Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis WillibaldЧитать онлайн книгу.
Heinrich phantasierte auf seinem Krankenlager: »O Mutter, wie lacht Adelheid! Da steht sie auf dem Ofen …. Da steht mein Vater …. Bald bin ich im Himmel.«
Unter unsäglichen Schmerzen starb der Knabe am 22. September. In fünf Monaten, vom Mai bis September 1815, hatte die Miltenberg ihre beiden Eltern und ihre drei Kinder ermordet.
So viele Todesfälle in so kurzer Zeit hintereinander waren doch auffällig. Ihre Tränen, ihre frommen Sprüche vom Anbeten der dunklen Wege der Vorsehung konnten nicht allen Verdacht abwenden. Es verbreitete sich das Gerücht, es könne mit den Todesfällen im Miltenbergschen Hause nicht mit rechten Dingen zugehen. Die Freundinnen teilten das Gerücht der Witwe mit und verlangten, daß sie, um die schändliche Nachrede niederzuschlagen, die letzte Leiche sezieren lasse. Mit vollkommner Ruhe kam sie dem Wunsche entgegen. Die Leiche ward in Gegenwart vieler Zeugen vom Arzt seziert, und dieser gab die Versicherung, der Knabe sei an einer Verschlingung der Eingeweide gestorben. Jeder Schatten von Verdacht mußte darauf weichen.
Eine schmerzliche, langwierige Krankheit befiel nach diesem letzten Morde die Verbrecherin. Sie erkannte darin keine vergeltende Gerechtigkeit, keine Warnung. Von jetzt an begann aber ihre werktätige Wohltätigkeit. Sie ließ nicht die Armen zu sich kommen, sie suchte sie auf. Kranken und Wöchnerinnen bereitete sie Speisen und erbot sich zu ihrer Pflege. Wo der Ruf eines Bedürftigen ihr Ohr erreichte, sie eilte und bot das Ihre auf, beizuspringen. Den bedürftigen Schwestern ihres Vaters schenkte sie ein Stück Land, das zu dem Erbteil gehörte, das ihr zufiel.
Das Geld an sich war nie das Ziel ihrer Wünsche. Sie war nichts weniger als habsüchtig. Aber sie brauchte fortwährend Geld, um ihrer Eitelkeit mit Geschenken und Wohltaten zu frönen. Sie nahm Anleihen auf, deren Wiedererstattung im weiten Felde lag. Sie ließ sich von Kassow Geschenke über Geschenke geben und wußte ihn durch einen neuen Kunstgriff zu immer fortgesetzter Freigebigkeit zu bestimmen: sie habe nämlich die Ahnung, daß sie infolge ihrer unglaublichen Leiden bald sterben müsse. Kinder habe sie nicht, und was er ihr schenke oder leihe, gebe er seinen eigenen Kindern, denn sie sei willens, diese zu Erben einzusetzen.
Da erschien im Mai 1816 unerwartet ihr Bruder in Bremen: eine Erscheinung, welche auch in anderen Häusern keine freudige Überraschung hervorgebracht hätte. Man hatte den verlorenen Sohn, der sich in Münster 1812 als Stellvertreter hatte anwerben lassen, zur katholischen Religion übergegangen war und von dem die letzten Nachrichten aus Paris gekommen waren, längst für tot gehalten. Die Schwester hatte seine Habseligkeiten verkauft, und ein Erbteil hatte er bei den vielen Verwendungen zu seinem Besten kaum noch zu fordern. Da klopft er, zerlumpt, krüppelhaft, den Tod anscheinend in den Gliedern, an das Haus seiner Schwester. Die Heuchlerin verleugnete sich zum ersten Male, das heißt, sie fiel aus der Rolle. Eine elegante Dame konnte einen solchen Bruder unmöglich mit Vergnügen aufnehmen. Sie erschrak, und wäre es nicht vor den Leuten gewesen, sie hätte ihm den Eintritt ganz verwehrt. Sie logierte ihn in eine schlechte Kammer ein. Die Geschichte des Bruders gehört nicht in diese an Ereignissen und Schrecknissen schon überreiche der Verbrecherin. Außer dem, daß sie sich der Verwandtschaft schämte und daß sie ein neues Hindernis der Heirat mit Gottfried werden könne, hegte sie noch die Furcht, daß ihr Bruder doch noch eine Erbschaft verlangen könne. Rasch war ihr Entschluß gefaßt.
Am Freitag oder Sonnabend war der Bruder angekommen, am Sonntagmittag wurde er mit einem Gericht Schellfisch vergiftet. Nachmittags ward er in einem Wirtshause furchtbar krank und konnte sich kaum nach Hause schleppen. Die Schwester mußte ihn der Jugendbekannten wegen, die sich an seinem Krankenbette einfanden, anscheinend sorgsam pflegen. Aber mitten in seiner schweren Krankheit muß der arme Bruder sich aus seiner schlechten Hinterkammer in die höchste Bodenkammer schleppen lassen. Die Verbrecherin gibt als Grund für diese Grausamkeit an, daß auch der Bruder sich geäußert hätte, mit seinem Willen solle sie den Gottfried nicht heiraten, und sie habe letzteren täglich zurückerwartet. Der Kranke geriet in die Hirnwut, phantasierte von seinem Pferde und seinem Liebchen, redete seinen Leutnant an, wenn die Schwester bei ihm stand, rief »Vive l’empereur!« und war des Abends am 1. Juni tot.
