Sprachwitze. Robert SedlaczekЧитать онлайн книгу.
Wer dann noch immer seine (niedrige) adelige Herkunft demonstrativ vor sich hertrug, rückwärtsgewandt und gleichzeitig ungebildet oder begriffsstützig war, verdiente sich den Spott der Lachgemeinschaft.
Eine Neureiche blamiert sich – Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze
Eine österreichische Herkunft weisen auch die Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze auf. Salcia Landmann negiert sie in ihrer ersten Sammlung aus dem Jahr 1960, erst in der Taschenbuchausgabe 1962 tauchen diese Witze auf – in einem eigenen Kapitel, das sie mit folgender Einleitung versieht: „Frau Pollak von Parnegg, die Gattin eines getauften und geadelten Wiener Industriellen, hat wirklich gelebt. Sie war eine populäre Figur. Man behauptet, ihre Söhne hätten alle Aussprüche, die man ihr jeweils unterschob, gesammelt und ihr unter dem Titel ‚Ausflüsse aus dem Muttermund‘ dargebracht.“ (Landmann, 1962, S. 202) In der erweiterten Ausgabe 1988 fügt sie einen Satz hinzu: „Beim Einmarsch Hitlers in Wien stürzte sie sich aus dem Fenster.“ (Landmann, 1988, S. 439)
Während die Tante Jolesch eine von Friedrich Torberg erfundene literarische Figur ist, hat die Frau Pollak wirklich gelebt. Jene biografischen Angaben, die über sie kursieren, sind allerdings zum größten Teil falsch, wie der Genealoge Georg Gaugusch herausfand. Im zweiten Band seines epochalen Werkes Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938 stellt der Eigentümer und Geschäftsführer eines noblen Tuchgeschäfts am Michaelerplatz klar: Gemeint ist Mathilde von Pollack Parnegg, geboren am 25. Oktober 1845 in Prag. Am 7. April 1867 heiratete sie als Einundzwanzigjährige den aus Nikolsburg (Mähren) stammenden und um sechs Jahre älteren Leopold Pollack, ebenfalls aus einer jüdischen Familie. (Gaugusch, Bd. 2, S. 2593–2597) Dieser übernahm von seinem Vater ein kleines Kurrentwarengeschäft – als Kurrentwaren bezeichnete das damalige Handelsrecht Baumwolltextilien. Aus dem kleinen Geschäft entwickelte er gemeinsam mit seinem Bruder Bernhard ein europaweit agierendes Textilimperium mit rund fünftausend Beschäftigten. Er war einer der erfolgreichsten Großindustriellen seiner Zeit und galt als Wortführer der damaligen Textilindustrie. (Gaugusch, Bd. 2, S. 2594) Im Jahr 1894 wurde ihm der Adelsstand verliehen – unter Hinweis auf seine langjährige Tätigkeit als Präsident der Wiener Kaufmannschaft. Fortan ist er „Freiherr von Parnegg“, in den Witzen wird er meist zum Baron erhoben. Die Schreibung des Familiennamens wird in den Witzen von „Pollack“ auf „Pollak“ geändert, damit die erste Silbe betont wird. Ohne -c- schrieben sich übrigens die Vorfahren des Industriellen – ein -ck gibt es im Tschechischen nicht. Leopold Pollack wechselte nicht vom Judentum zum Christentum. Dass sich seine Frau Mathilde, eine Jüdin, taufen ließ, ist ebenfalls eine Legende. Auch sie blieb ihrer Religion treu. Und sie sprang nicht im Jahr 1938 beim Einmarsch der Nazitruppen aus dem Fenster, wie in einigen Witzesammlungen zu lesen ist, sondern starb am 26. November 1923 an einem Herzschlag, nachdem sie vorher entmündigt worden war. Sie überlebte ihren Mann nur um eineinhalb Jahre. Die Gefühlskälte, die ihr im folgenden Witz angedichtet wird, ist wohl frei erfunden. Oder ist es vielleicht ein surrealistischer Witz?
