Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis WillibaldЧитать онлайн книгу.
Motive. Die Höllenmacht in ihrem Busen war dadurch so genährt, die Begierde zum Vernichten so gesteigert worden, daß jedes neues Verbrechen ihr in der Folge immer gleichgültiger und der kleinste Beweggrund hinreichend wurde, es unter Verleugnung aller Gefühle und Rücksichten mit einer wunderbaren Ruhe und Selbstbeherrschung zu begehen.
Sechs Jahre lang, vom Jahre 1817 bis 1823, verübte die Gottfried keine Mordtaten. Die Akten berichten auch nicht einmal von Vergiftungsversuchen.
Dagegen stellte sich unwillkürlich etwas von Reue ein bei dem Gedanken: Was hat mir das alles nun geholfen? In ihren Bekenntnissen heißt es: »Reue über den Verlust meiner Kinder habe ich, seit mein Heinrich nicht mehr war, oft genug empfunden. Ich schloß mich oft auf meiner Bodenkammer ein und weinte unbeschreiblich. Ich konnte es nicht sehen, wenn den Kindern von ihren Eltern Geschenke eingekauft wurden, und wich dem Schmerze aus. Wenn die Kinder aus der Schule kamen, mußte ich immer wegsehen. Oft im Mondschein saß ich im Garten; und wenn dann das große, schöne Erbe vor mir lag und ich mich darüber freute, dann durchfuhr mich oft der Gedanke, was für eine Person ich sei, der das gehöre! Dann schämte ich mich.«
Sie tröstete sich aber mit dem Phantasiespiel, wie glücklich sie wäre, wenn sie reich genug wäre, allen Unglücklichen wohlzutun oder, wie sie ausdrücklich bekannte, ihre Sünden wieder gutzumachen und - selbst ohne Sorgen zu leben!
Nachdem die Motive, die aus dem Geschlechtstriebe entsprangen, ausgegangen waren, reichten für die Folge zwei schwächere Beweggründe, Sucht nach Genuß und eitlen Freuden und Sorge wegen ihres Auskommens, zu den neuen Verbrechen aus.
Nach Gottfrieds Tode erwartete sie eine bittere Enttäuschung. Sie hatte Gottfried für reich gehalten, statt dessen hatte er Schulden. Statt daß er von seinem Prinzipal sechshundert Taler zu fordern gehabt hatte, hatte dieser Prinzipal eine hohe Forderung an ihn gehabt, und die Witwe mußte mit der goldenen Uhr, der eleganten Bibliothek, einigen Kupferstichen und der Guitarre, den einzigen wirklichen Erbstücken, die sie übernahm, auch diese Schulden mit übernehmen. Diese Erbschaft scheint drückend; erscheint es für die Familie Gottfried aber nicht noch drückender, daß ihr unschuldiger Name um einer Ehe willen, die keine war, auf die Verbrecherin überging, und daß unter demselben ihre Schandtaten nun auf alle Zukunft übergehen werden? Ein kleines Erbteil hatte Gottfried zwar noch in Regensburg stehen. Als aber seine Brüder der Witwe die drückende Lage einer reichgewesenen, jetzt verarmten Schwester vorstellten, wurde sie durch die einmal übernommene Rolle der Mildherzigen genötigt, so unangenehm es ihr war, von diesem Anspruch abzustehen.
Aber Geld mußte sie haben, bares; und Lügen, weshalb sie dessen bedürfe, waren stets zur Hand. Sie maß anderen gegenüber im Vertrauen ihrem seligen Gottfried eine Schuldenlast von dreitausendzweihundert Talern bei, die sie tilgen müsse; außerdem dichtete sie ihm, wie schon früher ihrem Vater, eine uneheliche Tochter an, für deren Schicksal zu sorgen die Ehrenrettung des teueren Verstorbenen ihr gebiete. Sie erntete für dieses ehrenhafte Benehmen die größten Lobsprüche ein.
Gottfrieds nachgeborenes Kind war tot zur Welt gekommen. Die Stelle des Vaters schien bald, bei den noch immer großen und durch den Schmerz erhöhten Reizen der Witwe, durch mehrere Bewunderer ersetzt zu werden. Auch der Ruf ihres Wohlstandes lockte noch immer Bewerber an. Wie weit die Vertraulichkeit der Witwe mit den neuen Freunden gegangen ist, darüber geben die Akten kein gewisses Licht, und die Gottfried leugnete alles Unerlaubte. Allerdings spricht der Umstand, daß sie diese Freunde nur benutzte, um Geschenke und Darlehen von ihnen zu erpressen, für diese Behauptung.
