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Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer. Markus MaederЧитать онлайн книгу.

Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer - Markus Maeder


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er auch wirklich Akazienhonig bekommt, wenn Akazienhonig draufsteht. So drehen sich die Gedanken mit den Rädern.

      Warum hält Markus diesem Bock so unverbrüchlich die Treue?

      Alles in allem dürfte es ihm kaum an etwas fehlen. Nötig hat er die Fahrerei kaum, nach zehntausend Operationen am offenen Herzen – Bypässe, Geburtsfehler, Klappenfehler – Stück für Stück, zwei bis drei jeden Tag, vorwiegend an bestens versicherten privaten Patienten, gut und gern zwanzig Jahre lang, und das in den goldenen Börsenjahren der letzten Jahrzehnte, als die günstigen Winde der Wirtschaft auch kleineren Vermögen tüchtig unter die Flügel griffen. Nein, nötig kannst du es nicht haben, denke ich, aber ich frage nichts, und er sagt nichts. Ein Steckenpferd gönnt er sich, könnte man sagen, wenn er in seinem Sattel säße, als Herrenreiter, und nicht als Kutscher fremder Herren auf dem Bock eines fünfachsigen Vierzigtönner-Sattelschleppers Autobahnen polierte.

      Walo hat unterdessen schlappgemacht. »Ich gebe auf«, hat er übers Handy kurz vor Mailand gesagt, etwas frustriert, aber wohlgemut. Bis er endlich getankt hatte, wies ihn die Scheibe in die Schranken. »No trespassing«. Gesetzlich mögliches Tagessoll erfüllt. Er parkt beim nächsten Autogrill und steht an der Kaffeebar, während wir nun schon bald zwölf Stunden in Italien sind und noch nicht mal einen Espresso gerochen, geschweige denn getrunken haben, nur diesen Automatenkaffee auf Sonnenblumenölbasis. Also denn, Walo, genieß es, bis morgen in Lugano. Espresso hin oder her, für heute gilt: The winner is … Markus Studer, Internationale Transporte.

      Walo wird morgen früh vor fünf Uhr aufstehen, um Markus wieder einzuholen, doch selbst wenn er das schafft, wird Markus schon wieder eins weiter sein mit seinen Gedanken. Er sagt, er fahre strategisch: »Beim Operieren muss man immer zwei, drei Schritte vorausdenken. Alle möglichen Situationen antizipieren und für jede Möglichkeit verschiedene Szenarien entwickeln. Das ist auch das Geheimnis am Lenkrad. Voraussicht ist die beste Vorsicht.«

      Das ist wohl eine Tugend, der einige seiner Herzpatienten ihr Leben verdanken. Und die uns jetzt gebührenden Vorsprung eingebracht hat. »Wir ziehen es durch«, sagt Markus, »Scheibe hin oder her. Weit ist es nicht mehr bis Lugano, und auf einem Autobahnparkplatz übernachten, das geht mir gegen den Strich.« Nein. So was tut Markus nicht. Stilfrage. Noch eine halbe Stunde einer Doppelkette von Rücklichtern hinterherfahren, rund um Mailand, in die Abenddämmerung hineinfahren, das Lucky-Luke-Gefühl mit einem Waldluftstängel intensivieren – et voilà. Chiasso by night. Es riecht nach Pisse, irgendwo in der Nähe schlägt laut Metall auf Metall. Kaum sonst irgendwo wirkt die Schweiz so gespenstisch international wie an den bald letzten Zollübergängen innerhalb Europas. Die düsteren Asphaltwüsten, die uniformierten Gestalten, die im Flutlicht ihre Schatten werfen und ihre Pistolen vom Gurt baumeln lassen, so selbstverständlich, als wäre das ihr Gehänge, aus dem sie pinkeln. Der Ort wirkt so unwirklich und doch so bedrohlich, fast als wäre unsere Frontscheibe eine Cinemascope-Leinwand für einen Agentenfilm aus dem Kalten Krieg. Wie wir über die Grenze gekommen sind, weiß ich nicht mehr. Es ist weggefallen aus dem Gedächtnis, wie die Film-Enden beidseits eines Schnitts. Als Nächstes sind wir wieder dort, wo wir heute Morgen, vierhundertfünfzig Kilometer früher, begonnen haben. Beladen mit Sonnenblumenöl roh in Lugano-Manno.

      Der Traum vom großen Geschirr

      Markus stellt den Motor ab. Die Sitze sacken hydraulisch zusammen. Es ist, als hätte man uns die Luft rausgelassen. Endlich Ruhe. Endlich schlappmachen dürfen. Rund um uns herum Asphalt und Beton, der gleiche wie gestern Abend, kein Strauch, kein Baum, und die Grillen sind auch wieder da, ganz in der Nähe. Nur zwei oder drei, gerade genug, um uns die Sinne zu öffnen für die Werte jenseits des Pannenstreifens. Markus knipst die Vierundzwanzig-Volt-Lämpchen in der Kabine an. Sie werfen ein fahles Licht auf die graue Plastik-Innenverschalung. Immerhin, wir sitzen nicht im Dunkeln, und auf eine fast abenteuerliche Weise wird es sogar gemütlich. Es hat noch Brötchen und Camembert im Kühlschrank, und wenn man tiefer greift, gelangt man zum Bier. Markus schnappt sich ein Fläschchen und sagt: »Ich hatte immer gesagt, 2003 ist der Studer nicht mehr am Herzzentrum. Ich hatte meinen Traum vom großen Geschirr. Katharina war es, meine Frau, die mir den Anstoß gab: Nicht nur reden davon, sagte sie. Jetzt tu es.«

