Irrlicht 5 – Mystikroman. Melissa AndersonЧитать онлайн книгу.
um meine Sachen zusammenzupacken.
Auf rosaroten Wolken schwebte ich nach Hause. Ich konnte mein Glück noch gar nicht fassen. Ein Traum war für mich wahr geworden, und ich hatte keine Ahnung, welch ein Alptraum schon wenig später daraus entstehen würde…
*
Am nächsten Tag nach dem Lunch machte ich mich auf die Reise ins Paradies, wie ich glaubte.
Das Treffen mit meinem Vater hatte sich fast bis Mitternacht ausgedehnt, und so hatte ich am Vormittag in aller Eile meine Sachen gepackt und im Kofferraum meines Toyota verstaut.
Mein Vater hatte zwar aus Rücksichtnahme auf mich den Abend früher beenden wollen, doch davon hatte ich nichts wissen wollen. Wir sahen uns ohnehin nur alle zwei Monate, und ich freute mich über jede Minute, die ich mit ihm verbringen konnte. Ich hatte zu ihm schon immer ein herzliches Verhältnis gehabt, und nach dem Tod meiner Mutter vor sechs Jahren hatte ich mich noch enger an ihn angeschlossen.
Er war sehr erfreut und auch stolz auf mich gewesen, daß man mir diesen Auftrag anvertraut hatte und hatte zur Feier des Tages eine Flasche Champagner bestellt. Aus irgendeinem Grund hatte mich dann im Lauf des Abends für kurze Zeit ein unbehagliches Gefühl befallen, ein Gefühl, als ob es verfrüht sei, dieses Ereignis zu begießen…
Doch als ich an diesem Mittag meine Reise startete, war dieses Gefühl wieder verflogen, und ich wurde von einer geradezu närrischen Vorfreude beherrscht. Das Wetter war einmalig schön, die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel und der Verkehr auf der Küstenstraße nach Norden hielt sich in Grenzen. Ich freute mich riesig auf Monterey Peninsula, die berühmte Stadt Carmel, von der ich schon so viel gehört hatte, Cypress Manor, dem Herrensitz der Cummings, und meine Arbeit dort.
Als ich in Carmel ankam, war die Sonne bereits ein roter Feuerball am Horizont, der allmählich im Meer versank. Ich war von diesem Städtchen sofort verzaubert, das überall Künstleratmosphäre ausstrahlte. Fröhlich wirkende Menschen bevölkerten die Straßen, Geschäfte und Kunstgalerien waren noch geöffnet, und auf einem großen Platz wurden Kunstwerke aller Art ausgestellt. Ich fuhr in den nächsten freien Parkplatz und stieg aus, um mir das bunte Treiben näher anzusehen. Zusammen mit anderen Schaulustigen drängte ich mich um Stände mit Töpferwaren, Schmuck und Gemälden. Auf einer grob zusammengezimmerten Tribüne spielte eine kleine Jazzcombo heiße Rhythmen.
Ich war begeistert von dem ersten Eindruck, den ich von Carmel bekam. Am liebsten wäre ich noch stundenlang hier herumgeschlendert, aber ich war schließlich nicht zu meinem Vergnügen hier. Man erwartete mich, und es war schon sehr spät. Mit Bedauern und dem festen Vorsatz, so bald wie möglich wieder hierherzukommen, riß ich mich los und betrat durch die offenstehende Tür eine kleine Galerie, um mich nach dem Weg zu Cypress Manor zu erkundigen.
In der Galerie befand sich keine Menschenseele. Alle schienen sich draußen auf dem Platz zu drängen. Geduldig wartete ich auf den Inhaber der Galerie und besah mir in der Zwischenzeit die ausgestellten Gemälde und den Ständer mit den Künstlerkarten.
»Kann ich Ihnen etwas zeigen, oder möchten Sie sich nur ein wenig umsehen?« hörte ich nach einer Weile neben mir eine freundliche Männerstimme. Ich drehte mich um und sah einen Mann vor mir, der ein paar Jahre älter sein mochte als ich. Er trug Jeans und ein weißes, aufgeknöpftes Hemd. Das braune Haar war natürlich gelockt und ziemlich lang. Ein netter Typ, stellte ich im stillen fest. Sein Gesicht war ebenso freundlich wie seine Stimme.
»Keines von beiden«, sagte ich entschuldigend. »Sie haben zwar wunderschöne Bilder hier, aber ich kann mich heute leider nicht mehr aufhalten. Ich bin nur hereingekommen, um mich nach dem Weg nach Cypress Manor zu erkundigen. Können Sie mir sagen, wie ich dorthin komme?«
Der junge Mann sah mich merkwürdig prüfend an, wie mir schien. »Cypress Manor?« wiederholte er gedehnt. »Sind Sie mit den Cummings’ verwandt?«
Ein unangenehmes Gefühl kroch mir über den Rücken. Sein unverhohlenes Interesse verwirrte mich. Aber dann sagte ich mir, daß es sicher ganz normal war, nachdem die Cummings mit ihrer privaten Gemäldegalerie so berühmt waren. Solche Leute erregten immer das öffentliche Interesse.
