Der Gesundheitsminister. Ulrich HildebrandtЧитать онлайн книгу.
verteilt die Leidenschaft auf Partei und Wirtschaft. Toms Ansinnen leuchtet ein. Aber warum José? Warum ist er, der Wissenschaftler, plötzlich politisch engagiert? Er sagt, es sei seine Sorge um die politische Entwicklung im Gesundheitswesen. Vielleicht ist es das und Jakob kann es nicht durchschauen. Bei Harry ist die Sache klar. Der ist gewieft, geschäftstüchtig und hat einen Kopf voller Ideen. Die Krankenversicherung, die er leitet, steht besonders gut da. Nicht von selbst. Dass Harry die Nähe zur Politik sucht, ist verständlich. Obwohl sie Freunde sind, würde Harry sich nicht aufhalten lassen, zum Vorteil seiner Krankenkasse zu agieren. Kein Problem. Wenn die Absichten durchschaubar sind, kann man mit ihnen umgehen.
Isabell und Jakob sitzen in ihrem Lieblingslokal und trinken ihren Lieblingswein.
„Das überrascht mich überhaupt nicht“, sagt Isabell, nachdem Jakob von dem Treffen berichtet hat. „Die haben dich genau an dem Punkt deiner Karriere erwischt, an dem ein Schwenk nur guttut. Sei froh. Als Staatssekretär in einem Ministerium stehst du auf einer Stufe, von der du den nächsten Schritt nicht allein tun kannst. Mit eigener Kraft kannst du runter- aber nicht hochspringen.“
„Ich will ja gar nicht springen“, antwortet Jakob.
„Dann bleib, wo du bist und lass dich nach einem Ministerwechsel austauschen.“
„Staatssekretäre bleiben, oft jedenfalls.“
„Aber nicht immer. Wenn du auf eine Garantie schielst, dann bist du im Vorherrein politisch tot. Willst du das sein?“
„Natürlich nicht“, antwortet Tom.
„Denke ich mir. So kenne ich dich. Mal ganz ehrlich, unsere Gesundheitspolitik ist tot. Da passiert doch gar nichts, außer Aktionismus. Einer meiner Redakteure sagte mir, dass in der vergangenen Legislaturperiode über zwanzig Gesetzte aus dem Bundesministerium für Gesundheit auf den Weg gebracht wurden. Alle wurden verabschiedet. Ist dir eines davon im Bewusstsein geblieben? Als aktiver Politiker bist du doch nahe dran.“
„Auf Anhieb keines so richtig. Wahrscheinlich wurden die im Vermittlungsausschuss derart weichgespült, dass nichts Markantes übrigblieb.“
„Dank Harry“, sagt Isabell mit einem süffisanten Lächeln.
„Untätigkeit kannst du Harry nicht vorwerfen. Ich kenne ihn gut. Lobbyismus durch die Hintertür ist aber nicht sein Ding. Harry geht durch den Haupteingang.“
„Durch den solltest du auch gehen, schnurstracks hinein ins Gesundheitsministerium.“
„Guter Plan“, sagt Jakob.
Damit ist das Thema erst einmal durch. Sie trinken ein zweites Glas Wein und Isabell isst einen Avocado Salat. Frühstück, Mittag- und Abendessen in einem. Es geht beiden richtig gut.
Den Anruf von Tom hat Jakob erwartet. Es sind ein paar Tage vergangen, die Entscheidung steht an.
„Machst du es?“, fragt Tom ohne Einleitung und Umschweife.
„Ich mache es, ich mach mich auf den Weg.“
„Nichts anderes habe ich von dir erwartet“, antwortet Tom. „Ich mach den Plan und du das Spiel. Den Weg gehen wir gemeinsam.“
„Wie stellst du dir den Weg vor?“, fragt Jakob.
„Es sind mehrere Wege. Einer ist, dass ich die Arbeit des Gesundheitsministeriums desavouiere. In kleinen Portionen und an vielen Ecken. Wenn mehrere Brandherde lodern, weiß keiner, wer der Brandstifter ist. Aber es muss ein Dauerfeuer werden. Ich habe einen Vertrauten im Ministerium. Der ist total unzufrieden mit der Gangart seines Chefs. Aber er ist zu klein, um einen Brand zu entfachen. Ich habe schon mit ihm gesprochen und um ein Protokoll gebeten. Er stellt mir die Arbeit des Ministeriums aus seiner Sicht dar. Das liest du dir durch und hinterher reden wir zu dritt darüber. Gehst du da mit?“
„Wenn es hinterher eine Aussprache gibt, dann ja. Du weißt, dass ich Verschwörungen hasse. Nur ein Papier lesen und den Inhalt für bare Münze nehmen, das geht gar nicht.“
„Das sehe ich auch so“, pflichtet Tom bei. „Dann machen wir das so.“
„Eine Frage noch, Tom. Das mit dem Desavouieren, muss das sein?“
„Das muss sein, das geht nicht anders. Wir müssen eine Diskussion in Gang setzen. Um das Ministerium ist es ziemlich still. Das Ministerium muss ins Gerede kommen. Wenn wir das erreicht haben, dann treten wir mit unseren Konzepten auf den Plan.“
„Wenn du meinst“, antwortet Jakob. Zweifel blieben.
