, daran sieht man, dass es immer wieder zu Vorurteilen kommt, weil man nicht genügend informiert ist. Aber das wäre doch eine Aufgabe der GEZ-Kassierer!“

      „Die dürfen nur das senden, was von oben erlaubt wird. Das siehst du zum Beispiel an den im deutschen Fernsehen deutlich geringeren Zahlen zu den Flüchtlingen gegenüber denen im ORF genannten. Wir leben aber heute im Informationszeitalter und jeder hat so die Möglichkeit, selbst nach konkreten Informationen zu suchen. Das sollte man auch nutzen, bevor man über irgend etwas oder irgendeinen schimpft - aber aufpassen, auf welchen Seiten man da gelandet ist“, fügte Klaro als Schlusswort hinzu.

      Nach dem zweiten Hefeweizen bestellte sich Klaro ein Taxi und ließ sich nach Hause fahren, also in die Traunsteiner Mietwohnung. Die Mietpreise in Traunstein waren noch nicht ganz so in die Höhe geschnellt wie im „benachbarten“ Rosenheim, das leider von vielen Münchner Pendlern als Schlafstadt missbraucht wurde. Diese kassierten das höhere Gehalt in München und versauten aufgrund der gestiegenen Nachfrage den in Rosenheim Arbeitenden die Mietpreise. Traunstein lag schon etwas weiter weg von der Landeshauptstadt und war dadurch weniger davon betroffen.

      Nach dem Begrüßungskuss sagte Gudrun wie immer, dass ihr Mann furchtbar nach dem Bier schmecke und nach Tabak stinke, obwohl er Nichtraucher war. Wie sonst soll ein Mann riechen und schmecken, wenn er aus der Kneipe kommt? Nach Parfüm? Das würde bei jeder Ehefrau sofort Misstrauen erwecken.

      Er kam nach dem Duschen in die hell eingerichtete Stube. Familie Klarmann hatte sich nicht so eingerichtet, wie es durch die Marketing-Strategen gerade als 'modern' vorgeschrieben wurde mit dunkelbraunem bis schwarzem Mobiliar, sondern so, wie es ihnen am besten gefiel: eine Wohnwand


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