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Das Wunder Mozart. Harke de RoosЧитать онлайн книгу.

Das Wunder Mozart - Harke de Roos


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Wärme und körperlicher Nähe ausreichend zu befriedigen. Die Erzherzöge und Erzherzoginnen wurden sofort nach ihrer Geburt dem Personal übergeben, das strenge Instruktionen hatte, keine enge Beziehung des hochgeborenen Zöglings zu sich aufkommen zu lassen.

      Über die Zerstörungen, die ein solches Klima im Gemüt der Erzherzöge anrichtete, können wir nur mutmaßen. Nicht jedes Kind reagiert auf gleiche Art, aber es scheint wohl so zu sein, dass Joseph eine hochempfindliche Natur hatte, der die körperfremde und auch sonst harte Erziehung schlecht bekam. Dennoch schien sich alles zum Guten zu wenden, als er ins heiratsfähige Alter kam. Seine Braut war Isabella von Parma, eine Enkelin Ludwigs XV. Durch diese Heirat wollte Maria Theresia die jahrhundertlange Feindschaft zwischen den Habsburgern und Bourbonen in eine dauerhafte Allianz verwandeln. Eine Liebesheirat war demnach nicht geplant. Durch eine Fügung des Schicksals verliebte der 18-jährige Joseph sich jedoch bis über die Ohren in die eigene Frau, die er vor der Hochzeit im Oktober 1760 nie gesehen hatte. Isabella war ja auch ein ganz besonderes Geschöpf. Aus allen Zeugnissen geht hervor, dass sie schön war und ein freundliches, bescheidenes und äußerst zart besaitetes Naturell besaß. In den Augen Josephs war sie rundweg vollkommen.

      Isabella hatte allerdings einen Makel, von dem Joseph nichts wusste. Eigentlich darf man es keinen Makel nennen, aber aus der Sicht eines liebenden Ehemannes und Thronfolgers, der aus Staatsräson Nachkommenschaft zu produzieren hatte, war die lesbische Veranlagung der designierten Kaiserin sehr wohl ein persönliches Leid und ein politisches Risiko. Isabella erzählte ihrem Mann nichts von ihrer gleichgeschlechtlichen Leidenschaft und bemühte sich sehr, eine tadellose Ehefrau zu sein, auch im Ehebett.

      Genauso wenig verriet sie Joseph, dass sie sich in seine Schwester Marie Christine verliebt hatte. Diese charismatische junge Frau, Maria Theresias Lieblingstochter, stand vom Alter her in der Mitte der habsburgischen Geschwisterschar und auch sonst gerne im Mittelpunkt. Marie Christine genoss die Zuneigung ihrer Schwägerin in vollen Zügen und erwiderte Isabellas Gefühle mit entsprechender Leidenschaft und Intensität. Die beiden Prinzessinnen schrieben sich tagtäglich Liebesbriefe, von denen ein Teil erhalten geblieben ist. Aus diesen Briefen geht hervor, dass die zarte Frau schwer unter dem exzessiven Sexualtrieb ihres Mannes litt, der bei der Wahrnehmung seiner Ehepflichten keine Pausentage einzulegen pflegte.

      Der Konflikt zwischen der Loyalität zu ihrem Ehemann und der heftigen Leidenschaft für ihre Schwägerin zerrieb Isabella innerlich. Sie sah keinen Ausweg aus ihrem Dilemma und sehnte sich immer stärker nach dem Tod, sogar noch nach der Geburt eines Töchterchens, das auf den Namen Maria Theresia getauft wurde. Zum Schluss flehte sie Gott an, sie bald in den Himmel aufzunehmen, „da alles, was sie auf Erden sieht, wenn sie die Augen aufschlägt, eine Beleidigung für den Schöpfer ist“.

      Angesichts dieser Todessehnsucht erstaunt es nicht, dass sie beim Ausbruch der großen Pockenepidemie von 1763 der Krankheit keine Widerstandskräfte entgegen zu setzen hatte und ihr als eine der Ersten zum Opfer fiel. Der plötzliche Tod der geliebten Frau traf Joseph völlig unvorbereitet und riss ihn in eine Apathie, die man heute als akuten Schockzustand beschreiben würde. Der Kronprinz war wie gelähmt und verfiel bei seiner Trauer in eine anhaltende Lethargie, die der Familie große Sorgen bereitete. Da man das Krankheitsbild eines Schocks nicht kannte und demnach keine psychologische oder medizinische Betreuung für solche Fälle anbieten konnte, suchten die Eltern und Geschwister nach anderen Mitteln um den angeschlagenen Joseph wieder auf die Beine zu bringen.

      Vier Monate nach Isabellas Tod, noch in voller Trauer über den Verlust der geliebten Frau, fuhr Joseph mit seinem Vater nach Frankfurt, um sich dort zum Römischen Kaiser wählen zu lassen. Unmittelbar nach dieser Zeremonie, bei der der junge Goethe Zeuge war, schrieb er seiner Mutter: „Mit meiner Trauer bin ich jedermann zur Last, ich muss daher alles in mich hinabwürgen und mich den ganzen Tag hindurch verstellen“.

