Jane Eyre. Eine Autobiografie. Charlotte BronteЧитать онлайн книгу.
Stimmchen herauszuhören glaubte, da wurde die Tür geschlossen.
Ich eilte in Mrs. Fairfax’ Zimmer. Hier brannte ebenfalls ein Feuer, aber keine Kerze, und Mrs. Fairfax war auch nicht da. Statt ihrer erblickte ich einen großen, schwarzweiß gefleckten, langhaarigen Hund, der sich ganz allein im Raum befand, aufrecht auf dem Teppich saß und mit ernstem Blick in die Flammen starrte. Er sah dem Gytrash, der mir unterwegs begegnet war, so ähnlich, dass ich mich ihm näherte und »Pilot« rief. Das Tier stand auf, kam zu mir und beschnüffelte mich. Ich streichelte es, und es wedelte mit seinem langen Schwanz, aber es war mir doch zu unheimlich, um mit ihm allein zu bleiben, zumal ich mir nicht erklären konnte, woher diese Kreatur gekommen war. Ich läutete, denn ich brauchte eine Kerze, und außerdem wollte ich etwas über den Besucher erfahren. Leah trat ein.
»Was ist das für ein Hund?«
»Er ist mit dem gnäd’gen Herrn gekommen.«
»Mit wem?«
»Mit dem gnäd’gen Herrn – Mr. Rochester; er ist eben eingetroffen.«
»Tatsächlich? Ist Mrs. Fairfax bei ihm?«
»Ja, und Miss Adela auch. Sie sind im Speisezimmer, und John ist einen Arzt holen gegangen, der Herr hatte nämlich einen Unfall. Sein Pferd ist gestürzt, und dabei hat er sich den Knöchel verstaucht.«
»Ist das Pferd auf dem Weg nach Hay gestürzt?«
»Ja, als er den Hügel herunterritt; es ist auf einer eisigen Stelle ausgerutscht.«
»Ach! Bringen Sie mir doch bitte eine Kerze, Leah.«
Als Leah sie brachte, folgte Mrs. Fairfax ihr auf dem Fuße und berichtete mir die Neuigkeit noch einmal, fügte jedoch hinzu, dass Mr. Carter, der Arzt, eingetroffen und nun bei Mr. Rochester sei. Dann eilte sie hinaus, um Anweisungen bezüglich des Tees zu geben, und ich begab mich nach oben, um meine Sachen abzulegen.
Kapitel 13
Mr. Rochester ging – vermutlich auf Anraten des Arztes – an jenem Abend früh zu Bett und stand auch am nächsten Morgen erst recht spät auf. Als er dann schließlich herunterkam, geschah es, um Geschäfte zu erledigen. Sein Verwalter und einige seiner Pächter waren erschienen und warteten darauf, ihn sprechen zu können.
Adèle und ich mussten nun die Bibliothek räumen, da sie als Empfangszimmer für die täglichen Besucher gebraucht wurde. Dafür hatte man in einem der oberen Zimmer ein Kaminfeuer angezündet; dorthin brachte ich unsere Bücher und richtete es als künftiges Schulzimmer ein. Im Lauf des Vormittags stellte ich fest, dass Thornfield Hall sich sehr verändert hatte. Es war nicht mehr feierlich still wie in einer Kirche. Alle ein bis zwei Stunden hallte ein Klopfen an der Tür oder das Läuten der Glocke durch das Haus. Auch hörte man oft Schritte unten in der Halle und den Klang fremder Stimmen in den verschiedensten Tonlagen. Wie ein Bächlein sickerte die Außenwelt in das Gemäuer ein. Es hatte nun einen Herrn, und mir gefiel es besser so.
An diesem Tag war es nicht leicht, Adèle zu unterrichten. Sie konnte sich nicht konzentrieren, lief ständig zur Tür hinaus, spähte über das Treppengeländer in der Hoffnung, einen Blick auf Mr. Rochester zu erhaschen. Schließlich erfand sie immer neue Vorwände, um hinunterzugehen; zweifellos hatte sie vor, in die Bibliothek zu schlüpfen, wo sie jedoch ganz gewiss unerwünscht war. Als ich nach einiger Zeit ein wenig ärgerlich wurde und ihr befahl, stillzusitzen, erzählte sie in einem fort von ihrem »ami Monsieur Edouard Fairfax de Rochester«, wie sie ihn betitelte (bis dahin hatte ich seine Vornamen noch nicht gehört), und erging sich in Mutmaßungen darüber, was für Geschenke er ihr wohl mitgebracht haben könnte. Offenbar hatte er am Abend zuvor angedeutet, dass sich in seinem Gepäck, das erst noch aus Millcote gebracht werden musste, auch eine kleine Schachtel befand, deren Inhalt sie interessieren dürfte.
