Im Schatten der Schwarzen Sonne. Nicholas Goodrick-ClarkeЧитать онлайн книгу.
unergründliches Gewusel in einer verrückt gewordenen Welt, strahlend beleuchtet. Ich fühlte mich wie gebannt, wie hypnotisiert. […] Immer wieder musste ich staunen über die außerordentliche, unbeschreibliche Genialität, die sich in diesem Buch niederschlug. […] Der Nationalsozialismus, die bilderstürmerische Weltsicht Adolf Hitlers, war, dies wurde mir klar, ein wissenschaftlich fundierter Rassenidealismus; eigentlich sogar mehr noch: Er war eine neue Religion.«6
So konvertierte George Lincoln Rockwell zur Religion des Nationalsozialismus. Später sollte er den braunen Diktator regelrecht zum Erlöser hochstilisieren: »Künftige Generationen werden Adolf Hitler als den Weißen Retter des 20. Jahrhunderts betrachten und den Führerbunker in Berlin als das Alamo der Weißen Rasse.«7 (Im texanischen Fort Alamo hatten sich im März 1836 amerikanische Siedler und Soldaten verschanzt, die für die Unabhängigkeit der Provinz Texas von Mexiko kämpften. Sie wurden zunächst von der mexikanischen Übermacht geschlagen. Drei Wochen später jedoch gewannen die Amerikaner die entscheidende Schlacht; Texas wurde unabhängig und schließlich Teil der USA.)
Rund acht Jahre sollten nach dem epiphanischen Ereignis in der Bibliothek von San Diego noch vergehen, bis Rockwell als bekennender Hitlerianer an die Spitze der American Nazi Party trat. Vorerst erwarteten ihn andere Aufgaben. November 1952 versetzte ihn die Navy zur Flugzeugbasis Keflavik in Island, wo er zwei Jahre als F8F-Bearcat-Pilot zubrachte und den Rang eines Fregattenkapitäns erlangte. Hier lernte er auch seine zweite Frau kennen, Thora Hallgrimsson, Spross einer prominenten Familie des Landes und Nichte des isländischen Botschafters in den USA. Rockwell vertiefte sich erneut in die Lektüre von Mein Kampf und wählte für seine Flitterwochen gleich das passende Reiseziel: Berchtesgaden und Umgebung. Hier besuchten die beiden voller Ehrfurcht und Faszination, was von Hitlers Alpendomizilen heil geblieben war, so das Kehlsteinhaus, auch Adlernest genannt, eine Erholungsstätte auf schmaler Felsspitze, die sie wie einen Wallfahrtsort betraten.8 Nach seiner Rückkehr ins Zivilleben befasste er sich mit der Herausgabe von Zeitschriften – erstens, um Geld zu verdienen, zweitens, um seine politischen Ideen zu verbreiten. Daneben wurde er in rechtsgerichteten Vereinigungen aktiv; ihn störten freilich die Zersplitterung und Grüppchenwirtschaft, die in der Szene herrschten, und er strebte daher einen »Dachverband der konservativen Organisationen Amerikas« (American Federation of Conservative Organizations) an, wofür er sich sogar bemühte, seine knallharte Nazi-Ideologie hinter einer Fassade biederen Bürgersinns zu verbergen. Doch ließ er das Projekt resigniert fahren, als er erkennen musste, dass er mit eben dieser Strategie jene verprellte, auf die es ihm ankam, nämlich die eingeschworenen Schwarzenfeinde und Antisemiten.9
Aber Rockwell fühlte sich unvermindert zu politischer Tätigkeit gedrängt. Den entscheidenden Impuls versetzte ihm im Winter 1957/58 ein ständig wiederkehrender Traum, in dem er Hitler persönlich begegnete und dieser ihn zur Fortführung seines Kampfes ermunterte. So stritt er denn weiter gegen die »Macht der Juden in Amerika«. Er konnte dies nun in etwas größerem Stile tun, denn inzwischen hatte er einen Geldgeber aufgetrieben, den wohlhabenden Antisemiten Harold N. Arrowsmith. Flugs riefen die beiden das National Committee to Free America from Jewish Domination ins Leben, das »Nationale Komitee zur Befreiung Amerikas von der jüdischen Vorherrschaft«, Sitz: Rockwells Wohnhaus in Arlington/Virginia. Die Stadt ist funktional gesehen ein Wohn- und Verwaltungsvorort Washingtons; daneben beherbergt sie das Pentagon und den zu einer patriotischen Weihestätte avancierten Nationalfriedhof. Rockwells Arlingtoner Heim sollte in den Folgejahren der Ausgangspunkt vielfältiger politischer Aktivität werden. Nicht alles gelang auf Anhieb. Eine Außenseiterkandidatur für den Posten des Gouverneurs von Georgia etwa scheiterte. Doch der gewiefte Provokateur suchte weiter, die Herrschenden zu stellen; schließlich lieferte ihm ein Geschehen im Nahen Osten die Gelegenheit zu profilsichernder Konfrontation. Es ging um das arg bedrängte Chamoun-Regime im Libanon, das zwar bei den dortigen Arabern nicht besonders beliebt