»Nein«, sagte ich, »ich habe den Auftrag, einige Gemälde für Mr. Cummings zu restaurieren.«
Seine Augenbrauen ruckten in die Höhe. »Sie?« fragte er noch gedehnter. Obwohl ich ihn vorhin noch recht nett gefunden hatte, ärgerte ich mich jetzt über ihn.
»Trauen Sie mir das etwa nicht zu?« gab ich angriffslustig zurück. Vielleicht gehörte er auch zu den Männern, die der Meinung waren, daß eine Frau an den Kochtopf gehörte.
Er legte beschwichtigend seine Hand auf meinen Arm. »Das hatte ich damit wirklich nicht ausdrücken wollen«, versicherte er mir, »ich habe mich nur gewundert, weil Mr. Cummings in den letzten Jahren nur einen bestimmten Restaurator an seine Gemälde gelassen hat.«
Irgendwie hatte ich den Eindruck, daß das nicht der einzige Grund war, aus dem er sich wunderte. Seine Erklärung war zu rasch gekommen, auch wenn sie durchaus einleuchtend war.
»Rudy Perrida, ich weiß«, erwiderte ich. »Er ist ein Kollege von mir.« Ich erzählte ihm kurz, unter welchen Umständen ich zu diesem Job gekommen war. »Kennen Sie Rudy persönlich?« fragte ich dann.
Ein weiterer prüfender Blick traf mich. Dabei konnte ich feststellen, daß der junge Mann schöne braune Augen hatte.
»Ja, ich habe ihn kennengelernt«, sagte er etwas zögernd, »hier in Carmel kennt ohnehin jeder jeden.«
Ich nickte. Von dem kurzen Eindruck her, den ich von diesem Städtchen hatte, konnte ich mir das gut vorstellen. Hier lebte man sicher nicht so anonym wie beispielsweise in Los Angeles.
»Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?« hörte ich ihn in meine Gedanken hinein fragen. »Oder ein Glas Wein?«
Ich zögerte. Eigentlich hatte ich es ja eilig, nachdem ich ohnehin schon so spät dran war, aber dann dachte ich mir, daß ich von diesem Galeriebesitzer, oder wer immer es auch war, vielleicht etwas Interessantes über Cypress Manor und seine Bewohner erfahren und mir ein wenig ein Bild darüber machen konnte, bevor ich dort eintraf. Mr. Larson hatte keine Zeit mehr gehabt, mir irgendwelche Eindrücke zu vermitteln, und mir fiel jetzt plötzlich auf, daß Rudy immer auffallend wenig über seine Arbeit in Cypress Manor erzählt hatte, obwohl er sonst immer recht gesprächig war und meistens alles in leuchtenden Farben schilderte.
»Gern, vielen Dank«, sagte ich deshalb, »Kaffee habe ich heute schon genug getrunken, aber ein Glas Wein schlage ich nicht ab. Lange kann ich mich allerdings nicht mehr aufhalten, wenn ich mir meinen Weg nicht im Stockdunkeln suchen will.«
»Er ist wirklich leicht zu finden«, beruhigte er mich, »ich werde Ihnen alles aufschreiben. Kommen Sie, setzen wir uns nach hinten.«
Er führte mich um eine Stellwand mit Bildern herum zu einer gemütlichen Sitzgruppe. Durch einen Türbogen konnte ich einen Blick in einen Raum werfen, der meinem Atelier in der Firma Larson glich.
»Malen Sie selbst?« fragte ich interessiert und deutete mit meinem Arm in den angrenzenden Raum.
»Ja, aber nur noch nebenbei.« Er bat mich, Platz zu nehmen, und schenkte zwei Gläser mit Rotwein ein. Dann nahm er eine Visitenkarte von dem kleinen Stapel auf dem Tisch und reichte sie mir. »Mein Name ist übrigens Brandon Kelly«, stellte er sich mit einer kleinen Verbeugung vor, bevor er sich mir gegenüber setzte.
Ich warf einen Blick auf die Karte. Kunstmaler und Galeriebesitzer, Carmel, stand unter seinem Namen. Ich steckte sie dankend ein.
»Und ich bin Naomi Landers aus Los Angeles, von Beruf Restauratorin«, stellte ich mich meinerseits vor. »Ich werde voraussichtlich etwa sechs Wochen in Cypress Manor zu tun haben, anschließend verbringe ich dann hier noch meinen Urlaub.«
Wieder dieser forschende Blick. Am liebsten hätte ich ihn gefragt, ob mit Cypress Manor etwas nicht stimmte. Aber vielleicht bildete ich mir auch nur etwas ein. Ich hatte eine stundenlange Autofahrt hinter mir, war müde, nervös und aufgeregt.
Brandon