Im Schatten der Schwarzen Sonne. Nicholas Goodrick-ClarkeЧитать онлайн книгу.
von flatternden Sternenbannern und Hakenkreuzfahnen, hielt Rockwell vor neugierigen Mengen und sensationsfreudigen Reportern Reden, in denen er ein Eugenikprogramm zur Reinigung der arischen Rassen forderte, das erst national, dann weltweit praktiziert werden sollte. Die Juden, so predigte er unermüdlich, steckten hinter den üblen Fehlentwicklungen der neueren Zeit; auf ihr Konto gingen Marxismus, Kulturbolschewismus, der Verfall der Rassen ebenso wie der ungezügelte Kapitalismus. Man müsse ihnen den Prozess machen und sie bei erwiesener Schuld hinrichten, und das hieß für Rockwell: vergasen. Die Methoden, mit denen er und die Seinen sich immer wieder erfolgreich mediale Publizität erzwangen, waren stets die gleichen: Man verteilte Hetzschriften, verursachte öffentliche Zwischenfälle und provozierte bei Versammlungen die Andersmeinenden unter den Zuhörern, bis diese sich zu gewaltsamen Gegenreaktionen hinreißen ließen.14 Neben den Juden hatte der Rassismus der ANP selbstverständlich auch die Schwarzen im Visier. Rassenvermischung und Integration waren der Partei ein Gräuel, hinter dem sie ebenfalls die Juden vermuteten, die mit solchen Machenschaften die arische Substanz des weißen Amerika zu verdünnen trachteten. Daher wollte Rockwell alle amerikanischen Neger nach Afrika rücksiedeln, in einem eigenen, von den USA noch zu gründenden Staat. Interessanterweise gab es auf Seiten der Afroamerikaner ähnliche Bestrebungen. Eine der radikaleren schwarzen Organisationen, die islamistisch ausgerichteten Black Muslims (»Schwarze Moslems«), lehnte ihrerseits jede Integration ab und verlangte einen eigenen Staat. Rockwell bekundete für diesen Teil des farbigen Amerika durchaus Sympathie; so erschien er am 25. Februar 1962 bei einer Großtagung der Black Muslims in Chicago als Gastredner, versicherte die über zwölftausend Versammelten seiner Solidarität und erklärte ihr Oberhaupt Elijah Muhamad kurzerhand zum »Adolf Hitler der Schwarzen«. Freilich ahnte Rockwell, dass die Schwarzen in ihrer großen Mehrheit wohl nicht einfach weichen würden. Deshalb, so verkündete er im vertraulichen Kreis, müsse der Deportation ein Rassenkrieg vorausgehen, der die Reihen der Schwarzen durch gezielte Massentötungen bereits merkbar lichte und mit dem man möglichst bald beginnen solle.15
Rockwells Aufstieg zu einer zwar berüchtigten, aber immerhin prominenten Figur im öffentlichen Leben Amerikas erklärt sich wesentlich dadurch, dass der Hitler-Jünger spektakulär gegen ein spektakuläres Phänomen kämpfte, nämlich das politische Erwachen weiter Teile der amerikanischen Schwarzen zu Beginn der 60er-Jahre. Diese mochten Benachteiligung und Demütigung nicht länger hinnehmen und wehrten sich höchst medienwirksam. Die meisten – namentlich die Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King jr. – wählten gewaltfreie Aktionen, veranstalteten Kundgebungen und Protestmärsche oder leisteten »zivilen Ungehorsam«, indem sie etwa Rassentrennungsbestimmungen ostentativ ignorierten. Andere reagierten mit Gewalt auf die Schikanen seitens der weißen Obrigkeit; so kam es zu den blutigen Rassenkrawallen im New Yorker »Negerviertel« Harlem im Juli 1964 und in Watts (bei Los Angeles) im August 1965. Die Öffentlichkeit war für die Bedrängnisse der Schwarzen sensibilisiert; es gab eine regelrechte »liberale Welle«, auch im Regierungshandeln. Gleichstellungsprogramme wurden entworfen, integrative Maßnahmen erfolgten, die Rassenschranken abbauen sollten; so fuhren jetzt vielerorts weiße und schwarze Kinder gemeinsam in Autobussen, die sie zu Schulen brachten, wo sie gemeinsam unterrichtet wurden. All dies erschien Rockwell fluchwürdig. Für ihn waren die Schwarzen eine primitive, lethargische Rasse, die nur nach schlichten Vergnügungen strebte, bar jeder Fähigkeit zum verantwortlichen und gestalterischen Handeln. Rockwell legte seinen Standpunkt zur Rassenfrage so dar: In ihrem Sklavenstatus waren die Schwarzen eigentlich ganz zufrieden, denn was man ihnen abverlangte, konnten sie leisten. Probleme bekamen – und machten – sie erst, seit sie versuchten, am Gesellschafts- und Wirtschaftsleben der Weißen teilzuhaben. Freilich haben sie sich nicht selbst dorthin gedrängt; es waren vielmehr die Juden, die sie in die sachlich unhaltbare Position einer sozialen Gleichheit mit den Weißen beförderten. In Schule und Arbeitswelt hoffnungslos überfordert, entwickelten sie ein Ressentiment gegen die traditionellen Strukturen, das sich nun vielerorts gewalttätig entlud. Sie bedrohten die öffentliche Ordnung – ganz im Sinne der Juden, die ja auf deren Kollaps hinarbeiteten, um den Boden für den Kommunismus zu bereiten.16 Immer wieder beschwor Rockwell die Gefahr einer Eskalation der Rassenkrawalle und stellte sie in einen ursächlichen Zusammenhang mit Judentum und Kommunismus, die er gleichfalls unermüdlich attackierte – ein Versuch, jene tiefsitzenden Ängste auszubeuten, die zu Beginn der 60er-Jahre viele traditionell denkende Amerikaner angesichts vermeintlicher Auflösungserscheinungen in der Gesellschaft ergriffen hatten.
