Minarett. Leila AboulelaЧитать онлайн книгу.
ist eben Kommunist, darum sind ihm die Gebete egal«, sagte meine Banknachbarin, das hübsche Mädchen mit den Wangengrübchen, lächelnd. Sie eilte an mir vorbei und rief nach ihren Freundinnen, ihre hochhackigen Schlupfschuhe schlugen gegen ihre Fersen. Sie trug heute einen blauen Tob und sah darin noch einnehmender aus. Alle Mädchen trugen weisse Tobs am Morgen und farbige am Abend. Ich sah sie gerne sich verwandeln vom einfachen morgendlichen Weiss zu blauen und rosa Blumen und lebhaften Mustern in kühnen Farben.
Ich verliess als Letzte den Saal. Draussen sah ich Anwar angeregt mit dem Professor plaudern wie mit einem alten Freund. Ich ging an ihnen vorbei zum Garten und setzte mich auf die Eingangsstufen, um den Betenden zuzuschauen. Nicht alle beteten. Mädchen wie ich ohne Tob oder Hidschab beteten nicht, und wer von den jungen Männern Mitglied der Front war, wusste man gleich, weil sie auch nicht beteten. Die anderen versammelten sich auf der Palmfasermatte, aber es war zu wenig Platz darauf für alle. Wer zu spät kam, musste sich mit dem Gras begnügen. Unser Mathematikdozent, ein Muslimbruder, breitete sein weisses Taschentuch auf dem Rasen aus. Er stand neben dem Gärtner, und ihre Schultern berührten sich. Der Student, der als Vorbeter amtete, rezitierte den Koran mühelos und in lebhaftem Ton. Ich bestaunte die Tobs der Mädchen, das bunte Meer, das von vereinzelten Windstössen aufgewühlt wurde. Und als sie sich niederbeugten, raschelte der Polyester im Gras.
»Warum ignorierst du mich?« Das war Anwars Stimme neben mir. Ich fühlte mich gestört – wobei, wusste ich nicht. Ich stand auf und ging wieder Richtung Hörsaal zurück. Jetzt sah ich die betenden Studenten nicht mehr, und auf einmal war ich von Neid erfüllt. Es war eine urplötzliche, irrationale Aufwallung. Was gab es da zu beneiden?
Anwar folgte mir. Wir standen allein vor dem Hörsaal. Er packte mich am Oberarm. »Spiel nicht mit mir.«
»Wenn hier jemand wütend ist, dann bin ich es.« Ich wollte ihm meinen Arm entziehen, aber er hielt ihn immer noch fest.
»Ist es wegen dem, was ich neulich in dieser Rede gesagt habe?«
»Ja, es ist wegen dem, was du neulich in der Rede gesagt hast.«
Er liess meinen Arm los. »Das hat doch mit dir nichts zu tun …«
»Es ist mein Name. Es ist mein Vater.«
»Du nimmst es persönlich. Sieh doch das grosse Ganze an.«
»Ich will nicht das grosse Ganze sehen.«
»Weisst du, wie die Leute über ihn reden?«
»Ich will es gar nicht wissen.«
»Sie nennen ihn Mister Zehn Prozent. Und weisst du, warum?«
»Hör auf.«
»Du kannst nicht einfach den Kopf in den Sand stecken. Du musst erfahren, was er treibt. Er missbraucht seine Stellung in der Regierung. Er kassiert eine Provision für jedes Geschäft, das die Regierung mit einer ausländischen Firma abschliesst.«
Anwar benutzte ein Wort, »Provision«, das in meinen Ohren förmlich und harmlos klang. »Und wennschon!«, höhnte ich.
Er senkte die Stimme, aber sein Ton war schärfer. »Er veruntreut Geld. Euer Lebenswandel – dein neues Auto, euer neues Haus. Deine Familie wird von Tag zu Tag reicher … Siehst du nicht, wie korrupt das ist?«
Mein Zorn war wie ein Vorhang zwischen uns. »Wie kannst du es wagen, solche Lügen über meinen Vater zu verbreiten! Mein Vater, das bin ich. Meine Familie, das bin ich.«
»Versuch doch zu begreifen. Meine Gefühle für dich und meine politische Einstellung sind zwei verschiedene Dinge. Es ist schon schlimm genug, dass man mich auslacht, weil ich mit dir gehe.«
»Dann lass mich doch in Ruhe. Lass mich einfach in Ruhe, und niemand lacht dich aus.«
Er schnaubte verärgert, drehte sich um und ging. Ich betrat den Hörsaal, doch er war nicht leer. Ein Mädchen im Hidschab sass darin und feilte an ihren Nägeln. Vermutlich hatte sie das ganze Gespräch zwischen mir und Anwar gehört. Was tat sie hier, statt draussen mit den andern zu beten? Sie hatte vermutlich ihre Tage. Ich setzte mich und begann, um mir meine Gelassenheit zu beweisen, eine Einladungsliste für Randas Abschiedsparty zusammenzustellen.
