Der Brigant. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
der Wagen sieht jetzt zwar alt aus«, meinte er liebenswürdig, »nachdem er vollständig zusammengefahren ist. In Wirklichkeit war es ein neuer Wagen.«
»Aber das ist ganz bestimmt ein alter Wagentyp«, entgegnete sie hartnäckig. »Es ist ein Bennett-Wagen – die neueren Modelle haben eine ganz andere Haube.«
»Die Haube meines Wagens mag ja altmodisch sein«, protestierte er. »Ich bin überhaupt ein altmodischer Mann und fahre deshalb ein solches Modell. Als ich den Wagen kaufte, bestand ich darauf, daß er mit der alten Haube geliefert wurde. Sonst ist er aber vollkommen neu. Sehen Sie doch einmal auf die gute Polsterung, die Lackierung ...«
»Sie haben ihn erst ganz kürzlich streichen lassen«, unterbrach sie ihn. »Die Farbe ist ja noch ganz frisch!« Sie tippte mit dem Finger darauf und zeigte ihm einen kleinen, schwarzen Flecken. »Sehen Sie!« rief sie triumphierend. »Und ich möchte darauf wetten, daß der Wagen mit Binko gestrichen ist. In allen Fachzeitschriften können Sie annonciert finden«: ›Binko-Automobillack trocknet in zwei Stunden‹.« Wieder berührte sie den Wagen mit ihrem Finger und schaute auf einen zweiten Flecken. »Das heißt, Sie haben die Maschine vor vierzehn Tagen streichen lassen, denn es dauert einen Monat, bis die Farbe trocken ist.«
Anthony hüllte sich in diskretes Schweigen. Er fühlte instinktiv, daß das ihrer Entdeckung gegenüber die richtige Taktik war. Und um die Wahrheit zu sagen, fiel ihm im Augenblick auch keine passende Antwort ein.
»Es war aber sehr ritterlich von Ihnen, daß Sie in den Graben ausbogen«, fügte sie jetzt wärmer hinzu. »Mein Vater wird Ihnen sehr dankbar sein. Glauben Sie nicht, daß Sie die Maschine wieder in Gang bringen können?«
Aber Anthony war sicher, daß er dazu nicht mehr Imstande wäre. In Wirklichkeit hatte er den Wagen erst vor einer Woche zum Preise von dreißig Pfund gekauft. Der frühere Eigentümer hatte fünfunddreißig verlangt; daraufhin hatte Anthony ihm dreißig Pfund in die Hand gedrückt und damit war der Kauf perfekt geworden. Mit dieser Praxis hatte Anthony von jeher gute Erfahrungen gemacht.
»Soll ich Sie nach Pilbury fahren?« fragte sie.
»Habe ich Gelegenheit, von dort aus zu telefonieren?«
»Ich werde Sie mit nach Hause nehmen«, sagte Vera Mansar kurz entschlossen. »Unsere Wohnung liegt nicht weit von hier, und Sie können von dort aus telefonieren. Auch hätte ich gerne, daß Sie mit meinem Vater sprechen. Natürlich werden wir nicht zugeben, daß Sie durch Ihre Aufopferung irgendwelchen Schaden haben – trotzdem ich ein Signal gab, als ich um die Ecke bog.«
»Das ich aber leider nicht hörte«, erwiderte Anthony ernst.
Gleich darauf saß er an ihrer Seite. Geschickt wandte sie den Wagen und fuhr dann ein scharfes Tempo. Plötzlich bog sie von der Fahrstraße ab und fuhr haarscharf an einem der großen Steinpfeiler vorbei, die den Eingang eines Parktores flankierten. Die breite Fahrstraße führte zu einer palastähnlichen Villa, deren Umrisslinien zwischen prachtvollen Ulmen sichtbar wurden.
Mr. Gerald Mansar war ein untersetzter Herr mit einem kahlen Kopf. Er war äußerst lebhaft, und man sah ihm an, daß er ein energischer, erfolgreicher Geschäftsmann war. Sein interessantes Gesicht erhielt durch einen weißen Schnurrbart und durch weiße Augenbrauen eine besondere Note. Mit unerschütterlicher Ruhe hörte er die Geschichte an, die ihm seine schöne Tochter von dem Unfall erzählte.
»Aber du hast doch ein Warnsignal gegeben?«
»Jawohl, Vater, ich bin ganz sicher, daß ich es tat.«
»Und außerdem bist du doch sicherlich in einem vernünftigen Tempo gefahren?«
Anthony Newton hatte in früheren Jahren einige Erfahrungen über die gesetzlichen Bestimmungen gesammelt, die auf dem Lande Geltung haben. Er erkannte sofort, worauf Mr. Mansar hinauswollte, und hielt den Augenblick für günstig, persönlich in die Unterhaltung einzugreifen.
