Wild Claws (3). Im Visier der Haie. Max HeldЧитать онлайн книгу.
SuWo, wie Logan seinen Woofer nannte, hätte man das Tier vielleicht vertreiben und damit sein Leben retten können. Der Gedanke, ob die Box auch bei Haien funktionierte, war Logan allerdings noch nicht gekommen.
»Ich weiß nicht«, murmelte er. »Für den Einsatz im Wasser habe ich den SuWo eigentlich nicht konstruiert.«
»Trotzdem solltest du Thornton die Box zeigen«, ermunterte ihn Basil. »Wenn dir ein Haiexperte über den Weg läuft, musst du die Gelegenheit beim Schopfe packen. Und verlieren kannst du dabei ja nichts.«
Logan nickte. »Ich denk drüber nach.«
Miami war berühmt für seine Strände, an denen sich Schwimmer, Surfer und Schnorchler ein Stelldichein gaben. Besonders Miami Beach, eine dem Festland vorgelagerte Inselstadt, die über mehrere Brücken erreicht werden konnte, erfreute sich großer Beliebtheit. Das lag zum einen an den traumhaften Sandstränden, die aussahen, als wären sie einem Hollywoodfilm entsprungen. Zum anderen an der Vielfalt der Meeresbewohner: Papageienfische, Zackenbarsche, Langusten, Stachelrochen und Meeresschildkröten tummelten sich nur wenige Meter vom Strand entfernt im blaugrünen Wasser. Delfine und Seekühe reckten immer wieder ihre Köpfe empor und mit Glück begegnete man sogar einem Ammenhai.
Obwohl Jack und Logan im Everglades Nationalpark aufgewachsen und an einen üppigen Artenreichtum gewöhnt waren, stellte ein Schnorchelausflug nach Miami Beach dennoch immer wieder ein Highlight dar: nicht nur wegen der Fische, die man im Sumpfgebiet nicht zu sehen bekam, sondern auch wegen des Urlaubsfeelings, das im Nationalpark nur selten aufkam, weil es eigentlich immer etwas zu tun gab. Jack und Logan machte die Arbeit zwar meistens Spaß, dennoch genossen sie auch die Momente, in denen sie einfach nur chillen konnten, zum Beispiel am Strand von Miami Beach.
»Wir treffen uns um sechs wieder hier«, verabschiedete sich Basil, als er die drei absetzte, und fuhr davon.
»Wow, das ist ja das reinste Urlaubsparadies hier«, staunte Charlotte mit Blick auf die riesigen Hotelanlagen, die sich bis zum Horizont erstreckten.
Die drei Freunde durchquerten einen schmalen Grüngürtel aus Palmen. Gleich dahinter lag der breite Sandstrand mit zahllosen Sonnenschirmen und Liegen, die auf Gäste warteten. Obwohl es noch relativ früh war, heizte die Sonne die Luft bereits mächtig auf. Dreißig Grad Celsius hatte der Wetterdienst vorausgesagt. Für November war das ziemlich warm, aber da Klimaschwankungen in Florida sowieso an der Tagesordnung waren, hatten sich die Bewohner damit arrangiert.
Logan zog Shorts und T-Shirt aus, schnappte sich die Schnorchelmaske und rannte los. »Ab ins Wasser!«, rief er. Sekunden später stürzte er sich in die Fluten.
Charlotte zögerte.
»Was ist los?«, fragte Jack, während er sich ebenfalls umzog.
Seine neue Schwester ließ den Blick über Miami Beach schweifen. Noch war wenig los, nur hier und da sah man Menschen, die ihre Handtücher platzierten oder sich eincremten. Im Wasser war noch niemand.
»Wie ist das mit Haien?«, fragte Charlotte mit sorgenvoller Miene. »Gibt es hier welche?«
Jack nickte. »Klar. Dornhai, Walhai, Riesenhai, Sandtigerhai, Fuchshai, Weißer Hai …«
»Ist das der mit den großen Zähnen?«, fragte Charlotte erschrocken.
Jack winkte ab. »Keine Angst, Menschen stehen für gewöhnlich nicht auf seinem Speiseplan.«
Charlotte schluckte. »Für gewöhnlich.«
»Glaub mir: Haie haben kein Interesse an Menschen«, erklärte Jack. »Wir sind denen viel zu laut und zu hektisch. Außerdem bieten wir zu wenig Fleisch, das lohnt sich für Haie nicht. Und wenn sie doch mal einen Menschen beißen, ist das fast immer ein Missverständnis.«
»Aber es kommt vor«, sagte Charlotte.
