Sprachwitze. Robert SedlaczekЧитать онлайн книгу.
– „Großer Gott“, sagt einer der Gäste, da haben Sie doch einen großen Schaden erlitten!“ Darauf sagt Frau Pollak: „Zum Glück war der Schaden nicht groß, denn stellen Sie sich vor: Unter dem Tizian war noch ein Bild von unserem seligen Kaiser Franz Joseph.“ (vgl. Landmann, 1988, S. 448–449) ◊
Frau Pollak ruft ihren alten, schwerhörigen Buchhändler an: „Ich möchte ‚Die Fackel‘ abonnieren.“ Der Buchhändler: „Ich höre schlecht, wollen Frau Baronin bitte buchstabieren!“ – „Also passen S’ auf: F wie Ferd. A wie Ampire. C wie zem Beispiel. K wie Krist. E wie ebberhaupt. L wie Lektrische.“ (Landmann, 1988, S. 440)
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Frau Pollak besucht mit ihrem Mann eine Bildergalerie. „Du Moritzleben, was stellt dieses Bild dar?“ – „Stillleben.“ – „Warum? Man wird doch noch fragen dürfen.“ (Landmann, 1988, S. 440)
In diesem Witz heißt Frau Pollaks Ehemann nicht Leopold, sondern Moritz. Aber „Moritzleben“ und „Stillleben“ in einen Zusammenhang zu bringen, ist jedenfalls eine raffinierte Witzetechnik.
Das angehängte „-leben“ in „Moritzleben“, „Tateleben“ etc. geht auf jiddisch leb zurück, mit der Bedeutung „mein Lieber“. So bedeutet tate leb, auch tate leben, so viel wie „lieber Vater“; „Stillleben“ wird von Frau Pollak als sei still, mein leben (= sei still mein Lieber) interpretiert. Das Herkunftswort ist mittelhochdeutsch liep, liup (= lieb). Vielleicht ist die Bedeutung auch durch hebräisch lew (= Herz) beeinflusst. (Wolf, S. 138). Dass Salcia Landmann auch das Wort „Lebkuchen“ mit hebräisch lew in Verbindung bringt, ist nicht durch Forschungsergebnisse der Sprachwissenschaft gedeckt.
Seit wann gibt es die Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze? Sie dürften kurz nach der Jahrhundertwende entstanden sein, wie Gaugusch aus verschiedenen Presseberichten abgeleitet hat. (Gaugusch, Bd. 2, S. 2596) In den kleinen Witzebüchern von Heinrich Eisenbach, erschienen ab 1905, heißt die neureiche und ungebildete Jüdin meist noch Baronin von Barches, Baronin Parcheweg oder Baronin Parchenek.
„Barches“ ist die westjiddische Variante des ostjiddischen Wortes „Challa“. Es bezeichnet im 4. Buch Mose 15,17–21, wo die Erstlingsopfer beschrieben sind, den Teil des Brotteiges, der als Opfergabe abgesondert und den Priestern des Tempels gegeben wurde. Nach der Zerstörung des Tempels wurde von den Rabbinern festgelegt, dass ein kleiner Teil des Teiges auch weiterhin abzusondern ist. Da er jedoch nicht mehr den Priestern gegeben werden kann, wird er stattdessen verbrannt.
Wenn Eisenbach im Witz „eine Baronin von Challa“ auftreten lässt, so ist damit diese Person im Publikum unverrückbar als Jüdin identifiziert.
Bei „Baronin Parcheweg“ oder „Baronin Parchenek“ ist wiederum eine Klangähnlichkeit mit „Freiherr von Parnegg“ erkennbar. Zumindest ein Teil der Theaterbesucher wird auch diesen Hinweis verstanden haben.
Die Baronin von Barches spricht mit einem Herrn über Reisen und der Herr sagt, er war jetzt in Italien und hat den Vesuv gesehen. Darauf sagt die Frau Baronin: „Nu, wie sieht er aus?“ Drauf sagt der Herr: „Er raucht ununterbrochen Tag und Nacht.“ Da sagt die Baronin: „Hat der gar nix anderes zu tun?“ (Eisenbach, XV, S. 8)
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Die Baronin Parcheweg hat eine Jause gegeben und der Zucker wurde ohne Zuckerzange serviert, worauf ihr eine Dame gesagt hat: „Frau Baronin, schau’n Sie, es ist ja nichts dabei, aber man muss eine Zuckerzange haben, wenn man bedenkt, dass einige der Herren herausgeh’n, dann kommen sie herein und nehmen den Zucker mit den Fingern und das ist höchst unappetitlich.“ Bei der nächsten Jause war wieder keine Zuckerzange am Tisch und dieselbe Dame sagt: „Frau Baronin, Sie haben wieder die Zuckerzange vergessen.“ Drauf sagt die Baronin: „Ich hab’ nicht darauf vergessen. Überzeugen Sie sich selbst, am Klosett hängt e silberne Zuckerzange.“ (Eisenbach, XIX, S. 13, Landmann, 1962, S. 203, Ott, S. 26, Habres, S. 55)
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In einer Gesellschaft bei der Baronin Parchenek wirft ein Herr die Frage auf: „Was ist der schönste Teil des Weibes? Der eine sagt: Der Mund, der andere, das Auge, ein dritter, der Fuß, wieder ein anderer, die Büste.“ Drauf sagt die Hausfrau: „Herts scho auf, sonst sagt ana wirklich das Richtige!“ (Eisenbach, XIV, S. 8–9)
Vor allem die Witze mit sexuellen Themen werden in einer durch bürgerliche Doppelmoral gekennzeichneten Gesellschaft ein Riesengelächter ausgelöst haben – wenn sie der großartige Schauspieler Eisenbach auf der Bühne darbrachte. Nicht weniger groß wird die Lachkraft gewesen sein, wenn sie ein Leser in dem Büchlein Heinrich Eisenbach’s Anekdoten, gesammelt und vorgetragen in der Budapester Orpheumgesellschaft in Wien vorfand. Außerdem schlug sich Eisenbach mit diesen Witzen auf die Seite der ärmeren Juden – es waren also Schadenfreudewitze und Witze eines Juden „für ünsere Leut‘“.
