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Das Wunder Mozart. Harke de RoosЧитать онлайн книгу.

Das Wunder Mozart - Harke de Roos


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Leopold sich übrigens bestens verstand, galt als linientreu in den Augen des feudalistischen Teils der Aristokratie. Für die Feudalherren bedeuteten Leopolds Reformen einen lokalen Brand, der durch die angrenzenden Staaten vielleicht eingedämmt werden konnte. Florenz war eben nicht Wien. Nur dann würde für sie ein wirkliches Problem entstehen, wenn der Brandstifter auch auf den Kaiserthron kommen würde.

      Aus der Sicht Leopolds wurde die bescheidene Größe seines Landes dagegen zu einem Problem, das seine Reformen in zunehmendem Maße zu bremsen drohte. In der ersten Hälfte seiner Regierungszeit war es eher ein Vorteil, dass das Land, das er zu regieren hatte, nicht im Zentrum der damaligen Welt lag. Abseits vom Weltgeschehen konnte er in aller Ruhe experimentieren und seine gesellschaftlichen Visionen auf die Probe stellen. Aber gerade der unübersehbare Erfolg seiner Experimente führte zu einer gefährlichen Isolierung. So machten die Kapitalflucht aus seinem Lande und der reaktionäre Druck des nahe gelegenen Rom ihm schwer zu schaffen. Leopold spürte deutlich, dass er auf einsamem Posten stand. Die ersten Jahrzehnte seiner toskanischen Regierungszeit waren gekennzeichnet durch glänzenden Erfolg, sowohl in visionärer als in verwaltungstechnischer Hinsicht. An stillen Sympathisanten mit seiner Politik fehlte es ihm nicht; was er aber brauchte, damit der Erfolg nicht versiege, waren Verbündete, und zwar immer dringlicher.

      Leopolds Dilemma war klar. Weil Machtverzicht nun einmal dem menschlichen Naturell zu widersprechen scheint, war keiner der Mächtigen in den europäischen Hauptstädten dazu bereit, sich am Ritual der Selbstentmachtung zu beteiligen. Nicht einmal Leopolds natürlichste Verbündete, die eigenen Geschwister, waren in der Lage, dem Bruder auf dem Weg zur Demokratie zu folgen. Nur Maximilian Franz, der Jüngste der Familie, teilte die Ansichten seines Lieblingsbruders, besaß aber nicht die Kraft, oder wie man heute in Deutschland gerne sagt, die Power, um eine Revolution von oben tatkräftig zu unterstützen. Bei einem Reitunfall während des bayerischen Feldzugs von 1778 hatte er eine geheimnisumwitterte Verletzung am Oberschenkel erlitten, die ihm schwer zu schaffen machte. Wie es heißt, mussten an seinen Beinen Geschwülste wegoperiert werden. Als Reaktion darauf trat er in den Kirchendienst ein und eine dauerhafte Indolenz und monströse Korpulenz waren die Folge. Kein geringerer als Wolfgang Amadeus Mozart hat uns eine unüberhörbare Erhöhung der Stimme anschaulich gemacht:

       Als er noch nicht Pfaff war, war er viel wißiger und geistiger, und hat weniger, aber vernünftiger gesprochen. Sie sollten ihn ißt sehen! Die Dummheit guckt ihm aus den Augen heraus, er redet und spricht in alle Ewigkeit fort und Alles im Falset, er hat einen geschwollenen Hals – in einem Wort, als wenn der ganze Herr umgekehrt wäre! ….

      (17. November 1781)

      Trotz der bedauernswerten Beeinträchtigung seiner Manneskräfte war Maximilian für Leopold eine wichtige Figur auf dem Schachbrett der politischen und gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung. Von 1784 an regierte Maria Theresias Jüngster als Kurfürst und Erzbischof von Köln von Bonn aus ein Land, das wegen seiner Nähe zu Frankreich, Belgien und den Niederlanden eine exponierte Stellung einnahm. Vor allem nach der Französischen Revolution 1789 rückte das Kurfürstentum an die vorderste Front, zumal auch Belgien gegen die habsburgische Herrschaft zu rebellieren begann.

      Doch was heißt hier Front? Sowohl in Belgien als in Frankreich herrschten Schwestern und Schwäger von Leopold. Die österreichischen Niederlande wurden von Marie Christine und ihrem Mann Albert von Sachsen regiert, Frankreich von Ludwig XVI. und Leopolds kleiner Schwester Maria Antonia. Zu ihr, zu Marie Antoinette, hatte Leopold keinen nennenswerten Draht, Marie Christine stand dagegen in regem Austausch mit ihrem Bruder in der Toskana. Obwohl Christine zu Leopolds engsten Vertrauten gehörte und sogar in seine politischen Ideale eingeweiht war, dachte sie nicht daran, selbst auch nur ein Quäntchen Macht an die belgischen Stände oder gar das Volk abzugeben. Infolgedessen stand sie, wie Marie Antoinette, aus der Perspektive Leopolds in politischer Hinsicht auf der Gegenseite. Die damaligen Frontlinien machten nicht an Landesgrenzen halt, sondern liefen kreuz und quer durch die Gesellschaft, manchmal mitten durch Familien hindurch.