Jack nickte. »Genauso wie Menschen von Autos angefahren werden. Wenn man sich denselben Platz teilt, kommt es zwangsläufig zu Begegnungen. Aber würdest du, nur weil es Verkehrsunfälle gibt, nicht mehr auf die Straße gehen?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Charlotte, machte aber trotzdem keine Anstalten, sich umzuziehen.
»Das verstehe ich nicht«, wunderte sich Jack. »Du bist doch sonst so furchtlos und streifst sogar alleine durch den Sumpf. Du watest durch Tümpel, in denen Krokodile und Alligatoren lauern könnten, und stürmst auf Verbrecher los, die ihre Waffe auf dich richten. Und jetzt hast du Angst, du könntest einem Hai begegnen?«
Charlotte zuckte mit den Schultern. »Ich kann nichts dafür …«
»Oooohhh nein …«, rief eine Stimme vom Meer. Jack und Charlotte sahen zu Logan, der knapp fünfzig Meter weit entfernt im Wasser schwamm und hektisch um sich blickte. »Etwas hat mein Bein gestreift! Da ist ein Schatten im Wasser, er umkreist mich …«
Charlotte stockte der Atem. »Logan wird angegriffen!«
Aber Jack schenkte seinem Freund keine Beachtung, sondern zog stattdessen in aller Ruhe seine Shorts aus, unter der er bereits seine Badehose trug.
»Ein Hai!«, rief Logan und schlug um sich. Wasser spritzte auf. »Er sieht total ausgemergelt aus, hat bestimmt seit Wochen nichts mehr gefressen. Und jetzt nimmt er alles, was er kriegen kann!«
Charlotte wurde leichenblass. Im selben Augenblick wurde Logan von einer unsichtbaren Macht gepackt und unter die Wasseroberfläche gezogen.
»Logan wird von einem Hai gefressen!«, brüllte Charlotte.
»Wird er nicht«, erwiderte Jack entspannt und nahm einen Schluck aus seiner Trinkflasche.
»Natürlich wird er das!«, rief Charlotte und zeigte zu der Stelle, an der Logan in die Tiefe gezerrt wurde. Plötzlich schoss er wie ein vergnügter Delfin aus dem Wasser empor.
»Juhuuu …«, brüllte er ausgelassen. »Kommt rein, das Wasser ist herrlich!«
»Keine Ahnung, wie oft ich schon mit Logan hier am Strand war«, seufzte Jack und drehte die Flasche in den Sand. »Und er macht jedes Mal denselben Witz. Jedes Mal!« Er schenkte Charlotte ein warmes Lächeln. »Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Wir passen auf dich auf.« Als Charlotte ins Wasser eintauchte, empfand sie die Kühle als angenehm frisch und vergaß für einen Moment ihre Angst. Zudem war die Unterwasserwelt, die sie durch ihre Schnorchelmaske sah, schlicht überwältigend. Es wimmelte von großen und kleinen Fischen, die im flirrenden Licht der Sonnenstrahlen über den hellen Sand flitzten. Eine Languste schritt majestätisch auf ihren Stelzenbeinen vorüber und wirkte mit ihren langen Fühlern wie ein Wesen von einem anderen Stern. Ein Stachelrochen kreuzte nur zwei Meter entfernt ihren Weg und erinnerte mit den fließenden Bewegungen seiner Flossen an einen trägen Vogel. Als Charlotte den Blick wieder hob, überholte sie ein Barrakuda. Ihre Gegenwart schien ihn nicht zu kümmern und seine Gelassenheit wirkte auf Charlotte beruhigend. Fasziniert sank sie in die Farben- und Formenpracht, folgte einem Kaiserfisch mit ihrem Blick und sah in einiger Entfernung einen Schatten vorüberziehen. War das ein Tümmler? Oder eine Seekuh?
Charlotte ging die Luft aus. Mit kräftigen Zügen schwamm sie nach oben, durchbrach die Wasseroberfläche und nahm die Schnorchelmaske ab.
»Alles okay?«, fragte Jack, der neben ihr schwamm.
Charlotte nickte. »Da war ein Schatten.«
»Habe ich auch gesehen.«
»Tümmler oder Seekuh?«
»Hai.«
Von einer Sekunde zur nächsten fiel die frisch gewonnene Sicherheit in sich zusammen.
»Ein Hai?«, fragte Charlotte und blickte sich nervös um.
»Vermutlich nur ein Ammenhai«,