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Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis WillibaldЧитать онлайн книгу.

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald


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Kegelbahngesellschaft von fünf Personen, welche sich bei Gebhard versammelt hatten, nach dem Genusse einiger Krüge bayrischen Biers, die Gebhard aus seinem Keller hatte holen lassen, plötzlich übel wurde, bei allen Leibschmerzen auftraten und sie sich erbrechen mußten, entstand ein allgemeiner Verdacht gegen die Wirtschafterin; doch bei keinem von allen ein solcher, der sie zu einer Denunziation oder Untersuchung angetrieben hätte. Sie drängten nur in den Hausherrn, daß er augenblicklich eine Person entlasse, unter deren Hausverwaltung so viel Unheil vorgefallen sei. Gebhard tat es, er wollte das unheilbringende Wesen los sein. Er kündigte ihr auf der Stelle den Dienst und nahm ihr die Aufsicht über das Hauswesen und sämtliche Schlüssel ab. Dennoch stellte er ihr noch am selben Tage ein schriftliches Zeugnis aus, worin er »die Treue und Bravheit ihres Betragens« rühmte.

      Die Schönleben zeigte sich wohl etwas gekränkt über ihre plötzliche Entlassung, fiel aber nicht aus ihrer artigen, demütigen Weise. Sie war noch am folgenden Tage die geschäftigste Dienerin im Hause. Sie griff selbst an, selbst wo sie es nicht nötig hatte. So trug sie am Vorabend ihrer Abreise selbst das Salzfaß auf den Tisch, nachdem sie es aus der Salztonne neu gefüllt hatte. Die Mägde wunderten sich darüber; aber sie sagte ihnen scherzend, so müsse es sein. Die Leute, die abzögen, müßten das Salzfaß füllen, damit die, die zurückbleiben, desto länger den Dienst behielten.

      Der Wagen, der sie nach Baireuth fahren sollte, stand am nächstfolgenden Tage schon vor der Tür. Gebhard hatte ihr denselben aus Güte gemietet, auch noch einen Kronentaler ihr auf den Weg gegeben, und zum Überfluß sollte sie vor ihrer Abreise noch Schokolade bei ihm trinken. Sie aber war an diesem Morgen die Freundlichkeit und Weichmütigkeit selbst. Den beiden Dienstmägden Hagin und Waldmann, mit denen sie sich sonst nicht zum besten vertrug, hatte sie eigenhändig Kaffee gemacht und reichte jeder eine Tasse, indem sie den Zucker aus einer Tüte nahm. Besonders rührend aber war der Abschied von dem verwaisten Kinde, dessen Geburt der Mutter den Tod gekostet hatte, und das sie ihr liebes Fritzchen nannte. Sie mußte es noch einmal auf den Arm nehmen, es herzen und küssen, und gab ihm dann ein Biskuit, das sie in Milch tauchte, ohne von der Milch selbst etwas zu trinken.

      Endlich mußte geschieden sein. Der Wagen war ungefähr eine halbe Stunde fort, als das arme Kind von zwanzig Wochen plötzlich ein starkes Erbrechen befiel. Es wurde sehr krank. Die beiden Mägde mußten nach einigen Stunden sich gleichfalls heftig übergeben. Jetzt stieg mit einem Male der furchtbarste Verdacht auf. Man erinnerte sich der vorangegangenen Vorfälle im Hause: zwei Gäste, die im August bei Gebhard zu Mittag gespeist hatten, der Handlungsdiener Beck und die Sekretärswitwe Alberti, hatten nach Tisch gleichfalls an heftigem Erbrechen, an Leibschmerzen und Zuckungen gelitten. Gegen Ende August hatte die Schönleben dem Amtsboten Rosenhauer ein Glas weißen Wein zu trinken gegeben, und Rosenhauer hatte dieselben Beschwerden gehabt. Den Laufburschen des Rosenhauer, Krausch, hatte sie am nämlichen Tage mit sich in den Keller genommen und ihm ein Glas Branntwein gereicht. Als er ein wenig getrunken hatte, bemerkte er darin einen weißen Satz und wollte nicht mehr, ward aber doch übel. Die erwähnte Magd Waldmann erinnerte sich, schon früher einmal eine Tasse Kaffee von der Schönleben erhalten zu haben, und zwar, nachdem sie sich mit ihr gezankt hatte, und daß sie danach ebenso übel geworden sei wie jetzt und sich vom Morgen bis Abend jede halbe Stunde davon hatte erbrechen müssen.