»Sie verstehen, Mr. Mansar, daß ich Ihrer Tochter keine Schuld zuschieben will und sie von jeder Verantwortung freispreche. Ich habe nie bezweifelt, daß sie ein Signal mit ihrer Hupe gegeben hat, obwohl ich es nicht hörte. Ich will ihr auch keinen Vorwurf machen und bin ebenso davon überzeugt, daß sie nicht zu schnell fuhr. Wenn ein Fehler gemacht wurde, so liegt er ganz auf meiner Seite.«
Anthony Newton hatte die Charaktere der Menschen, besonders der reichen, studiert, und hatte seine Studien von den verschiedensten Gesichtspunkten aus betrieben. Es war eine der ersten Tatsachen, die er lernte, daß man diese Leute möglichst von jeder gesetzlichen Verantwortung freisprechen mußte, wenn man einen Anspruch an sie stellte. Gerade die Reichen hassen gesetzliche Verpflichtungen. Sie zahlen den Rechtsanwälten große Summen, um zu ihrer eigenen Genugtuung und vor der Welt zu beweisen, daß sie gesetzmäßig zu keiner Zahlung verpflichtet sind. Großmütigkeit ist dagegen die Freude der vornehmen Reichen. Die meisten Millionäre ziehen es vor, freiwillig tausend Pfund zu zahlen als fünf Schilling unter gesetzlichem Zwang.
Mr. Mansars Gesichtszüge entspannten sich.
»Sicherlich kann ich nicht zugeben, daß Sie geschädigt werden, Mr. ...«
»Mein Name ist Newton.«
»Ach, Newton? Sind Sie Teilhaber der Firma Newton, Boyd & Wilkins, die die großen Gummiplantagen besitzen?«
»Nein, mit Gummiplantagen habe ich nichts zu tun.«
»Dann sind Sie einer von den Newtons, die die große Porzellanfabrik haben?« fragte Mr. Mansar erwartungsvoll.
»Nein, auch zu dieser Firma habe ich keine Beziehung.«
Nachdem Mr. Mansar durch eine längere Unterhaltung herausgefunden hatte, daß sein Gast weder zu den Newtons von Warwickshire, noch zu denen von Monmouth gehörte, und ebensowenig mit den Newtons in Irland oder Schottland verwandt war, ließ sein Interesse plötzlich nach.
»Nun also, meine Liebe, was wollen wir tun?«
Vera lächelte.
»Wir müßten doch mindestens Mr. Newton zum Mittagessen einladen?« sagte sie, und ihr Vater, der anscheinend nicht recht wußte, wie er diese Verhandlung zu einem guten Ende bringen sollte, ging sofort darauf ein.
»Woher wußten Sie denn eigentlich meinen Namen? Natürlich wird meine Tochter ...«
Anthony lächelte.
»Nein, ich weiß in der Stadt gut Bescheid, und selbstverständlich ist auch Ihr Landsitz hier bekannt.«
»Gewiß«, sagte Mr. Gerald Mansar. Dieser Mann, der die Hausse in Petroleumaktien von Nigeria und in den Aktien irischer Leinewebereien inszeniert, der das Milwaukee-Patentleder-Syndikat gegründet und zwei Millionen hineingesteckt hatte, wußte sehr wohl, daß er nicht unbekannt war.
»Sind Sie auch in der City tätig, Mr. Newton?«
»Jawohl.«
Anthony war zwar an der City nur insoweit interessiert, als er ein Büro in der ersten Etage eines Geschäftshauses gemietet hatte. Auch ein schönes Schild war an der Tür angebracht. Es war gerade kein großer Raum – man hätte in seinem Büro keine Katze am Schwanz umherwirbeln können, wie einer seiner Bekannten gesagt hatte. Aber Anthony hielt ja keine Katze, und selbst wenn er eine besessen hätte, wäre er niemals so grausam gewesen.
Das Mittagessen verlief in angenehmer Unterhaltung, denn ein unerwarteter Faktor, den Anthony ursprünglich bei seinem Plan nicht eingesetzt hatte, ließ ihm die Sache reizvoll erscheinen. Anthony Newton wußte ganz genau, daß Mr. Mansar selbst jeden Sonntagmorgen in seinem eleganten Wagen nach Pullington fuhr. Er kaufte deshalb ein altes Auto und verbrachte manche Stunde damit, es mit Binko zu streichen und ihm dadurch einen jugendlicheren Glanz zu verleihen. Er hatte nicht voraussehen können, daß sein Abenteuer so liebenswürdig enden würde. Er wußte zwar, daß der Millionär Mr. Mansar eine Tochter hatte, auch hatte ihm irgend jemand gesagt, daß sie schön sei. Aber als er diesen Unglücksfall so listig und schlau bewerkstelligt hatte, konnte er nicht ahnen, daß er der jungen Dame selbst begegnen würde.
Anthony Newton war auf seine Art ein ehrlicher Abenteurer.