Weltklasse. Oliver GritzЧитать онлайн книгу.
Entwicklung. Und obwohl ich zum Teil auch ihr Nutznießer war, habe ich mich doch im absolut überwiegenden Maße maßlos darüber geärgert und dagegen angekämpft. Ich habe mich von dieser Entwicklung zermürben und aufs Neue motivieren lassen, den Kampf fortzusetzen. Dieses Buch ist ein weiterer Anlauf, gegen diese Fehl-Entwicklung anzugehen. Die angesprochene Form des Managements steht für mich für vieles Schlechte auf der Welt, und deshalb möchte ich ihr am Liebsten vollkommen den Garaus machen. Warum empfinde ich so?
Mitte der 90er Jahre begann man damit, in dem Unternehmen, für das ich arbeitete und das ich liebte, ein Aktienoptionsprogramm für das Management aufzulegen. Aktienoptionen sind Rechte zum zukünftigen Erwerb von Unternehmensaktien zu einem festen Preis. Steigt der Preis der Aktie in der Zukunft, kann man sie zu zum festgesetzten Preis kaufen und zum höheren aktuellen Preis bzw. Kurs wieder verkaufen. Dadurch streicht man einen Gewinn ein. Sinkt der Wert der Aktie dagegen, verkauft man die Optionen eben nicht und hat weder einen Gewinn noch einen Verlust. Durch derartige Aktienoptionen will man Managern einen Anreiz verschaffen, sich stärker um die Steigerung des Aktienkurses und damit des Unternehmenswertes zu kümmern. Ich beklagte mich damals nicht über die Einführung dieses Programmes, denn es bedeutete eine willkommene und unerwartete Erhöhung meiner Bezüge. Unklar war mir allerdings, warum ich mich deswegen auf einmal mehr als zuvor für die Maximierung des Unternehmensgewinns einsetzen sollte. Ich ließ mich widerwillig belehren, dass eine profane Steigerung des Unternehmensgewinns nicht ausreiche. Stattdessen bedürfe das Management zur Unternehmenswertmaximierung ein umfassendes Kennzahlensystem, das die Unternehmensberatungsgesellschaft McKinsey unter dem schönen Produktnamen „Value Based Management“ verbreitete. Ich erinnere mich sehr gut an die Sitzung, in der unser damaliger Finanzvorstand, ein Amerikaner namens Bill, uns dieses tolle Konzept vorstellte und uns zur regen Mitarbeit an dessen Einführung bewegen wollte.
Im Mai 1997 saßen ich und meine Controller-Kollegen aus den anderen Geschäftsbereichen unseres Unternehmens mit Bill und seinen direkten Mitarbeitern im Board Room zusammen. Die Sonne wanderte durch den nichtssagenden Konferenzraum im 3. Stock und die Klimaanlage tat ihr Bestes, genau wie Bill. Nur leider bestand sein Bestes in der Regel daraus, Plattitüden und Gemeinplätze zu verbreiten. Wie üblich zog das die Sitzung unnötig in die Länge. Mir taten Hintern und Rücken weh und ich wurde durch Bills Gelaber zunehmend gereizt. Eigentlich fand ich die Idee des Value Based Management nicht schlecht. Ein intelligent aufgesetztes, umfassendes operationelles und finanzielles Kennzahlensystem kann in der Tat sehr viel zur Steigerung des Unternehmenswertes beitragen. Voraussetzung ist jedoch, dass man es tatsächlich intelligent aufsetzt. Dies erfordert zum einen ein wirklich tiefgründiges Verständnis des Geschäftsmodells und zum anderen eine saubere und gründliche Umsetzung. Beides war jedoch nicht angesagt, denn nach Meinung unserer Berater von McKinsey musste alles ganz schnell gehen. 80/20, quick and dirty lauteten die Leitsätze, denn nur so meinte man allen Ernstes, die Profitabilität des Unternehmens schnell steigern zu können. Eine vollkommen blödsinnige Annahme, wie die folgenden 20 Jahre deutlich zeigen sollten, in denen mein geliebtes Geschäft nach allen Regeln der Kunst herabgewirtschaftet wurde.
Bill redete sich bei der Erläuterung der Vorzüge dieses Systems und der von den Unternehmensberatern ausgetüftelten Kennzahlen um Kopf und Kragen. Keiner konnte ihm mehr folgen, und die Sitzungsteilnehmer begannen, einer nach dem anderen, wegzudösen. Für mich war die Schwelle zum Unerträglichen überschritten, als Bill uns schwunghaft zu belehren begann, dass die Schwächen einer schlampig ermittelten Zahlenbasis aufgewogen werden können, indem man sie in bunte Charts verpackt, diese dann Management-Dashboards nennt, mit dem Ziel, alle relevanten Unternehmensdaten auf einer Seite darzustellen.
Da platzte mir endgültig der Kragen. Das war nach meinem Empfinden der Gipfel an Dummheit, Oberflächlichkeit und grob fahrlässigem Management. Ich konnte nicht mehr an mich halten und warf ohne groß nachzudenken ein: „Bill, this is absolute bullshit. It is just like putting a glossy condom over a shriveled penis.”