      Für Leopold bedeutete die Familie Last und Erfüllung in einem. Er entstammte einer sechzehnköpfigen Kinderschar, von der zehn die Eltern überlebten. Seinerseits zeugte er mit Maria Luisa sechzehn Kinder, von denen nur zwei vor den Eltern starben. In den letzten Jahren seiner Toskaner Regierung saßen nicht weniger als sieben Geschwister auf führenden Posten des abendländischen Staatenbouquets. Neben Maximilian in Bonn, Marie Antoinette in Paris und Marie Christine in Brüssel gab es in Italien Karoline als Königin von Neapel-Sizilien, Ferdinand als Gouverneur der Lombardei und Maria Theresias Sorgenkind Maria Amalia als Herzogin von Parma. Für Leopold bedeutete dies in jedem einzelnen Fall die schwierige Aufgabe, die Mitte zwischen Erfordernissen der Tages- und der Zukunftspolitik, zwischen Rücksicht auf die Familie und Durchsetzung der eigenen Interessen, zwischen Familienbanden und den üblichen Geschwisterrivalitäten zu halten.

      Neben diesen sechs regierenden Geschwistern und Kaiser Joseph gab es noch zwei weitere Schwestern: Maria Anna, das älteste Kind Maria Theresias, Schutzpatronin des bedeutenden Freimaurers Ignaz von Born und Äbtissin in Prag, und schließlich die durch die Pocken entsetzlich entstellte Maria Elisabeth, Äbtissin in Innsbruck.

      Es war selbstverständlich, dass Joseph nach dem Tod Maria Theresias 1780 für Leopold zur wichtigsten Bezugsperson avancierte, wenn man einmal von der eigenen Ehefrau absieht. Gegenüber dem Oberhaupt der habsburgischen Dynastie und Alleinherrscher der Donaumonarchie samt ausgedehnten Kronländern hatte Leopold absolute Gehorsamspflicht. Aber nicht nur für Leopold, auch für Mozart - und somit indirekt auch für uns - nahm Joseph eine Spitzenposition ein. Das nach dem Tod Maria Theresias einsetzende Dezennium, dessen Ende durch Josephs Tod markiert wird, fällt weitgehend zusammen mit dem so genannten Goldenen Jahrzehnt der Wiener Klassik, das 1781 begann und mit Mozarts Tod 1791 zu Ende ging. Sowohl für die Mission des einen als auch für die Karriere des anderen bedeutete das Wirken des Reformkaisers Joseph eine große, entscheidende Chance. Durch ein tragisches Zusammentreffen unglücklicher Faktoren wurde diese Chance vertan und zwar so gründlich, dass man es kaum zu glauben vermag.

      Kapitel 6 • Joseph

      Der Hauptgrund für das enttäuschende Resultat der Regierung Josephs muss in dessen widersprüchlichem Charakter gesucht werden. Als echtes Kind der Aufklärung war Joseph jeder Erneuerung aufgeschlossen und auch geneigt, jedes Vorurteil in seine Schranken zu verweisen. Was dies betrifft, hätte er für Leopold der ideale Partner in dessen gesellschaftlichem Bestreben werden können. Durch eine Zusammenarbeit der beiden Brüder wäre in Zentral-Europa ein Reich entstanden, das, was seinen fortschrittlichen Geist betrifft, dem revolutionären Frankreich in keiner Weise nachgestanden hätte. Es scheint jedoch, dass Joseph zu Zusammenarbeit nicht fähig war, niemals auf andere hören konnte und alles allein machen wollte. Beim Austeilen seiner Befehle und Anordnungen ging er oft rabiat und verletzend vor und nahm keine Rücksicht auf irgendwelche Gefühle, außer auf die seiner Marschälle. Auch die Gefühle seines Bruders Leopold und die Mozarts hat er schwer und nachhaltig verletzt, obwohl er beide bewundert, ja vielleicht sogar geliebt hat.

      Leicht könnte man meinen, dass die Rücksichtslosigkeit Josephs auf Sturheit oder Unaufmerksamkeit zurückzuführen sei. Der Kaiser verfügte jedoch über einen scharfen Verstand und eine gnadenlose Beobachtungsgabe, sodass die Vermutung gerechtfertigt scheint, es sei ihm ein Bedürfnis gewesen, den Mitmenschen weh zu tun, auch und gerade dann, wenn er sie bewunderte. Es wäre zu einfach, ein solches Bedürfnis schlicht mit einer Neigung zu Sadismus oder einem latenten Minderwertigkeitskomplex zu erklären. Die wirklichen Gründe für Josephs Verletzungstrieb lagen tiefer. Die Sucht, andere und somit sich selbst zu verletzen, eine eigentümliche Variante von Selbsthass und Selbstzerstörungswut, war die eigentliche Ursache sowohl für den eigenen Untergang als auch für den politischen Trümmerhaufen, den Joseph bei seinem Tod hinterließ. Die zwanghafte Neigung, jedes menschliche Wesen verletzen zu wollen mit Ausnahme von hohen Militärs und ihren Ehefrauen, lässt sich auf eine eigene Verletzung zurückführen, auf eine schwere Wunde, die niemand heilen konnte.

      Dazu muss man wissen, dass Joseph über eine Eigenschaft verfügte, mit der alle Sprösslinge der habsburgischen Dynastie reichlich gesegnet waren (abgesehen denn vom armen Maximilian nach seinem Sturz vom Pferd). Josephs Kindheit


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