Ich aß mit meiner Schülerin wie gewöhnlich in Mrs. Fairfax’ Wohnzimmer zu Mittag. Am Nachmittag stürmte und schneite es, und wir blieben im Schulzimmer. Bei Einbruch der Dämmerung erlaubte ich Adèle, Bücher und Näharbeit wegzupacken und hinunterzulaufen, denn da es unten verhältnismäßig ruhig geworden und das Läuten der Türglocke verstummt war, nahm ich an, dass Mr. Rochester nun Zeit hatte. Als ich allein war, trat ich ans Fenster, doch draußen war nichts zu sehen. Zwielicht und Schneeflocken trübten die Sicht und entzogen sogar die Sträucher auf dem Rasen vor dem Haus dem Blick. Ich ließ den Vorhang herunter und ging zum Kamin zurück.
In den hellglühenden Kohlen glaubte ich ein Gebilde zu erkennen, das mich an ein Gemälde des Schlosses von Heidelberg am Rhein erinnerte, als Mrs. Fairfax hereinkam und durch ihr Eintreten das glutrote Mosaik zerstörte, das ich zusammengesetzt hatte, aber gleichzeitig auch ein paar unwillkommene, bedrückende Gedanken verscheuchte, die sich in meine Einsamkeit zu drängen begannen.
»Mr. Rochester würde sich freuen, wenn Sie und Ihre Schülerin heute Abend den Tee mit ihm im Salon einnähmen«, sagte sie. »Er war den ganzen Tag über so beschäftigt, dass er Sie nicht früher zu sich bitten konnte.«
»Um welche Zeit trinkt er seinen Tee?«, erkundigte ich mich.
»Um sechs Uhr. Hier auf dem Land nimmt er die Mahlzeiten früh ein. Jetzt sollten Sie sich aber lieber umziehen. Ich werde Sie begleiten und Ihnen dabei helfen. Hier ist eine Kerze.«
»Ist das denn wirklich nötig?«
»Ja, es ist besser. Ich kleide mich am Abend auch immer um, wenn Mr. Rochester hier ist.«
Diese zusätzliche Zeremonie hielt ich zwar für etwas übertrieben, doch begab ich mich auf mein Zimmer und tauschte mit Mrs. Fairfax’ Hilfe mein schwarzes Wollkleid gegen ein Kleid aus schwarzer Seide. Es war das einzige bessere Kleid, das ich hatte – außer dem hellgrauen, das mir nach meinen in Lowood erworbenen Vorstellungen bezüglich Kleidung zu elegant erschien, um es bei anderen als außergewöhnlich feierlichen Anlässen zu tragen.
»Sie brauchen eine Brosche«, erklärte Mrs. Fairfax. Ich besaß ein einziges Schmuckstück, eine kleine Perlennadel, die mir Miss Temple beim Abschied als Andenken geschenkt hatte. Ich steckte sie an, und dann gingen wir nach unten. Da ich an den Umgang mit fremden Menschen nicht gewöhnt war, machte mich der Gedanke an eine so förmliche Begegnung mit Mr. Rochester recht befangen und unsicher. Ich ließ Mrs. Fairfax vor mir ins Speisezimmer treten und hielt mich in ihrem Schatten, als wir durch den Raum schritten und durch die Bogentür, deren Vorhang nun geschlossen war, den dahinterliegenden eleganten Raum erreichten.
Zwei Wachskerzen brannten auf dem Tisch und zwei auf dem Kaminsims. Pilot räkelte sich behaglich im Schein und in der Wärme des prächtigen Kaminfeuers, Adèle kniete neben ihm. Mr. Rochester saß, den verstauchten Fuß auf ein Kissen gebettet, weit zurückgelehnt auf einer Chaiselongue und beobachtete die beiden. Der Schein des Feuers fiel voll auf sein Gesicht. Ich erkannte meinen Reiter mit den buschigen, pechschwarzen Augenbrauen, der breiten Stirn, deren Form durch die Art, wie sein schwarzes Haar zur Seite gekämmt war, noch unterstrichen wurde. Ich erkannte die markante, mehr von Charakter als von Schönheit zeugende Nase, die vollen Nasenflügel, die meiner Meinung nach auf Jähzorn deuteten; den harten Mund, das energische Kinn, die ausgeprägten Backenknochen – ja, sie alle ließen ihn grimmig aussehen, daran gab es keinen Zweifel. Seine Gestalt, die ich jetzt ohne Mantel sah, stand in Einklang mit seinen unregelmäßigen Gesichtszügen. Wahrscheinlich war er sogar von recht gutem Wuchs, wenn man es unter athletischen Gesichtspunkten betrachtete – er hatte breite Schultern und schmale Hüften, doch war er weder sehr groß, noch wirkte er elegant.
Mr. Rochester musste bemerkt haben, dass Mrs. Fairfax und ich eingetreten waren, schien aber nicht geneigt zu sein, von uns Notiz zu nehmen, denn er hob nicht