Sechs
Pizza, Pepsi, Pommes und Ketchup. Cupcakes und taamîja.11 Samosas und Schokoladeneclairs aus der Bäckerei. Sandwiches mit Thunfisch, Ei, Wurst, Frischkäse mit Tomaten, Frischkäse mit Oliven. Vanilleeis in kleinen Pappbechern. Ich liess sie im Dunkeln zirkulieren und schliesslich Plastiklöffelchen in die Blumentöpfe fallen. Grauschwarz auf der Veranda, mauvefarbene Schatten über den Autos. Wir waren alle wunderschön im Mondlicht.
»Tut mir leid, Leute, der Generator will nicht anspringen …«
»Ich habe das verflixte Ding einfach nicht anbekommen.«
»Was schalten sie die Elektrizität mitten im Winter ab? Wie ticken diese Leute?«
»Pass auf, ihr Vater ist die Regierung.«
»Habt ihr keine Batterien für den Kassettenrecorder?«
»Batterien. Omar, hol Batterien. Geh schon.«
»Ich geh ein paar kaufen.«
»Nein, nein.«
»Sie ist zum Heiraten nach Nairobi gegangen.«
»Fünf Minuten mit dem Auto …«
»Du hast perfekt weisse Zähne, hat dir das schon mal jemand gesagt? Ich kann sie im Dunkeln sehen!«
»Du bringst den Typ in Verlegenheit.«
»Das soll meine Abschiedsparty sein. Das?«
»Randa!«
»Ich bin ja froh, dass ich gehe … wenn ihr nichts Besseres zu bieten habt.«
»Jetzt hört euch mal die an!«
»Übermorgen ist Schluss mit den Stromausfällen. Dann beginnt das zivilisierte Leben.«
»Nimm dir ein Sandwich! Das da sieht wie Ei aus … ich weiss nicht. Riech daran … Also das hier ist sicher Wurst …«
»Kommt ja vielleicht wieder …«
»Was ist denn überhaupt mit eurem Generator los? Warum kriegt ihr den nicht zum Laufen?«
»Komm, wir gehen …«
»Keiner geht irgendwohin. Untersteht euch! Samîr … du verdirbst die Party.«
»Wenn wir bloss Musik hätten …«
»Was macht er denn da? Nein, du kannst nicht gehen. Bitte geh nicht.«
»Du kannst uns nicht im Stich lassen, Samîr.«
Das Scheinwerferlicht fiel auf Samîr, auf seinen Afrolook und seinen frischen Schnurrbart. Er sass auf dem Beifahrersitz, ein Bein noch draussen, bei geöffneter Tür. Er hatte den Blick auf das Autoradio gesenkt und drehte an den Knöpfen, bis der Kassettenspieler auf einmal mit Boogie Nights von Heatwave loslegte.
Er begann auf uns zuzutanzen. Randa lachte laut.
»Samîr, du bist ein Genie!« Ich versuchte die Musik zu übertönen.
»Lass den Motor an, Mann. Lass den Motor an … sonst ist deine Batterie bald futsch.«
Ich fühlte mich nicht gut, nachdem sie gegangen waren. Ich sass auf der Veranda, während die Dienstboten aufräumten. Es war immer noch Nacht, weil die Lichter noch nicht wieder angegangen waren, aber meine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und ich konnte die Nachbarhäuser und die Gartenschaukel sehen. Die Party war ein Flop gewesen. Und inzwischen waren Omar und die meisten Gäste weitergezogen. Randa war nach Hause gegangen, um zu packen. Sie hatte mir gedankt und die Party gelobt, aber das war nicht ihr Ernst gewesen. Ich sah, dass es nicht ihr Ernst war. Der Stromausfall hatte alles verdorben. Im einen Moment tanzten wir drinnen zu lauter Musik, und die Stimmung