Der Brigant. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
früherer Soldaten und Offiziere, wurden häufig in nicht gerade sehr schmeichelhafter Art in den Polizeiberichten erwähnt. Es waren alles intelligente, rührige Menschen, aber sie wandten ihre Begabung in falscher Weise an. Ihre Art zu handeln war mit seinen Prinzipien über Eigentum nicht vereinbar, obwohl er nicht peinlich an alten Begriffen hing.
Einige dieser Abenteurer waren mit einer Maske vor dem Gesicht und einem Revolver in der Hand in einsam gelegenen Postbüros erschienen und hatten unter dem lauten Protest der Beamten den Inhalt der Schalterkassen mitgenommen. Andere waren ähnlich verkleidet in Depositenkassen und Banken aufgetaucht und hatten Geldsummen mitgehen lassen, die ihnen nicht gehörten.
Anthony hatte alles dies wohl überdacht und eingesehen, daß man auch durch Anwendung des reinen Verstandes Geld verdienen konnte, ohne das Geringste zu riskieren. Er hatte sich vorgenommen, den einflußreichen Mr. Mansar kennenzulernen, der sich unter gewöhnlichen Umständen überhaupt nicht sprechen ließ. In sein Büro in der Stadt zu gehen und um eine Unterredung mit ihm zu bitten, wäre ebenso nutzlos gewesen, wie einen Beamten am Schalter zu fragen, ob man nicht den Postminister sprechen könnte. Mr. Mansar wurde von vielen Wächtern umgeben, die ihn hermetisch von der Außenwelt abschlossen. Da gab es Sekretäre, Abteilungschefs, Hauptgeschäftsführer und Direktoren, gar nicht zu reden von den Pförtnern, Bürodienern, Boten und anderen Angestellten.
Es gibt zwei Wege, mit großen Leuten bekannt zu werden. Man kann sich ihnen nähern, wenn man ihre Liebhabereien entdeckt hat; das ist gewöhnlich ihre schwächste Seite. Oder man tritt ihnen gegenüber, wenn sie auf Erholungsreisen sind. Es ist eine bekannte Tatsache, daß man den Mann, der in der City von London unerreichbar ist, sehr leicht an der Riviera sprechen kann.
Aber anscheinend ging Mr. Mansar niemals auf Erholungsreisen, und es schien seine einzige Liebhaberei zu sein, sich mit dem Glanz des Genies zu umgeben.
Nachdem das Essen vorüber war, und Anthony also seinen Zweck erreicht hatte, gab es keine Entschuldigung mehr für ihn, noch länger hier zu verweilen. Er wartete allen Ernstes auf die Mitteilung, daß ein Wagen vor der Tür stände, um ihn nach der Station zu bringen, und daß Mr. Mansar sich freuen würde, wenn er nächsten Donnerstag ihn zum Abendessen in seiner Stadtwohnung erwarten könnte. Vielleicht würde er ihn auch zum Mittwoch oder Freitag einladen, möglicherweise würde sich die Sache auch um eine oder zwei Wochen verschieben. Aber merkwürdigerweise ließ diese Einladung auf sich warten, und man behandelte ihn so, als ob er zu dauerndem Besuch hier eingetroffen sei.
Mr. Mansar zeigte ihm die Bibliothek und forderte ihn auf, es sich gemütlich zu machen. Er empfahl ihm bestimmte Bücher, die in Mußestunden sein Interesse wachgerufen hatten.
Anthony Newton gab eine liebenswürdige Antwort und ließ sich in einem Klubsessel nieder. Aber er las nicht, sondern gab sich schönen Gedanken hin und träumte von großen Plänen, die er mit Hilfe dieses mächtigen Finanzmannes ausführen konnte, vielleicht sogar als sein Partner.
In der Bibliothek befand sich ein großes Fenster, von dem aus man eine mit Marmorfliesen belegte Terrasse überschauen konnte, und Anthony sah, daß Mr. und Miss Mansar draußen auf und ab gingen. Sie sprachen leise miteinander, und da er schon alle Scheu abgelegt hatte, schlich er sich nahe an das Fenster heran und lauschte, als sie vorübergingen.
»Er sieht entschieden besser als der letzte aus«, sagte Vera.
Mr. Mansar nickte.
Was soll das heißen? Er sah viel besser aus als der letzte? Anthony zerbrach sich den Kopf.
Jetzt kamen sie wieder zurück.
»Er hat ein recht kluges Gesicht und schlaue Augen«, hörte er wieder Veras Stimme.
Mr. Mansar brummte irgend etwas.
Anthony zweifelte nicht einen Augenblick, von wem sie sprachen. Als sie sagte, »er hatte ein kluges Gesicht«, wußte er, daß er gemeint war.
