Szenen aus dem Landleben. Оноре де БальзакЧитать онлайн книгу.
etwa drei Franken täglich verdienen. Seine Taubheit verleiht ihm eine trübe Miene; von Natur ist er wortkarg, besitzt aber ein tiefes Gemüt. Wir sind gute Freunde. An den Tagen der Schlacht von Austerlitz, des kaiserlichen Wiegenfestes und des Unglücks von Waterloo isst er bei mir, und ich gebe ihm beim Nachtisch einen Napoleon, um ihm seinen Wein für jedes Vierteljahr zu bezahlen. Das Gefühl der Ehrfurcht, die ich vor diesem Manne habe, wird übrigens von der ganzen Gemeinde geteilt, die nichts lieber täte, als ihn zu ernähren. Wenn er arbeitet, geschieht's aus Stolz. In welches Haus er immer kommt, wird er nach meinem Beispiel geehrt und zum Essen eingeladen. Nur als ein Bild des Kaisers hab' ich ihn bestimmen können, mein Zwanzigfrankenstück anzunehmen. Die ihm zugefügte Ungerechtigkeit hat ihn tief betrübt, aber er trauert mehr noch seinem Kreuze nach, als dass er sich seine Pension wünscht. Ein einziger Umstand tröstet ihn. Als General Éblé nach Erbauung der Brücken die gesunden Pontoniere dem Kaiser vorstellte, hat Napoleon unsern armen Gondrin umarmt. Ohne diese Umarmung würde er vielleicht schon tot sein; er lebt nur durch diese Erinnerung und durch die Hoffnung auf Napoleons Rückkehr. Nichts kann ihn von dessen Tode überzeugen; er glaubt felsenfest, dass er seine Gefangenschaft den Engländern verdankt und würde, glaub' ich, den besten der Aldermänner, der zu seinem Vergnügen reist, unter dem nichtigsten Vorwande umbringen.«
»Auf, auf!« rief Genestas, aus der tiefen Aufmerksamkeit, mit der er dem Arzte lauschte, auffahrend, »machen wir schnell, ich möchte den Mann sehen!«
Und die beiden Reiter setzten ihre Pferde in lebhaften Trab.
»Der andere Soldat«, fuhr Benassis fort, »ist ebenfalls einer jener Eisenmänner, die in den Armeen herumgekugelt sind. Er hat, wie alle französischen Soldaten, von Kugeln, Hieben und Siegen gelebt. Hat viel ausgehalten und immer nur wollene Achselklappen getragen. Besitzt einen jovialen Charakter und liebt Napoleon, der ihm das Kreuz auf dem Schlachtfelde von Valentina verliehen hat, fanatisch. Als echter Dauphineser hat er stets Sorge getragen, mit sich im reinen zu sein; auch bekommt er sein Gnadengehalt und seine Ehrenlegionspension. Er ist ein Infanterist namens Goguelat, der 1812 zur Garde gekommen ist. In gewisser Hinsicht ist er Gondrins Aufwärterin. Beide hausen zusammen bei der Witwe eines herumziehenden Händlers, der sie ihr Geld übergeben; die gute Frau lässt sie bei sich wohnen, verpflegt, kleidet und betreut sie, wie wenn sie ihre Kinder wären. Goguelat ist hier Landbriefträger bei der Post. In dieser Eigenschaft ist er der Neuigkeitsvermittler des Bezirks, und die Gewohnheit, sie zu erzählen, hat ihn zum Spinnstubenredner, zum anerkannten Erzähler gemacht; auch hält ihn Gondrin für einen Schöngeist, für einen Pfiffikus. Wenn Goguelat von Napoleon redet, scheint der Pontonier seine Worte an der bloßen Bewegung der Lippen zu erraten. Wenn sie heute Abend zur Spinnstube kommen, die in einer meiner Scheunen stattfindet, wo wir sie sehen können, ohne gesehen zu werden, will ich Ihnen das Schauspiel dieser Szene geben. Doch wir sind hier bei dem Graben angelangt, und ich sehe meinen Freund Pontonier nicht.«
Aufmerksam blickten der Arzt und der Major um sich, sie sahen nur Gondrins Schaufel, Hacke, Schubkarren und Militärrock bei einem schwarzen Dreckhaufen, aber keine Spur von dem Manne auf den verschiedenen steinigen Wegen, auf denen die Gewässer kamen, einer Art seltsamer Furchen, die fast alle von kleinem Strauchwerk beschattet wurden.
»Er kann nicht weit fort sein. – Heda! Gondrin!« rief der Arzt.
Genestas bemerkte nun Pfeifenrauch zwischen dem Blätterwerk, das eine Geröllablagerung bedeckte und wies den Arzt, der seinen Ruf wiederholte, mit dem Finger darauf hin. Bald zeigte der alte Pontonier seinen Kopf, erkannte den Bürgermeister und kam auf einem kleinen Pfade herunter.
»Nun, mein Alter,« rief Benassis, der aus seiner flachen Hand eine Art Hörrohr machte, »hier ist ein Kamerad, ein Ägypter, der dich hat sehen wollen.«
Gondrin hob sofort den Kopf nach Genestas hin und warf ihm den tiefen, forschenden Blick zu, den alte Soldaten durch die Gewohnheit, ihre Gefahren sofort abzuschätzen, sich zu erwerben gewusst haben. Nachdem er des Majors rotes Band gesehen hatte, führte er schweigend den Rücken seiner Hand an seine Stirn.