      In dieser Situation kam Marie Christine, wie wir aus den Memoiren der hofnahen Karoline Pichler entnehmen, auf die unselige Idee, ihren Bruder über die sexuelle Veranlagung seiner gestorbenen Frau aufzuklären und ihm als Beweis die an sie geschriebenen Liebesbriefe Isabellas vorzulegen (ihre eigenen an Isabella waren ohnehin schon von Joseph konfisziert worden). Vielleicht wollte sie Joseph wieder auf die Erde zurückbringen und insbesondere den Glanz seiner verstorbenen Abgöttin mindern, aber es ist ebenso gut möglich, dass sie sich an ihrem ehemaligen Nebenbuhler rächen wollte. Sehr zimperlich sind die habsburgischen Geschwister nicht mit einander umgegangen.

      Die Folgen ihrer Aufklärungstat waren verheerend. Äußerlich gesehen schien Marie Christine ihr Ziel erreicht zu haben. Tatsächlich kehrte Josephs Vitalität zurück. Neues Leben fuhr ihm in die Glieder, aber was für eins! Sein Inneres glich fortan einem Trümmerhaufen, seine ethisch-moralischen Vorstellungen waren zerbrochen und von der Liebesfähigkeit, mit der er einst so reichlich gesegnet war, blieb nichts als eine Quelle verdorbenen Wassers. Eine so große Liebe wie Josephs Liebe für Isabella hört nicht plötzlich auf. Sie bleibt erhalten, wenn auch im Verborgenen und in abgewandelter Form.

      Joseph wehrte sich gegen seine Schmerzen, indem er sie an andere weiterzuleiten versuchte. Vor allem Frauen mussten es entgelten, denn sie hatten ihm schließlich die immer währende Wunde zugefügt. Seine Zerstörungswut richtete sich aber indirekt auch gegen das eigene Geschlecht, nicht zuletzt gegen solche frauenfreundlichen Männer wie Bruder Leopold oder einen gewissen Musiker namens Mozart. Im Grunde waren alle Menschen seine Feinde, wie aus den Aufzeichnungen seines Bruders Leopold eindeutig hervorgeht. Nur für seinen jüngsten Bruder Max empfand er eine fast zärtliche Zuneigung, vielleicht weil dieser sich aufgrund seiner Verletzung jenseits aller Geschlechterkämpfe befand.

      Josephs Rachefeldzug gegen die Frauen und ihre Freunde trug die Merkmale einer antiken Tragödie. Mit innerer Folgerichtigkeit wurde der Kaiser und mit ihm sein ganzes Reich langsam, aber unaufhörlich an den Rand des Abgrunds getrieben. Auf tragische Weise verband sich private Misere mit dem Wohl des Staates, transformierte sich das Chaos im Gemüt zum Chaos der öffentlichen Angelegenheiten. Am Ende dieses Prozesses, als Joseph starb, war die ganze Bevölkerung der Donaumonarchie gegen ihn aufgebracht. In Ungarn und den österreichischen Niederlanden war offener Aufruhr ausgebrochen und auch in Böhmen kochte Unmut. Die Substanz des Reiches war in höchster Gefahr. Hinzu kamen noch die äußeren Feinde. Der Angriff Preußens auf Österreich stand unmittelbar bevor und galt bereits als unabwendbar. Preußen hatte sich zum drohenden Krieg mit Polen verbunden; die Polen ihrerseits unterstützten den Aufstand Ungarns gegen Wien. Der Türkenkrieg war noch nicht beendet und auch mit Bayern gab es gefährliche Spannungen.

      In Frankreich griff die Revolution immer weiter um sich und drohte auf andere Länder, sogar auf Italien, überzuspringen. Schon standen gebietshungrige Staaten wie Spanien und Parma in den Startlöchern, um im zu erwartenden Krieg Preußens gegen Österreich große Teile des Vielvölkerstaates und dessen Verbündeter zu schlucken. Spanien wollte sich das Königreich Neapel-Sizilien einverleiben, Parma die Toskana. Die Lage war so dramatisch, dass selbst Josephs treuester Diener, Reichskanzler Kaunitz, das Sterben seines Herrn mit der Bemerkung kommentierte: „Es war das beste, was er tun konnte“.

      Ein höchst eigentümlicher Zug an Josephs Amoklauf war, dass er sich im Verborgenen abspielte. Der Kaiser gab sich nach außen hin als Gegenteil eines verbitterten Misanthropen. Zwar galt er als knauserig, aber er war zugleich witzig und zuvorkommend; er konnte unerhört charmant sein. Die ersten fünf Jahre seiner Alleinherrschaft sind durch Aufgeschlossenheit, Liberalität und eine nie vorher erlebte Toleranz gekennzeichnet. Für den epochalen Höhenflug der abendländischen Musik, die gerade zu diesem Zeitpunkt einen Kulminationspunkt erreicht hatte, waren diese Eigenschaften von grundlegender Bedeutung.

      Joseph war es, der die unverwechselbare Atmosphäre des Goldenen Jahrzehnts geschaffen hatte, diese Wiener Mischung von Vornehmheit und Volkstümlichkeit, höchster Verfeinerung und triebhafter Natur, Maskerade und Spontaneität. Wo immer er erschien, und oft kam er verkleidet, riss er alle Fäden an sich und hinterließ einen Sog erlebter Energie. Es war wahrhaftig ein Röntgenblick vonnöten, um die extrem sinnliche, ja, im wahrsten Sinne des Wortes übersinnliche Anarchie hinter dem irreführenden Auftreten dieses Mannes zu erkennen. Später werden wir aber sehen, dass es diese Augen tatsächlich gab und dass der Reformkaiser von keinem besser durchschaut worden ist als von Mozart.

      Kurze Zeit,


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