Sie kamen nicht wieder. Anthony wartete ungeduldig und ein wenig neugierig. Er hatte gerade den Entschluss gefaßt, sich nun zu verabschieden, als Mr. Mansar in die Bibliothek trat und die Tür sorgfältig schloß.
»Ich möchte eingehend mit Ihnen sprechen, Mr. Newton«, sagte er feierlich. »Ich habe mir überlegt, daß Sie meiner Firma von größtem Nutzen sein könnten.«
Anthony räusperte sich. Dieser Gedanke war ihm ja vorhin auch gekommen.
»Kennen Sie Brüssel?«
»Wie meine Tasche«, erwiderte Anthony prompt. Er war zwar niemals dort gewesen, aber er wußte ja, daß er sich aus jedem Fremdenführer die nötigen Kenntnisse aneignen konnte.
Mr. Mansar runzelte die Stirn.
»Es scheint irgendwie von der Vorsehung so eingerichtet gewesen zu sein, daß Sie kamen. Ich brauche jemand für eine vertrauliche Mission. Gerade diesen Nachmittag wollte ich zur Stadt fahren, um jemand für diesen Auftrag auszusuchen, aber ich sagte Ihnen ja, daß Sie mir wie durch ein Wunder in den Weg gelaufen sind. Ich habe es eben mit meiner Tochter besprochen. Ich hoffe, daß Sie mir diese kleine Unliebenswürdigkeit verzeihen«, sagte er höflich.
Anthony hatte ihm längst vergeben.
»Meine Tochter, die sich gut auf Charakterbeurteilung versteht, hat den besten Eindruck von Ihnen bekommen.«
Anthony war neugierig, welche Mission ihm anvertraut werden sollte, und Mr. Mansar ließ ihn auch nicht lange warten.
»Sie müssen heute Abend noch mit dem Nachtzug nach Brüssel fahren und bis Mittwoch dort bleiben. Haben Sie genügend Geld zu Ihrer Reise?«
»O ja«, sagte Anthony leichthin.
»Nun, das ist gut.« Mr. Mansar nickte ernst, als ob er darin nie gezweifelt hätte. »Sie werden einen versiegelten Brief mitnehmen, den Sie am Mittwochmorgen in der Gegenwart meines Brüsseler Agenten, des Monsieur Larnont öffnen. Er ist der Chef der Firma Larnont & Cie., der großen Bankfirma, von der Sie wahrscheinlich schon gehört haben.«
»Selbstverständlich.«
»Ich wünsche, daß Sie Ihre Mission geheimhalten und niemand etwas davon sagen. Sie werden das verstehen.«
Anthony verstand vollkommen.
»Glücklicherweise braucht man zwischen England und Belgien keinen Paß. Sie können also ohne Schwierigkeiten und ohne weitere Vorbereitungen abreisen. In einer halben Stunde fährt ein Zug zur Stadt, und hier ist der Brief.«
Er nahm ein Schreiben aus seiner Brusttasche, das. an Mr. Anthony Newton adressiert war. Darunter stand der Vermerk: Zu öffnen in Gegenwart von Monsieur Lamont, 119, Rue Patriele, Brüssel.
»Ich kann Ihnen allerdings nicht versprechen, daß Sie gut bezahlt werden oder überhaupt eine Belohnung bekommen, wenn Sie diese Mission ausführen. Aber ich nehme an, daß Ihnen diese Erfahrung in mehr als einer Weise nützlich werden wird.«
Anthony legte diesem vorsichtigen Versprechen eine ganz besondere Bedeutung bei und lächelte glücklich.
»Ich glaube, ich breche am besten sofort auf«, sagte er energisch. »Wenn ich diesen Auftrag ausführen soll, möchte ich keine Zeit verlieren. Es ist nicht das erste Mal, daß mir wichtige Missionen anvertraut werden.«
»Ich glaube, Sie haben recht, wenn Sie jetzt gehen«, erwiderte Mr. Mansar nüchtern.
Anthony hoffte, die junge Dame noch einmal zu sehen, bevor er ging, aber er hatte kein Glück. Nur der Chauffeur war da, der ihn zur Station brachte. Als er an den Trümmern seines Wagens vorbeifuhr, der noch im Chausseegraben stand, bedauerte er nicht, so viel Geld dafür gegeben zu haben. Immerhin konnte man den Wagen noch als Alteisen Verkaufen.
Er erreichte Brüssel zeitig und besuchte Monsieur Lamont am Montag in seinem Büro. Er lernte einen kleinen, untersetzten Herrn kennen, der einen wunderbaren Vollbart trug. Er war sehr erstaunt über die Ankunft dieses flotten und geheimnisvollen jungen Engländers.
»Ach, das ist sehr interessant. Sie kommen von Mr. Mansar?« fragte er respektvoll, ja mit einer gewissen Verehrung. »Er hat mir