Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis WillibaldЧитать онлайн книгу.
aus, und das brachte mein Blut so in Wallung, daß ich ein Tischmesser ergriff und in voller Wut auf sie losstürzte. Ich hätte sie unfehlbar erstochen, wäre nicht meine Mutter schützend dazwischengetreten. Sie warf sich dem gezückten Messer entgegen und trug eine leichte Verwundung davon, ich aber mußte mir nach dieser Szene ein anderes Unterkommen suchen.
Der Dienst als Knecht war mir im höchsten Grade zuwider, ich hielt nirgends aus und fing an, im Lande herumzustreichen und zu betteln. Den Sommer über arbeitete ich bei Wriezen an der Oder, mit dem Winter hörte jedoch die Arbeit auf, und es blieb mir nichts übrig, als mich abermals nach Dertzow zu wenden und die Meinigen um Verzeihung zu bitten. Sie nahmen mich auf, und nun war ich wieder auf einige Zeit versorgt. Freilich sah ich ein, daß ich nicht monatelang auf Kosten meines Bruders leben konnte, doch ich hatte auch keine Lust, schwere Arbeit zu verrichten, ich wollte eben ein bequemes Leben führen wie ehemals in Berlin.
Da hörte ich zufällig von dem Kriege, den England und Frankreich gegen Rußland führten, und daß englische Fremdenlegionen gebildet würden. Mir war im Vaterlande kein Glück beschieden, ich hoffte es in der Ferne auf den Schlachtfeldern zu finden, Mut besaß ich, das Leben war mir nicht mehr so teuer, daß ich es nicht hätte riskieren sollen, und nach überstandenen Gefahren stand reicher Lohn in Aussicht. Ich beschloß, mich anwerben zu lassen. Ohne Geld und in dürftiger Kleidung trat ich bei rauhem Wetter die Wanderung nach Hamburg an. Die notwendige Nahrung erbettelte ich vor den Türen, die Nächte verbrachte ich meist im Freien, im glücklichsten Falle schlief ich in einer Scheune oder auf einem Boden. Ich hatte unsägliche Anstrengungen zu überstehen. Das kalte nasse Wetter und der Mangel an kräftigen Speisen erschütterten meine Gesundheit, ich kam auf das äußerste erschöpft in Hamburg an. Die Werber überwiesen mich den Depots auf Helgoland, und voll freudiger Hoffnung bestieg ich das Schiff, das mich dem Ziele meiner Wünsche zuführen sollte. Nachdem ich in Helgoland gelandet war, mußte ich mich einer ärztlichen Untersuchung unterwerfen und wurde – man denke sich meinen furchtbaren Schrecken! – als untauglich abgewiesen. Diese Stunde war die schwerste meines Lebens, ich fühlte, daß ich mit jedem Schritte rückwärts meinem Verderben näher kam, und doch mußte ich zurück auf den deutschen Boden, von dem ich schon für ewig Abschied genommen hatte. Zum Glück war ausgemacht worden, daß jeder, der in die Fremdenlegion eingestellt würde, zum Besten der Zurückgewiesenen einen Taler bezahlen sollte. Mit Hilfe dieser Unterstützung erreichte ich Hamburg und gelangte auf dieselbe elende und klägliche Weise wie auf der Hinreise wieder nach Dertzow. Das war im Januar des Jahres 1856. Mein Bruder Martin wies mich auch diesmal nicht von seiner Tür, und ich lebte von neuem mit ihm und seiner Familie zusammen. Um mir ein Anrecht auf den Platz im Hause und am Tische zu erwerben, sann ich auf Gelegenheit zum Stehlen. Martin, den ich von meinen Plänen unterrichtete, war damit einverstanden, ich brach in den Getreideboden des Gutshofes ein, entwendete Getreide und gab es meinem Bruder als Zahlung für Kost und Wohnung. Ich geriet in Verdacht und wurde verhaftet, aber das Gefängnis war nicht fest genug verwahrt, ich kroch mit Leichtigkeit durch das Eisengitter. Ursprünglich hatte ich gar nicht die Absicht zu fliehen, ich wollte mir nur ein Brot holen, weil ich von der Gefangenenkost nicht satt wurde. Im Freien besann ich mich jedoch anders, ich nahm aus den Ställen des Gutshofes eine Partie Brot und Kleider und flüchtete in den Wald. Hier kam ich zu einer Köhlerhütte, der Köhler schlief, neben ihm stand ein mit Eßwaren gefüllter Kober. Ich ergriff den Kober und schlich mich davon. In der folgenden Nacht brach ich auf dem Rittergut in Hohenziethen in die Speisekammer ein und holte mir Fleischvorräte.