Das Bundesministerium für Gesundheit
Zwei Tage später hatte Jakob ein Schriftstück in den Händen. Überschrift: „Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG)“ Verfasst von Toms „Vertrautem“.
„Neben dem Gesundheitswesen ist unser Ministerium, das BMG, auch für die gesetzliche Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung zuständig. Unsere Arbeit verlief in der schwarz-roten Legislaturperiode von 2013 - 2017 relativ geräuschlos. Zumindest in der Öffentlichkeit. Dank der hohen Beschäftigung und dank der steigenden Beiträge zur Sozialversicherung wehte ein milder Wind um unser Ministerium. Der warme Wind umschmeichelte auch den gut gefüllten Geldtopf der gesetzlichen Krankenkassen und stimmte diese ausgeglichen und ungewöhnlich zurückhaltend.
Das Aufbegehren von Seiten der Krankenhäuser haben wir mit dem Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) von 2016 pariert. Anstatt die problematischen Strukturen anzugehen, haben wir einfach den Geldhahn aufgedreht. Die Zahlen dafür sehen so aus: 2017 haben wir den Krankenhäusern, auf ihre Grundfinanzierung, zusätzlich 1,8 Milliarden Euro draufgepackt, 2018 waren es 1,9 Milliarden. 2020 werden es schon über 2 Milliarden Euro extra Geld sein. Unser Gesetz soll den Anschein erwecken, dass wir überfällige Korrekturen in Gang setzen. Dazu einige Beispiele.
Strukturfonds: 500 Millionen Euro spendieren wir jährlich für die Absicht, die stationären Kapazitäten der Akutkrankenhäuser zu reduzieren. Der Strukturfonds soll dazu beitragen, die Krankenhausbetten entweder abzubauen oder in eine andere Nutzung zu übertragen. Spötter aus der Presse bezeichnen den Fonds als Abwrackfonds. Der Fonds greift aber nur dann, wenn sich die Bundesländer mit der gleichen Summe hälftig beteiligen. Das werden sie kaum tun. Auf die Bettenreduzierung werden alle getrost warten können. Wenn trotzdem erste Ergebnisse positiv bewertet wurden, dann wegen der Umwidmung in gewinnbringende Abteilungen.
Hygieneförderprogramm: 280 Millionen Euro gibt unser Ministerium für Hygienemaßnahmen. Verlängert auf drei weitere Jahre. Zusätzliches Geld für die Krankenhäuser, damit die Hygiene stimmt? Die Öffentlichkeit hat Recht, wenn sie erstaunt fragt, ob man ein Krankenhaus betreiben darf, ohne den Nachweis zu erbringen, dass die Hygiene einwandfrei ist?
Pflegestellenförderprogramm: Zu wenig Pflegestellen, der Dauerbrenner in der öffentlichen Debatte. Dem galt es zu entgegnen. Gleich drei Pflegestärkungsgesetze haben wir in nur einer Legislaturperiode verabschiedet. Für die Einstellung zusätzlicher Pflegekräfte haben wir beim Bund Geld locker gemacht. Der Bund stellte 2017 bis zu 220 Millionen Euro zur Verfügung. Ab 2018 jährlich bis zu 330 Millionen. Auf welcher Basis wir den Bedarf errechnet haben? Das wissen wir selbst nicht. In den deutschen Krankenhäusern gibt es keinen Schlüssel für das Pflegepersonal.
Pflegezuschlag:
Bevor wir das Gesetz geändert haben, gab es einen finanziellen Zuschlag auf die Fallpauschalen. Mit den Fallpauschalen wird bekanntlich die Krankenhausleistung von den Krankenkassen vergütet. Die Fallpauschalen sollen eigentlich die Personalkosten beinhalten. Offensichtlich sind die Fallpauschalen doch zu knapp bemessen. Ansonsten hätte es keinen Zuschlag geben müssen. Diesen, sogenannten Versorgungszuschlag, so hieß der bisher, haben wir einfach nur umbenannt. Wir nennen ihn jetzt Pflegezuschlag. Das klingt besser und besänftigt die Öffentlichkeit. Ist doch clever von uns, oder? Und schon haben wir Zusatzgeld für die Pflege ausgegeben. Zusätzlich zu den Entgelten für ihre Behandlungsfälle,