Man sucht überall nach Herrn Pollak von Parnegg, ruft im Büro, im Klub bei Freunden an – er ist nirgends zu finden. Frau Pollak geht ins Schlafzimmer, da liegt er tot unter dem Bett. Sie läutet dem Stubenmädchen und sagt streng: „Sehen Sie, so räumen Sie auf!“ (Landmann, 1962, S. 202–203)
Die Tageszeitung Die Stunde schrieb am 13. März 1923 unter dem Titel „‚Frau von Pollack‘ – entmündigt“: „Das ist leider kein ‚Frau von Pollack-Witz‘. Wie wir erfahren, ist die bejahrte Dame – Frau Mathilde Pollack-Parnegg steht im 78. Lebensjahre – wegen Geistesschwäche voll entmündigt und zu ihrem Kurator ihr Sohn, Herr Felix Pollack-Parnegg, der leitende Chef der großen Textilfirma Hermann Pollacks Söhne, bestellt worden. Neben der Metternich war ‚Frau von Pollack‘ wohl die populärste Frau in Wien. Nicht so sehr wegen ihrer gesellschaftlichen Stellung, denn sie führte ein zurückgezogenes, ja, für ihre materiellen Verhältnisse recht bescheidenes Leben, sondern wegen ihrer auf wenig Kenntnissen, einem entzückenden Missverstehen aller Fremdworte und einer beispiellosen Misshandlung der deutschen und französischen Sprache beruhenden Aussprüche, die man ihr in den Mund legte. Natürlich hat sie die Ungereimtheiten, über die man sich so köstlich unterhielt, nie gesagt, und es spricht nur für ihr gütiges, unbefangenes Wesen, dass sie selbst über all die vielen Witze herzlich lachen konnte und auch ihrem Sohn, dem Herrn Dr. Otto Pollack-Parnegg nicht gram war, von dem angeblich die meisten und besten ‚Frau von Pollack-Witze‘ stammen sollen.“
Freundin von Frau Pollak auf dem Hausball. „Ein eleganter Mann, der Legationsrat. Er tanzt mit einer gewissen Nonchalance.“ Frau Pollak: „Was fällt ihnen ein! Das ist doch die Siddi Braun!“ (Landmann, 1988, S. 447)
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Frau Pollak besucht mit ihrem Mann eine Galerie. Sie stehen vor einem Bild, auf dem ein ruhendes Mädchen zu sehen ist. „Was stellt dieses Bild dar?“, will sie wissen. „Siesta.“ – „Was heißt sie esst da? Sie schloft da!“ (Landmann, 1962, S. 203)
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Frau Pollak hat einen Teppich annonciert. „Gnädige Frau, der Herr Rappaport ist unten, er reflektiert auf ihren Teppich.“ – „Wischen Sie’s weg und machen Sie kein Aufsehen!“ (Weigel, S. 16; vgl. Landmann, 1988, S. 440)
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Bei einer Ballveranstaltung trifft Frau Pollak den General von François und sagt zu ihm: „Herr Frankoa, tanzen Sie denn gar nicht?“ – „Von François bitte!“ In dem Augenblick kommt etwas dazwischen. Später sieht Frau Pollak wieder den General und wiederholt ihre Frage: „Aber Herr Frankoa, tanzen Sie überhaupt nicht?“ „Von François bitte! Ich habe eine Cédille unterm c!“ Darauf Frau Pollak: „Ach so, wenn Sie etwas am Fuß haben, können Sie natürlich nicht tanzen.“ (vgl. Koch, S. 87–88, vgl. Landmann, 1972, S. 165)
Frau Pollack von Parnegg war nicht eine Jüdin aus ärmlichen Verhältnissen, die in eine reiche Industriellenfamilie eingeheiratet hat. Sie erlebte den Aufstieg Leopold Pollacks zum Großindustriellen von Beginn an als Ehefrau mit. Aber natürlich war sie ein Emporkömmling, allerdings – wenn man dem Zeitungsbericht Glauben schenkt – nicht mit einem protzenden Lebensstil. In den Salons der Stadt, wo man die über sie gemachten Witze erzählte, waren diese Fakten sicherlich bekannt.
Die Witze hatten damals auch einen bitteren Beigeschmack. In einer Phase des aggressiven Antisemitismus unter Bürgermeister Karl Lueger entsprachen Witze über eine reiche Jüdin, die sich fortwährend blamiert, dem Zeitgeist. Die Witze hatten also eine antisemitische Wirkung, wenngleich sie von Juden erzählt, wenn nicht sogar erfunden wurden. Offensichtlich hat man deshalb irgendwann nach ihrem Tod zwei fiktive Elemente in die biografischen Angaben eingefügt: Sie sei zum Christentum konvertiert und sie habe sich im März 1938 nach dem Einmarsch der Nazitruppen aus dem Fenster gestürzt.
Herr und Frau Pollak kommen nach Paris, steigen in einem noblen Hotel ab, und Frau Pollak trägt sich ins Gästebuch ein: Le Baron et la Baronne Pollak de Parnegg, parvenus de Vienne. (franz. venu = gekommen, parvenu = aufgekommen) (Landmann, 1988, S. 443)
Die Frau Pollack stammte offenbar aus einem bildungsfernen Prager Elternhaus, die Geschichten, die über sie erzählt wurden, waren Übertreibungen, aber man kann davon ausgehen, dass sie einen wahren Kern hatten. Gewitzelt wurde über sie, weil sie nicht ein Bildungsniveau anstrebte, das dem sozialen Status ihres zum Großindustriellen aufgestiegenen und geadelten Mannes entsprach.
Frau Pollak besucht eine Ausstellung: „Ich wusste gar nicht, dass der Prinz Eugen ermordet wurde!“ – „Wie kommen Sie drauf?“ – „Lesen Sie selber. Hier steht: Prinz Eugen nach einem Stich von Bernard Picart.“ (Landmann, 2010, S. 578–579 und Ott, S. 175, beide mit „Friedrich der Große“ und „Adolf Menzel“)
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Für ihre nächste Soirée möchte Frau Pollak etwas Besonderes haben. Eine Freundin rät ihr zum Roséquartett. Nach der Soirée fragt sie, wie der Erfolg war. Darauf Frau Pollak: „Komischer Mensch, der Roséquartett. Ich habe ihn engagiert – und er hat sich gleich noch drei andere mitgebracht.“ (Landmann, 2010, S. 582; 2007, S. 281)
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Frau Pollak hat ihre Freunde