      Der Amtmann erfuhr die Geschichte mit dem Salzfaß; denn jetzt tauchte jeder seltsame Vorfall, der unverstanden geblieben war, in der Erinnerung auf. Das Salzfaß ward untersucht, und man fand es stark mit Arsenik vermischt. Auch in der großen Salztonne fanden sich später auf drei Pfund Salz dreißig Gran Arsenik. Man entsann sich, daß, als die Schönleben bei Glasers und Grohmanns gedient hatte, auch dort mehrere Personen nach genossenen Getränken und Speisen erkrankt seien. Endlich entdeckte man, daß es auch mit ihrem Namen nicht volle Richtigkeit habe, daß sie von Vaters wegen wohl Schönleben heiße, aber die Witwe des Notars Zwanziger sei und Gründe habe, diesen wahren Namen zu verschweigen. Trotz dieser dringenden Anzeichen ließ der Kammeramtmann Gebhard noch einen Monat verstreichen, ehe er deshalb gerichtliche Anzeige machte: so schwer scheint er sich überwunden zu haben, an die nach allen gewöhnlichen Erfahrungen allerdings kaum glaubhafte Schuldbarkeit der gerühmten Frau zu glauben. Diese inzwischen reiste mit der Sorglosigkeit weiter, welche nur ein sehr glücklicher Erfolg in gefährlichen Dingen hervorbringen kann. Sie hatte sogar Gebhard einen Brief zurückgelassen, in welchem sie ihm mit affektierter Empfindsamkeit den Vorwurf des Undanks macht. Es heißt unter anderm darin: »Wenn Ihr Kind nicht ruhig sein will, dann wird Ihnen mein Schutzgeist zurufen: Warum nahmst du ihr ihr Liebstes (das Kind) hinweg?« Sie versprach, alle vierzehn Tage ihm Nachricht von sich zu geben, logierte sich in Baireuth, unverschämt genug, als Freundin der verstorbenen Gebhard bei deren Mutter ein und schrieb von jedem Orte, wo sie zugebracht hatte, an ihren verehrungswürdigen Herrn, »dessen fortdauernder Gnade« sie sich empfahl, und dessen liebem kleinen Fritzchen sie zärtliche Küsse zusandte, alles mit der unverhohlenen Erwartung, daß Gebhard binnen kurzem eilen werde, eine so vortreffliche Hausvorsteherin zurückzurufen. Aber trotz ihrer Versicherungen in den Briefen von der guten Aufnahme, die sie überall finde, und den guten Aussichten, die sich ihr eröffneten, und trotz aller Briefe, mit denen sie den ganzen Kreis der ihr bekannten Häuser überschüttete, mußte sie von Ort zu Ort weiter, und niemand rief sie, niemand wollte sie behalten. Am bittersten fand sie sich in einem Örtchen in Franken getäuscht, wo ihre Tochter an einen Buchbinder Sauer verheiratet war. Als sie vor dem Hause ankam, war freilich großer Jubel, an dem sie aber keinen Teil hatte. Sauer heiratete wieder. Sauer hatte sich von ihrer Tochter scheiden lassen. Die Tochter war im Zuchthause wegen Diebstahl und Betrügereien. Niemand verlangte nach ihr. Als sie nach Nürnberg zurückkehrte, waren daselbst allerdings mehrere Briefe eingegangen, die dringend nach ihr fragten – Requisitionsschreiben um ihre Verhaftung. Als sie festgesetzt wurde, fand man bei ihr drei Päckchen, welche über ihr Wesen und Gewerbe keinen Zweifel ließen: zwei Päckchen mit Mückenstein und eins mit Arsenik.

      Um Mitte Oktober 1809 war die Zwanziger auf dringende Verdachtsgründe hin verhaftet worden. Sie war natürlich die unschuldigste Person von der Welt, und es werde sich schon finden, wie man sie verkenne. Gegen Ende Oktober wurde ohne ihr Vorwissen mit der Leichenausgrabung derjenigen Personen begonnen, die möglicherweise von ihr vergiftet sein konnten.

      Seit den letzten großen Giftmordprozessen war die gerichtliche Arzneiwissenschaft um viele Erfahrungssätze hinsichtlich der Arsenikvergiftung reicher geworden. Alle die Wahrnehmungen, welche man an den Leichen gemacht hatte, die in ähnlichen Fällen untersucht worden waren, fand man hier wieder. Der Leichnam der Justizamtmännin Glaser, der vierzehn Monate im Grabe gelegen hatte, trug verhältnismäßig nur geringe Spuren der Verwesung an sich. Die ganze Oberfläche des Körpers schien zur Mumie erhärtet und hatte nach Wegnahme des Schimmels eine braune, mahagoniartige Farbe. Diese mumienartige, elastische Härte zeichnete sich besonders bei den vollen Brüsten aus. Der Unterleib war etwas ausgedehnt und gab, wenn man mit einem Stocke darauf schlug, einen hohlen, dumpfen Laut von sich. Die Bauchmuskeln waren in eine speck-oder käseartige Masse verwandelt und hatten auch einen Käsegeruch. Ganz dieselben Wahrnehmungen fanden sich beim Leichnam der Amtmännin Gebhard. Überdem fand man bei der chemischen Untersuchung in den Eingeweiden beider Frauen noch Arsenik vor, so daß das ärztliche Gutachten dahin ging, man könne mit Gewißheit annehmen, daß beide an einer Arsenikvergiftung gestorben seien. Beim Leichnam des Grohmann fanden sich jene Zeichen nicht so bestimmt ausgedrückt, auch entdeckte man das Arsenik nicht, wonach nur eine Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit der Vergiftung begutachtet werden konnte. Da aber die fernere Untersuchung auch den wirklich erfolgten Giftmord des Grohmann außer Zweifel gestellt hat, so drängt sich uns die Frage auf, ob das Arsenik vielleicht bei weiblichen Körpern prononzierter in seinen Wirkungen ist als bei männlichen, auch dort vielleicht länger die Giftstoffe zurückläßt. Auch im Prozeß der Ursinus erklärten die Sachverständigen, daß aus den gefundenen Kennzeichen auf die Vergiftung der Tante mit der höchsten Wahrscheinlichkeit zu schließen sei, die des Mannes erschien ihnen nur wahrscheinlich.

      Beinahe ein Jahr lang verblieb die Zwanziger bei einem starren Leugnen in bezug auf alles, was den Giftmord betraf, wiewohl ihr verdächtiger und schlechter Lebenswandel, ja der ganze Charakter dieser gefährlichen Person schon ins vollste Licht gestellt war. Zu den Episoden dieses Prozesses gehörte das plötzliche Erscheinen ihrer Tochter, derselben geschiedenen Sauer, welche wegen Diebstahls im Zuchthause saß, als


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