Die ANP entwickelte nun ein wahres aktivistisches Sperrfeuer. Und es blieb nicht bei Protest- und Störmaßnahmen.17 Jüdische Jugendliche wurden misshandelt; eine Synagoge in Bridgeport/Connecticut wurde von einem Bombenanschlag erschüttert; das Wort »Jude« wurde auf Haustüren gemalt. Im Frühjahr 1962 plante Rockwell eine gewaltige Parade zu Hitlers Geburtstag (20. April). Im August organisierte Rockwells britisches Pendant Colin Jordon eine internationale Konferenz der Neonazis im südwestenglischen Gloucesterhire. Ungeachtet eines Einreiseverbots des Londoner Innenministeriums nahm Rockwell teil. Auf dem Treffen wurde die Gründung eines »Weltbundes der Nationalsozialisten« (World Union of National Socialists) beschlossen.18 England schob den Hitler-Epigonen ab. Draufhin demonstrierten Rockwell und die Seinen vor dem Weißen Haus gegen diesen »Willkürakt« und die Tatenlosigkeit der US-Regierung in der Sache. Im September 1962 verlieh Rockwell einem seiner Hauptleute, Roy James, eine Verdienstmedaille, weil er kurz zuvor Martin Luther King in Birmingham/Alabama einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hatte. Im Washingtoner Repräsentantenhaus wagten Rockwells Mannen eine historische Provokation. Den Anlass lieferte ihnen wieder einmal die Bürgerrechtsbewegung. Im Staate Mississippi erlaubte die reguläre Demokratische Partei keine schwarzen Abgeordneten. Daraufhin gründeten einige schwarze Bürgerrechtler die Mississippi Freedom Democrat Party (»Freiheitliche Demokratische Partei des Staates Mississippi«; kurz MFDP) und veranstaltete inoffizielle Wahlen. Die also gekürten Delegierten begaben sich dann am 4. Januar 1965 nach Washington zur ersten Sitzung des Repräsentantenhauses und verlangten demonstrativ und medienwirksam, dass man ihnen ihre Sitze in der Fraktion der Demokraten zuweise. Erwartungsgemäß wurden sie rasch hinauskomplimentiert. Dafür gelang es dem Rockwell-Adjutanten Robert A. Lloyd, in die Kammer vorzudringen. Mit Zylinder und schwarz bemaltem Gesicht stürmte der Neonazi herein und rief, die Sprechweise der südstaatlichen Neger veralbernd: »Ich Delegation von Mississippi! Wo sein Plätze von Demokraten? Ich da auch sitzen wollen!« Um sicherzustellen, dass alle kapierten, was das Ganze sollte, schrie Lloyd, während man ihn hinausschleppte, noch rasch: »Gott segne Amerika! Es lebe Rockwell!«19 Im Juni 1966 wurde dem so Gerühmten in New York wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses durch Zeigen nazistischer Symbole der Prozess gemacht. Rockwell ließ sich durch einen jüdischen Anwalt vertreten. Schließlich verzichtete das Gericht auf eine Bestrafung, der Meinungsfreiheit wegen – jener Freiheit, die Rockwell seinen Feinden niemals zubilligen mochte.
So gelang es Rockwell eine ganze Weile, sich und die American Nazi Party durch schlagzeilenträchtige Aktionen im öffentlichen Bewusstsein zu halten. Dies schien ihn jedoch nicht auszufüllen. Längst sah er neue Herausforderungen. Wer die Welt erobern wolle, so sagte er sich wohl, müsse international aufgestellt sein wie der Feind und brauche eine philosophische Fundierung. Mit der erwähnten World Union of National Socialists (WUNS) war der erste Schritt in die Internationalität getan, und das gedankliche Rüstzeug trachtete Rockwell zu liefern oder wenigstens zu besorgen. Die WUNS vereinte rechtsradikale Parteien und Gruppen aus verschiedenen Ländern, darunter England, den USA, Chile, Dänemark, Frankreich, Argentinien und Australien. Bei der Gründung im August 1962 hatte noch Colin Jordan die Leitung inne, doch da dieser kurze Zeit später wegen Störung der öffentlichen Ordnung ins Gefängnis kam, ging die Funktion auf Rockwell über. Mit der WUNS besaß Rockwell nun eine Plattform, von der aus er international vernehmbar war. Es musste eine Programmatik entwickelt und verbreitet werden, welche die national Gesinnten aller Welt ansprach und auch die Jüngeren unter diesen begeisterte.