Aber Eisenbach wurde noch deutlicher. In zwei Witzen, die er auf der Bühne erzählte und in Buchform publizierte, kommt Frau Pollack sogar mit ihrem richtigen Namen vor – es sind die ältesten Belege eines Frau-Pollak-von-Parnegg-Witzes, die ich finden konnte. Dass es sich um eher harmlose Witze handelt, ist nachvollziehbar. Vermutlich dienten sie hauptsächlich dazu, die Verbindung zwischen der realen Frau Pollack und den Witzefiguren Baronin Parcheweg und Baronin Parchenek herzustellen. 1905 gab es ja noch eine strenge Theaterzensur, und angesichts der Deftigkeit mancher Witze über die real existierende Frau Pollack schwebte über dem Kopf des Witzeerfinders auch eine Verleumdungsklage.
Pollack ist geadelt worden und seine Frau stellt ihre Buben vor: „Der Älteste, Max von Pollack, das ist mein Sohn Bernhard von Pollack, hier meine Tochter Malvine von Pollack, hier meine Tochter Ernestine von Polack.“ Darauf sagt die kleine Ernestine: „Nu, ich bin nix von Pollack.“ (Eisenbach, V, S. 7)
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Frau Pollak kommt am Markt und fragt: „Was kosten die Eier?“ Drauf sagt das Marktweib: „3 Stück 10 Kreuzer.“ Drauf die Frau Pollak: „Früher hab’ ich 4 gekriegt. Warum sind die Eier so teier?“ Darauf sagt das Marktweib: „Weil die Hendeln jetzt kane Eier legen, um die Zeit.“ So sagt Frau Pollak: „Und für 10 Kreuzer legen Sie jo Eier?“ (Eisenbach, VIII, S. 7)
Im Jahr 1905, als Heinrich Eisenbach diese Witze in Umlauf brachte, war Frau Pollack von Parnegg eine rüstige Sechzigjährige. Drei Jahre später diente sie dann einem „geistvollen Humoristen“ sogar als Hauptfigur für eine Burleske, die in ihrer Heimatstadt Prag vom Deutschen Männergesangsverein aufgeführt wurde, wie Georg Gaugusch herausfand. Das Stück Soirée bei Frau von Pollak war die Modernisierung einer Offenbach’schen Operette. (Gaugusch, Bd. 2, S. 2596, Anm. 7)
In einem am 25. Februar 1927 in der Kleinen Volkszeitung erschienenen Nachruf auf Anton Dennemayer, einen langjährigen Darsteller des Kellners Moritz in dem Jargonstück Die Klabriaspartie, ist die Meinung einer Leserbriefschreiberin zu finden, wonach die Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze bereits in den 1890er Jahren aufkamen und „nur die Epigonen“ der Dialoge in der Klabriaspartie waren. Die zeitliche Datierung kann in etwa stimmen, ist aber wahrscheinlich etwas zu früh angesetzt. Leopold Pollack wurde 1894 zum „Freiherr von Parnegg“, was in den Wiener Salons sicher Gesprächsthema war. Aber eine Neureiche passte nicht in das Milieu der Klabriaspartie. Die Pollacks zählten bekanntermaßen zu den angesehensten und reichsten Leuten Wiens. Allenfalls die falsche Interpretation von Lehnwörtern – Spiritus/Spiritist, Klabrias/Klarinett’ etc. – könnte Vorbild für einige Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze gewesen sein.
Ein Beitrag in der humoristischen Zeitschrift Die Muskete vom 11. Jänner 1906 ist im Grenzbereich zwischen Witz und Anekdote angesiedelt – wenn man die heutigen Definitionen dieser zwei Begriffe hernimmt:
(…) Als sich nach dem Ministerrat endlich die Tür öffnete, blieb der Handelsminister auf der breiten, teppichbelegten Treppe stehen, zündete sich eine Zigarette an und sagte zu seinem Kollegen: „Die Eisenbach-Scherze, die der Justizminister erzählte, waren wirklich gelungen.“ Der Ackerbauminister antwortete: „Die neuen Witze von der Frau Pollack, die der Minister des Inneren zum Besten gab, waren auch famos. Wenn nur der Finanzminister nicht gar so fad wäre! Der verdirbt uns mit seinem Leichenbittergesicht jede Sitzung.
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