war, aber von Israel unterstützt wurde. Deshalb beschloss die US-Regierung im Mai 1958, Präsident Chamoun per Militäreinsatz aus der Patsche zu helfen. Am 29. Juli 1958 führte Rockwell eine Demonstration vors Weiße Haus, die gegen den jüdischen Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik protestierte; auch in Atlanta/Georgia und Louisville/Kentucky organisierte er entsprechende Kundgebungen. Etwa um diese Zeit beteiligte sich Rockwell zudem in Georgia an der Gründung einer neuen rechtsradikalen Partei, der National States’ Rights Party.10 Der Terminus states’ rights bezeichnet die Souveränitätsrechte der Einzelstaaten gegenüber Washington; wenn Rassisten den Begriff gebrauchen, südstaatliche besonders, meinen sie allerdings hauptsächlich den (illegitimen) Anspruch, von der Zentralregierung erlassene Antidiskriminierungsgesetze nicht übernehmen zu müssen. Die National States’ Rights Party gebärdete sich, ganz nach Rockwells Geschmack, entschieden schwarzenfeindlich und antisemitisch. Da brachte ihn ein Attentat in Schwierigkeiten. Am 12. Oktober wurde ein Bombenanschlag auf eine Synagoge in Atlanta verübt. Während der Fahndung nach den Tätern nahm die Polizei vor Ort einige Gefolgsleute Rockwells fest. Nun berichteten die Medien auf der ganzen Welt über die gewaltbereite rechtsradikale Szene der USA, und immer wieder fiel in diesem Zusammenhang sein Name. Rockwell musste den neuen Ruhm mit einigen Unannehmlichkeiten bezahlen. Man bedrängte ihn und seine Familie empfindlich, auch zu Hause. Arrowsmith wiederum, sein reicher Gönner, mochte derart negativ apostrophiert nicht länger im Lichte der Öffentlichkeit stehen und entzog Rockwell die Unterstützung.11
Seine Frau und seine Kinder hielten dem Druck nicht stand und kehrten nach Island zurück. Gescheitert und geächtet, von seiner Familie und früheren Unterstützern verlassen, schien Rockwell Anfang 1959 am Ende. Wenn sich jetzt nichts tat, erwartete ihn eine Zukunft voller Trübnis und Einsamkeit. Aber es tat sich etwas, wenn auch zunächst nur innerlich. An einem kalten Märzmorgen saß er wieder einmal mutterseelenallein in seinem Haus in Arlington gegenüber einer riesigen Hakenkreuzfahne und einem Hitler-Bild und hielt mit beiden eine Art meditative Zwiesprache. Da hatte er, eigenen Berichten zufolge, ein »religiöses Erlebnis«, und fühlte sich für einen Moment im Stande des »universellen Bewusstseins«, wie fernöstliche Lehren derlei nennen würden. Endlich sei ihm klar geworden, dass er sich ganz und gar Hitlers Mission widmen müsse, nämlich dem totalen, weltweiten Sieg über die Kräfte der Tyrannei und der Unterdrückung. Die Konservativen und ihr Respektabilitätsgetue konnten ihm künftig gestohlen bleiben; mit ihnen würde er keine Bündnisse mehr eingehen, die ihn zum Relativieren der eigenen Position zwängen. Er würde nun offen als Nationalsozialist in der Tradition Adolf Hitlers agieren. Es blieb nicht bei der Vision und beim Gedankenspiel. Im März 1959 gründete Rockwell seine amerikanische Variante der NSDAP und nannte sie zunächst noch vage American Party, dann ganz unverhüllt American Nazi Party, kurz ANP. Sein Domizil an der North Franklin Road 2507 in Arlington baute er zum Hauptquartier der neuen Bewegung aus. Stolz flaggte er dort das Nazibanner; auf dem Dach prangte ein riesiges, von Scheinwerfern beleuchtetes Hakenkreuz. Auch rekrutierte er eine uniformierte Schutzgarde, »Sturmtruppe« genannt. Die Gardisten trugen zwar Grau- statt Braunhemden, dafür aber wie die Vorbilder Hakenkreuzarmbinden. Ihre Zahl wuchs zumindest so weit an, dass sie eine eigene Unterkunft brauchten. Rockwell kaufte in der Nähe einen heruntergekommenen Bauernhof und ließ ihn zur Kaserne umfunktionieren.12
Nachdem er sich dergestalt offen und unverhohlen zum Nationalsozialismus bekannt hatte, setzte er alle Energie daran, den »jüdischen Feind« zu provozieren, aber auch die amerikanische Mehrheitsgesellschaft, die er als passives Opfer der Juden betrachtete. Keine Gelegenheit ließ er aus, das konventionelle Amerika gezielt zu schockieren und zu empören, und dies beileibe nicht nur durch das Tragen von Uniformen und Insignien einer verfemten Bewegung. Ab 1960 jagte eine nassforsche Aktion die nächste, und Presse, Rundfunk und Fernsehen überschlugen sich geradezu mit Berichten. Dies gelang, wohlgemerkt, einer Formation, die nie mehr war als ein durchgeknalltes Randgrüppchen, das in