Wer sollte sich wundern, daß ein invalider Krüppel, dem die Füße in Rußland erfroren waren und der, voll kranker Säfte, vielleicht ein Lazarettfieber mitbrachte, ein französischer Husar, dem trotz seines Passes kein Dorfschulze ein Nachtlager hatte geben wollen, ein Ausgestoßener, den der patriotische Haß genötigt hatte, auf offenem Felde zu schlafen, seit er die deutschen Grenzen betreten hatte: wem fiel es auf, daß ein solch verlorener Mensch bei der Heimkehr krank wurde und starb?
Nun waren die Eltern tot, die Kinder weggeschafft, der Bruder ins Grab geschickt, was hielt Gottfried noch ab, sie zu heiraten? Vielleicht den Kaufmann das Handwerk, welches sie betrieb? Es war ein gutes Brot, aber es erforderte eine Tätigkeit, welche sie, an andere Beschäftigungen gewöhnt, allmählich anwiderte. Sie gab das Geschäft auf und damit den letzten äußeren Halt gegen die Stürme in ihrem Inneren. Es fiel die letzte morsche Stütze; sie selbst äußerte sich darüber: »Ich kam dadurch außer Tätigkeit, jetzt war ich mir allein überlassen.«
Gottfried kam von einer Reise zurück. Leidenschaftlich empfing ihn die Witwe, mit deutlichen Worten forderte sie ihn zur Eingehung der Ehe auf. Er wich aus; vielleicht im Vorgefühl einer bevorstehenden, schweren Krankheit, vielleicht in dunkler Empfindung, »des gewissen von vielen schon verspürten Grauens vor der Frau«. Wie die Erhitzte und Gekränkte darüber dachte, ergibt sich aus einer ihrer vertraulichen Äußerungen, indem sie es als etwas ihr selbst Unbegreifliches bezeichnete, daß sie den Gottfried, der damals krank wurde, nicht vergiftet habe: »Denken Sie, damals hatte ich Gift in der Kommode, und doch fiel es mir nicht ein, Gottfried etwas zu geben.«
Sie gab ihre Hoffnung nicht auf. Der kranke Gottfried ward mit aller Aufopferung gepflegt; bei augenblicklichen Geldbedürfnissen zahlte sie für ihn, indem sie ihre eigenen Effekten versetzte. Er genas unter ihrer Pflege und schien endlich den Netzen, die sie um ihn spannte, zu erliegen. Beim Punsch am Silvesterabend 1816 auf ihrem Sofa kosend, »verließ uns«, wie die Verbrecherin sich ausdrückt, »die Tugend«. Die Folgen stellten sich ein. Nun mußte doch Gottfried, der gemütliche, redliche Gottfried, auf ihre Wünsche eingehen. Aber er glaubte, daß Kassow der Vater sei, oder eine dunkle Ahnung, welche Schlangen aus dem Busen des liebreizenden Weibes hervorzückten, durchschauerte ihn. Ihrem Jammer über den Verlust ihrer Ehre begegnete er nur mit dem Rate, »unten im Lande«, wo er Bekannte habe, heimlich die Niederkunft abzuwarten.
In Tränen schwimmend, flammte jetzt ihr Haß gegen den auf, um den sie solche Opfer umsonst gebracht haben sollte. Nicht mehr um seine Person war es ihr zu tun - ihre Sinnlichkeit war befriedigt oder erwartete keine Befriedigung mehr, es galt seinen Rang, sein vermeintliches Vermögen. Dazu kam die Furcht, durch ihre Niederkunft, die sie umsonst durch Abtreibungsversuche zu vermeiden gesucht hatte, um die sorgsam gehütete bürgerliche Ehre zu kommen.
Sie wandte sich an seine genauesten Freunde. Die Überredungskünste derselben wirkten; Gottfried und die Miltenberg machten ihre Verlobung bekannt. Sie hatten schon die ersten Besuche miteinander abgestattet, als das innere Grauen ihn überwältigte. Er trat zurück: »Ich kann und will sie nicht zur Frau haben«, sagte er zu seinen Freunden. Aber er ließ sich dann doch wieder überreden.
Schon waren sie zweimal an einem Sonntag aufgeboten worden, als die Angst sie folterte, er könne etwas von ihren Taten wissen und sie deshalb nicht heiraten wollen. Dazu kam ihr die sehr natürliche Überzeugung: »Er liebt dich nicht, er nimmt dich nur gezwungen; du wirst unglücklich mit ihm.« Der längst gereifte Vorsatz, auch ihn zu vergiften, wurde zum Entschluß. Der gezwungene Bräutigam schwankte aufs neue. Irgendein dazwischentretendes Hindernis konnte sie um ihren neuerrungenen Gewinn bringen; sie wollte ihn nunmehr durch einen moralischen Impuls zu einem Entschluß nötigen und sich sicherstellen.
Montag nach dem Aufgebot gab sie ihm vergiftete Mandelmilch. Erbrechen und Durchfall traten ein. Das Übel griff mit Riesenschritten um sich. Schnell ward ein Prediger geholt, um die Trauung mit dem Sterbenden zu vollziehen. Nach der Trauung mußte sie Gottfried versprechen, sich nicht wieder zu verheiraten. Er sagte, dann sterbe er ruhig. In der Nacht darauf, als die unerhörten Schmerzen des Unglücklichen sich zur Raserei steigerten, soll er den Trauring mit wütendem Ingrimm zu Boden geschleudert haben. Nach der Aussage der Verbrecherin aber fiel ihm der Ring vom Finger, da er von