Bill schmiss mich aus der Sitzung. Dieser Aufforderung entsprach ich gerne. Sie ersparte mir, diesem Blödsinn weiter zuzuhören. Ich war mir ziemlich sicher, dass dieser Rauswurf aus dem Meeting für mich keine großartigen Konsequenzen haben würde. Bill, unser neuer Finanzvorstand, würde erst mal beweisen müssen, dass er mehr konnte, als schlampig zusammengetragene Zahlen und oberflächliches Arbeiten zu propagieren. An meiner Leistungsfähigkeit bestand zu diesem Zeitpunkt hingegen kein Zweifel. Das Unternehmen nahm meine Dienste gerne in Anspruch, mit meinem direkten Vorgesetzten hatte ich ein herausragendes Arbeitsverhältnis und da unsere Ergebnisse sehr gut waren, war ich mir sicher, dass mir nichts passieren würde. Ich musste mich von niemandem wie ein dummer Ochse an der Nase herumführen lassen. Auch nicht von einem, der in der Hierarchie höher stand als ich.
Die Kritik an meinem Verhalten, sofern man davon überhaupt sprechen konnte, fiel erwartungsgemäß milde aus. Von einigen Kollegen erhielt ich für meinen Ausbruch sogar Applaus. Und nach einiger Zeit schien es, als ob selbst der neue Finanzvorstand Bill erkannte, dass der Kern meiner Aussage nicht vollkommen falsch gewesen war.
Ich hatte also mit dem Ausbruch meines Unmutes einen kleinen Sieg errungen. Ich genoss diesen Sieg ohne zu bemerken, dass der Kampf eigentlich auf einer anderen Ebene stattfand und dort bereits verloren war. Ich sah zu der Zeit nur den äußeren Konflikt: Ich gegen die Unternehmensberater und ihre Ideen. Die Berater von McKinsey hatten von unserem Unternehmen jedoch Besitz ergriffen und niemand in unserem Management und Verwaltungsrat schien in der Lage oder willens sich ihren Vorstellungen zu widersetzen. Genauso wenig wie ich. In meiner Position als Chefcontroller eines Geschäftsbereichs war ich zu unbedeutend, zu schwach und zu unerfahren, um etwas ausrichten zu können. Mein Umgang mit dieser nun einsetzenden massiven Fehlentwicklung war zunächst, sie teilweise zu akzeptieren und teilweise zu ignorieren. So erlebte ich ständig einen inneren Konflikt zwischen der Freude an meiner Aufgabe und dem Ärger über das, was mir von außen zusehends aufs Auge gedrückt wurde.
Die mit dieser Sitzung einsetzende Fehlentwicklung nahm mit den Jahren immer schlimmere Formen an. In Folge dessen entfernte ich mich immer weiter von mir selbst, immer weiter von meinen Wertvorstellungen und von dem, der ich eigentlich sein wollte. Ich wurde zum Mitläufer, weil mir das finanziell versüßt wurde. Ich ließ es zu, dass mich das System gefangen nahm.
Schließlich würde ich an ihm scheitern, weil ich den Konflikt zwischen dem, was ich sein wollte und dem, was ich war, nicht mehr aushielt. Zu diesem Zeitpunkt war ich 44 Jahre alt. Weil ich mich angepasst hatte, hatte ich es unterlassen, mich als Mensch in angemessener Form weiterzuentwickeln. Ich hatte es versäumt, das Beste aus mir herauszuholen.
1 Fredmund Malik, Die richtige Corporate Governance, Mit wirksamer Unternehmensaufsicht Komplexität meistern, Campus Verlag, Frankfurt, 2008, S. 9.
2 Spiegel Online http://www.spiegel.de/fotostrecke/usbonitaetdiewichtigstenfaktenzurusschuldenkrisefotostrecke-70917-4.html
3 Fredmund Malik, Die richtige Corporate Governance, Mit wirksamer Unternehmensaufsicht Komplexität meistern, 2008, Campus Verlag, Frankfurt, 2008, S. 9.
Kindheit und Jugend
Ich wurde am 3. Dezember 1965 in, wie man so sagt, die gut geregelten Verhältnisse einer ordentlichen Familie hineingeboren. Mein Vater war Jurist, Beamter bei der Deutschen Bundesbahn und über viele Jahre Geschäftsführer von Bahn-Tochtergesellschaften. Meine Mutter war ebenfalls Beamtin. Sie hatte ein halbes Deputat als Grundschullehrerin und umsorgte als Mutter und Hausfrau meinen Vater, meinen drei Jahre jüngeren Bruder und mich. Wie es von mir erwartet wurde, besuchte ich das Gymnasium und alles lief, wenn man so will, nach Plan. Doch schon bald taten sich Diskrepanzen auf zwischen dem, was ich tun sollte und tun wollte.
Weniger nett und höflich ausgedrückt: Ich hasste die Schule. Stundenlang sitzen, zuhören, mitschreiben und Sachverhalte in Denkmustern anderer Menschen nachvollziehen, das alles war mir ein absoluter Graus. Vom Sitzen auf unbequemen Stühlen schmerzte mir der Hintern und der Rücken. Über einen Zeitraum von 6-8 Schulstunden täglich hielt ich so eine Tortur nur aus, indem ich mein Gehirn abschaltete und in eine Traumwelt entfloh. Oder ich quasselte mit