      Später sagt er: »Unterdessen habe ich das ganze Alphabet. Oder mindestens die erste Hälfte. Alle Fahrprüfungen von A bis F. Als Letztes kamen der Lastwagenbrief, der Anhängerbrief und der Brief für den Sattelschlepper und den Bus. Ich fragte mich: Was ist gut für einen älteren Knaben wie mich. Flüssiges fand ich prima. Das musst du nicht selber auf- und abladen. In flüssigen Lebensmitteln sah ich meine Zukunft. In Hygiene kannte ich mich schon aus. Was wollte ich lieber als ein Tankfahrzeug. Heute Fruchtsaft, morgen heiße Schokolade und übermorgen … Immer etwas Flüssiges halt. – Möchtest du einen Schokoriegel? Die habe ich letzthin in Broc bei Cailler gekriegt.«

      Aber gerne doch. Bettmümpfeli nennen wir diese süßen Nachspeisen vor der Nachtruhe. Wir lassen die Schokolade zergehen. Dann sagt Markus: »Natürlich bin ich ein Exot in der Branche. Uns Schweizer kannst du bald an einer Hand abzählen.«

      »Und Frauen?«, frage ich dazwischen, »ist Lastwagenfahren immer noch Männerdomäne?«

      »Genau wie die Herzchirurgie«, sagt er, »die lange, unregelmäßige Arbeitszeit fast rund um die Uhr schließt Frauen von vornherein aus. So wie sie von klein auf lernen, mit Nadel und Faden umzugehen, wären sie prädestiniert für die Arbeit am offenen Herzen – aber außerstande, sich dazu auch noch um ihre Kinder zu kümmern.

      Als bei uns die Kinder draußen waren, fühlte ich mich endlich frei – und bereit zum großen Sprung. Um mir als selbstständigem Camionneur die Existenzgrundlage zu sichern, suchte ich einen Spediteur, bei dem ich unter Vertrag fahren konnte. Ich hatte die Wahl zwischen dreien: Einer ging unterdessen kaputt, einer liegt in der Westschweiz, und der dritte, Transfood, in der Ostschweiz. Erst teilte ich die Aufträge mit meinem Partner Bruno Bopp, einem ehemaligen Swissair-Piloten. Ich wollte vier Jahre fahren und schloss mit ihm einen Vertrag ab. Wir kauften diese Sattelzugmaschine und mieteten den Auflieger von Transfood dazu. Der Vertrag sah vor, vier Jahre gemeinsam zu fahren. Wer vorher ausstieg, dem sollte es wehtun. Bopp stieg trotzdem aus. Er wurde Gemeinderat und privatisiert. Nun fahre ich seit bald zwei Jahren allein. Das werde ich auch weiterhin tun. Das Geschäft läuft gut. Aber die Preise sind tief. Immerhin: Zwanzig Tage nach Monatsende habe ich das Geld auf dem Konto. Immer. Das ist in der Branche nicht selbstverständlich.«

      Das Brummen von Dieselmotoren und die hellen Lichtkegel eines Konvois von fünf Sattelschleppern unterbrechen das Gespräch. Sie kommen auf unser Gelände und parken uns gegenüber. Auf den Aluminiumtanks steht »Tatratrans«. »Siehst du«, sagt Markus, »aus Ungarn. Fünf von Tausenden, die uns die Marge verderben.«

      Er zieht die Gardinen und sagt: »Gerade als ich anfing, suchte die Schweizer Detailhandelskette Migros einen Partner für ihre Straßentransporte. Fast dreißig Spediteure bewarben sich um einen Vertrag. Transfood kam zum Zug. Es war ganz einfach. Der günstigste Bewerber gewann. Fast ein Drittel unter den bisherigen Preisen. Das war ein Erfolg für Transfood. Aber es schlägt aufs Einkommen jedes einzelnen Fahrers durch. Von den rund dreißig Autos von Transfood machen rund die Hälfte sogenannte Hauseckenfahrten. Sie fahren kürzere Strecken, oft täglich dieselben. Die andere Hälfte macht die internationalen Transporte. Oft erfahre ich erst am Montagmorgen, wann es losgeht, wohin es geht und wie es danach weitergeht. Irgendwie komme ich immer zurück. Ja, bis jetzt bin ich immer zurückgekommen. Auch das ist nicht selbstverständlich.

      Der Disponent ist die Schlüsselfigur. Michi hats in der Hand, welchem Fahrer er die Jobs der ersten Wahl zuteilt. Offenbar steht er auf verlorenem Posten. Nie kann er es allen Fahrern recht machen. Weil Irren menschlich ist, trifft er nicht immer die beste Entscheidung, und weil er menschlich entscheidet, hat er Sympathien für einzelne Fahrer. Klar, dass die eigenen Leute in der Regel besser wegkommen als die Vertragsfahrer. Motzen und den Disponenten vergraulen wäre trotzdem nicht klug. Es gibt zwar tausend Möglichkeiten, ihn zu verarschen, doch hat er immer noch eine Möglichkeit mehr, sich zu rächen. Besser, man redet mit ihm, oder wenn sich nichts ändert, sucht man Unterstützung beim Chef. Aber Michi ist prima. Ich kann mich nicht beklagen über


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