»Wenn der kleine Geschorene noch lebte,« rief der Offizier ihm zu, »würdest du das Kreuz und eine schöne Pension haben; denn du hast allen, die Achselstücke tragen und sich am ersten Oktober 1812 auf der anderen Fluss-Seite befunden haben, das Leben gerettet; doch, mein Freund,« fügte der Major absitzend und ihm die Hand in einer plötzlichen Aufwallung reichend, »ich bin nicht Kriegsminister.«
Als er solche Worte hörte, nahm der alte Pontonier eine stramme Haltung an, nachdem er sorgsam die Asche aus seiner Pfeife geklopft und diese zu sich gesteckt hatte; dann sagte er, den Kopf neigend:
»Ich habe nur meine Pflicht getan, Herr Offizier; doch in Bezug auf mich haben die anderen nicht die ihrige getan. Sie haben mir meine Papiere abverlangt! ›Meine Papiere?‹ ... hab' ich ihnen gesagt, ›aber die sind ja das neunundzwanzigste Bulletin!‹«
»Es muss neuerdings reklamiert werden, mein Kamerad. Mit Protektion wird dir heute ganz bestimmt dein Recht werden.«
»Mein Recht!« rief der alte Pontonier mit einem Tone, der den Arzt und den Major erbeben machte.
Es trat ein Augenblick des Schweigens ein, während dessen die beiden Reiter dieses Wrackstück der ehernen Soldaten, die Napoleon aus drei Generationen ausgesucht hatte, betrachteten. Sicherlich war Gondrin ein schönes Muster jener unzerstörbaren Masse, die zerschellte, ohne zu brechen. Dieser alte Mann war kaum fünf Fuß hoch, seine Brust und Schultern waren erstaunlich breit, sein sonnenverbranntes, von Furchen durchzogenes mageres, aber muskulöses Gesicht wies noch einige martialische Züge auf. Alles an ihm hatte einen rauen Charakter; seine Stirn schien ein Stück Stein zu sein; seine spärlichen und grauen Haare fielen kraftlos zurück, wie wenn seinem müden Haupte schon das Leben fehle. Seine Arme, ebenso seine Brust, welche man teilweise durch die Öffnung seines groben Hemdes sah, waren mit Haaren bedeckt und kündigten eine ungewöhnliche Kraft an. Endlich stand er auf seinen wie gedrechselten Beinen fest wie auf einem unerschütterlichen Grunde.
»Recht?« wiederholte er, »wird's nie für unsereinen geben. Wir haben keine Gerichtsvollzieher, die unsere Forderungen eintreiben. Und da man sich den Pansen vollschlagen muss,« sagte er, sich auf den Magen klopfend, »haben wir keine Zeit zu warten. Da ich nun sah, dass die Worte der Leute, die ihr Leben damit hinbringen, sich in den Schreibstuben zu wärmen, nicht die Kraft der Gemüse besitzen, habe ich mich entschlossen, meinen Sold aus dem allgemeinen Fonds zu beziehen,« sagte er, mit seiner Hacke in den Schlamm schlagend.
»Das kann nicht so weitergehen, mein alter Kamerad!« sagte Genestas. »Ich schulde dir das Leben und würde undankbar sein, wenn ich dir nicht beispränge! Ich habe nicht vergessen, dass ich die Brücken der Beresina überschritten habe und kenne gute Burschen, die ebenfalls ein gutes Gedächtnis haben, und die werden mir helfen, dir vom Vaterlande die Belohnung, die du verdienst, zu verschaffen.«
»Sie werden Sie einen Bonapartisten nennen! Mischen Sie sich nicht darein, Herr Offizier. Übrigens habe ich mich in den Nachtrab gedrückt und mir hier mein Loch wie eine blinde Kugel gemacht. Nur war ich nicht darauf gefasst, nachdem ich auf den Kamelen der Wüste gereist war und ein Glas Wein in einer Ecke des brennenden Moskau getrunken hatte, unter den Bäumen zu sterben, die von meinem Vater gepflanzt worden sind!« sagte er, seine Arbeit wieder aufnehmend.
»Armer Alter,« sagte Genestas. – »An seiner Statt würde ich's so machen wie er; wir haben unsern Vater nicht mehr. Mein Herr,« sagte er zu Benassis, »dieses Mannes Ergebung stimmt mich düster. Er weiß nicht, wie sehr er mich interessiert, und wird glauben, dass ich einer jener vornehmen Lumpen bin, die kein Herz für das Unglück des Soldaten haben.«
Er kehrte sich hastig um, fasste den Pontonier bei der Hand und schrie ihm ins Ohr:
»Bei dem Kreuz, das ich trage und das ehedem eine Ehre bedeutete, schwöre ich dir, alles menschenmögliche zu unternehmen, um eine Pension für dich durchzusetzen, und wenn ich zehn ministerielle Weigerungen hinterschlucken sollte, will ich den König, den Dauphin und die ganze Bude bestürmen!«
Als er diese Worte hörte, zitterte der alte Gondrin, sah Genestas an und sagte zu ihm:
»Sie sind also einfacher Soldat gewesen?«
Der