In vielfacher Berührung erscheint die Gottfried namentlich mit einem ungenannten angesehenen Manne, der als Herr X in der Biographie figuriert und bald als Liebhaber, Bewunderer, Beschützer, bald als Gläubiger auftritt. Er hatte sie schon als Kind bewundert, den Vater auf ihren Wert aufmerksam gemacht und diesen gebeten, sie ihm zu verwahren, bis er von einer Reise zurückkehre. Er erscheint darauf eine Zeitlang immer als Freund in der Not, Ratgeber und Tröster. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der selige Gottfried schon auf ihn eifersüchtig war. Er schoß alle nötigen Gelder, deren die Witwe zu den Begräbniskosten bedurfte, vor und trug auch später zu diesen und jenen Ausgaben bei. Aber als ein wohlhabender Mann und sehr gewiegter Finanzier übte er seine großmütigen Handlungen mit einem scharfen Umblick auf die pekuniären Verhältnisse seiner Freundin, und während er zu Anfang kaum eine Verschreibung annahm, sie mit Geschenken überhäufte, sein Kind der Gottfried zur Pflege übergab, drängte er sie später mit ernsten Mahnungen und Vorstellungen zur Sparsamkeit mit sehr genauen Berechnungen, daß sie ihr Vermögen über ihre Kräfte angreife, und gab um seiner Neigung willen keineswegs seine Forderung an die schöne Schuldnerin auf. Er war der erste, der ihre Aufrichtigkeit in Zweifel zog. Wenn sie wirklich in innigem Verhältnis zu X gelebt hat, so war diese Liebschaft gewiß für sie eine der peinigendsten, da der Liebhaber so klug, schlau und überdem ein Gläubiger war, der sie von Haus und Hof treiben konnte. Aber er blieb der einzige ihrer Freunde, der vor ihrer Mäusebutter gesichert war. Sie konnte wohl ihn vergiften, aber nicht die Papiere, welche in den Händen seiner Erben blieben. Der Gottfried Verhältnis zu X gehört zu den unklareren Partien ihrer Lebensgeschichte. Die Familie des Betreffenden scheint sowohl von dem Herausgeber als von der Gottfried selbst geschont und von letzterer gefürchtet worden zu sein. Obwohl der Tod auf dem Schafott ihr gewiß war, ist dies doch das Merkwürdigste, in welcher Art sie ihre Geständnisse umhüllte und beschönigte, was dritte Personen anlangte, immer in der entsetzlichen Angst, daß der Einfluß der Familie derselben ihr Schicksal noch erschweren, ihre Strafe noch verstärken könne.
Von den Geschenken und Komödienbilletts und den Einladungen zum Essen usw. fing die Gottfried wieder an, wie sie sich ausdrückte, »von neuem zu leben!« Über den Umgang und die Aufmerksamkeiten des X vergaß sie alle ihre Vergehungen, fing an ihn zu lieben und glaubte die Glücklichste auf der Welt zu sein.
Im Glück dieser Verbindung schlug sie drei ehrenwerte Heiratsanträge aus, stets unter dem Vorwand, daß sie dem seligen Gottfried versprochen habe, sich nicht wieder zu verheiraten. Im übrigen war diese Verbindung auch um deswillen angenehm für die Sünderin, weil Herr X ihr in ihrem Umgang vollkommen freie Hand ließ. Sie hatte viele Mieter, und einer derselben, der Kommissionär Johann Mosees, trat, wie sie sich ausdrückte, »in des seligen Gottfrieds Fußtapfen«. Er pflegte den Garten, sang, ging mit ihr spazieren. Und dabei war er sehr religiös! »Da wurde sein jüngster Bruder konfirmiert. Ach, das war eine schöne Zeit! Acht Tage zuvor betete er jeden Nachmittag mit seinem Bruder. Wäre ich damals zu einem Prediger geeilt und hätte ihm meinen Herzenskummer mitgeteilt! Denn durch diesen jungen Mann konnte ich wieder gut werden!«
Sie lebte »sehr glücklich, einig und zufrieden«. Um diese Zeit knüpfte sie ihre alten Freundschaften wieder an, was ihr um so leichter fiel, als sie von ihren Freundinnen als eine unerhörte Dulderin betrachtet wurde. »Der liebe Gott legt mir ein schweres Joch auf, aber er macht mich stark!« sagte sie. Einer Freundin wollte sie kaum Dräsekes Predigten leihen, aus Furcht, sie könnte das kostbarste Buch verlieren; »denn das ist es, was mich einzig erhält«. Sie hatte aber nie ein Blatt darin gelesen. Es scheint während dieser Zeit des Stillstandes im Vergiften gewesen zu sein, daß sie allen Ernstes glaubte, durch ihre Wohltätigkeitshandlungen alle auf ihrer Seele lastenden Mordtaten wieder gutzumachen. Im Jahre 1819 war der Ruf, der sie zu einem Engel des Lichtes, zum Vorbild frommer Duldung und wohltätiger Liebe erhob, schon allgemein verbreitet.
Neue Heiratsanträge erfolgten, ein ehrenwerter Witwer hielt in fast romanhafter Weise um sie an. Als ein solches Glück für die Familie wurde die Heirat betrachtet, daß selbst die Tochter des Mannes die Witwe bat, sie möge doch die Hand ihres Vaters nicht ausschlagen. Sie schlug sie doch aus mit den rührenden Worten: »Sie sind für mich viel zu gut!« Diese demütige Selbsterkenntnis war indessen nichts weniger als der Grund. Herr X war entschieden gegen diese Heirat, und die Gottfried klagte noch oft darüber, daß sie den ehrenwerten, wohlhabenden Mann nicht genommen habe, sie »hätte dann ohne Sorgen leben können und wohl nie wieder an Vergiftungen gedacht!«
Ihre Vermögensverhältnisse wurden immer verwickelter. Herr X sah ihr zu sehr in die Karten, er wagte zu eigenmächtige Eingriffe in ihren Wirkungskreis; dazu gab es nun auch ein ihrem sittlichen Rufe unvorteilhaftes Gerede. Sie suchte sich von ihm loszumachen; aber die drückenden Geldverbindungen ließen es nicht zu. Sie blieb abhängig