Ich befürchtete, daß man mich verfolgen, festnehmen und zu langer Freiheitsstrafe verurteilen würde, deshalb beschloß ich, mich ins Ausland zu begeben, vorher aber die Kasse des Oberinspektors in Dertzow zu plündern. Ich zerschlug eine Fensterscheibe, stieg ein und holte vom Feuerherd eine glühende Kohle, die ich im Kopf meiner Pfeife verbarg. Darauf entfernte ich mich wieder aus dem Hause und stieg auf einen Zaun, von dem aus ich das Strohdach erreichen konnte. Ich steckte die Kohle hinein und erwartete nun, daß das Feuer aufgehen und der Inspektor sein Zimmer verlassen würde. Ich lehnte ein Pfluggestell an sein Fenster, um jeden Augenblick bequem hineinkommen zu können, und hoffte, daß ich in der durch den Brand entstehenden Verwirrung das Geld ohne große Schwierigkeit rauben könnte. Nach wenigen Minuten schlugen die Flammen empor, der Nachtwächter aber machte einen Strich durch meine Rechnung, denn er gab das Feuerzeichen erst, als das Dach lichterloh brannte und die Umgebung des Hauses so erhellt war, daß ich nicht länger auf meinem Platze bleiben durfte. Ehe noch der Inspektor durch den Feuerlärm geweckt war, mußte ich um meiner Sicherheit willen die Flucht ergreifen. Ich lebte etliche Wochen im Walde, verlor aber den Mut und stellte mich freiwillig dem Gericht. Wider mein Erwarten wurde ich nach Lippehne zurückgebracht und auch wegen der Brandstiftung in Untersuchung genommen. Das machte mich doch bedenklich, ich brach zum zweitenmal aus und verließ nun ohne Zaudern die dortige Gegend. Ich stahl an verschiedenen Orten, verkaufte das gestohlene Gut und schlug mich nach Hamburg durch. Hier ging ich von einem Schiff zum andern und bat, mir Arbeit zu geben, aber meine Bemühungen waren umsonst, ich hatte keine Legitimationspapiere und sah heruntergekommen aus, deshalb wiesen mich die Kapitäne, bei denen ich mich meldete, ab. Nun stahl und bettelte ich mich durch nach Glückstadt, auch hier nahm man mich nicht an. Ich war in einer verzweifelten Lage. In meiner Heimat wagte ich mich nicht zu zeigen, in der Fremde war ich keinen Tag sicher vor der Polizei, denn ich besaß weder Geld noch einen Paß. Ich wünschte mir den Tod und machte einen Versuch, mich mit Gift umzubringen. Ich kochte eine gehörige Menge Schwefelhölzer in Wasser und genoß den stark nach Phosphor schmeckenden Trank. Mir wurde darnach übel, ich bekam Leibschmerzen, aber nach einigen Tagen war ich wieder völlig gesund, und die Lust zum Leben erwachte von neuem. Ich dachte an die Wälder, in denen ich als Knabe umhergestreift war, und beschloß endlich, mich dort zu verbergen, mein Leben auf jede mögliche Art zu fristen und es jedenfalls so teuer als möglich zu verkaufen, wenn man mich verfolgen sollte.
Hätte ich früher den Mut gehabt, die verdiente Strafe zu leiden und einige Jahre Gefängnis zu überstehen, so wäre ich nicht zum Brandstifter, hätte ich mich nachher nicht vor dem Zuchthause gefürchtet, so wäre ich nicht zum Mörder geworden.
Zunächst wanderte ich fechtend und stehlend durch Mecklenburg nach Pommern. In den Wäldern, die sich von Stettin bis über Pyritz hinaus erstrecken, verbrachte ich den Sommer. Um mich vor dem Unwetter zu schützen, wühlte ich an einsamen Stellen im Dickicht Löcher in die Erde und schlug dort mein Lager auf. Des Nachts machte ich Streifzüge in die benachbarten Dörfer. Allmählich gewöhnte ich mich daran, im Freien zu schlafen, nur bei anhaltendem Regen lag ich so gut wie im Wasser. Dieser Übelstand brachte mich auf den Gedanken, mir eine ordentliche Höhle zu bauen. Ich stahl mir nach und nach alle dazu nötigen Werkzeuge und Bretter zusammen und begann nun den Bau. Ich legte Bretter über ein etwa zwei Fuß tiefes Erdloch und deckte sie mit Erde, die ich sorgfältig einebnete, zu. Die Oberfläche konnte man von dem übrigen Boden nicht unterscheiden, so vorsichtig war ich zu Werke gegangen. Nachdem ich nun eine Decke für die Höhle hatte, die ich darunter ausgraben wollte, fing ich an zu wühlen und die Erde unter der Bretterlage hervorzuholen. Diese Arbeit erforderte geraume Zeit, denn ich konnte in einer Nacht immer nur einen geringen Teil Erde ausgraben und durfte in der Nahe keine Spur davon zurücklassen. Wenn ich eine bestimmte Masse Erde vor mir liegen sah, füllte ich sie in ein Gefäß, ging abwechselnd nach verschiedenen Richtungen weit fort und verstreute sie in kleinen Brocken. Nach nicht geringer Anstrengung war ich so weit, daß ich Seitenpfosten einsetzen konnte, die als Stützen für die Decke dienten. Ich grub und minierte fort, bis der Raum groß genug war, dann ging ich an die innere Einrichtung. Schon vor dem Eintritt des Winters hatte ich einen Feuerherd und den Rauchfang fertig, den Rauch leitete ich durch eine blecherne Röhre, die an der Erdoberfläche mündete, ins Freie und sorgte dafür, daß sich weder außen an der Mündung noch im Rohre Ruß ansetzen konnte. Ich lebte nun ungleich behaglicher als vorher, ein Dorf um das andere wurde geplündert, meist machte ich wertvolle Beute und kehrte schwer beladen in meine unterirdische Wohnung zurück. Wenn die Windrichtung günstig war und ich mich überzeugt hatte, daß sich kein Mensch in der Nähe befand, brannte ich Feuer an und kochte mir Speisen auf Vorrat. Heizung brauchte ich nicht, denn es war ziemlich warm in der Höhle, und sooft heftige Kälte eintrat, deckte ich mich mit Kleidungsstücken zu, die ich in großer Menge besaß. Bei allen Diebstählen nahm ich Bedacht darauf, mir Licht und Öl zu verschaffen; war ich so glücklich gewesen, das zu finden, dann erleuchtete ich