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Der böse Trieb. Alfred BodenheimerЧитать онлайн книгу.

Der böse Trieb - Alfred Bodenheimer


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für Ihre gefühlvolle Rede. Sie haben Herrn Ehrenreich wohl ganz gut gekannt.«

      »Wir haben uns eigentlich nur dieses eine Mal im Jahr getroffen. Aber dann zu sehr offenen und persönlichen Gesprächen.«

      »Eben. Sie wussten vielleicht Dinge, die andere nicht wussten.«

      »Das kann ich nicht beurteilen«, wich Klein aus.

      »Es ist einfach so: Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen. Aber natürlich nicht hier, sondern bei uns auf der Dienststelle. Am besten wäre es natürlich gewesen, wenn Sie jetzt gerade noch ein Stündchen Zeit gehabt hätten. Aber wie ich verstanden habe, werden Sie erwartet.«

      Klein schaute auf die Uhr, aber es spielte eigentlich keine Rolle. Wie immer hatte er darauf geachtet, nach der Beerdigung keine Termine mehr zu haben.

      »Ich habe schon noch etwas Zeit. Ich muss nur dem anderen Herrn sagen, dass ich nicht mit ihm fahre.«

      »Wenn das möglich wäre …«, meinte Unmüßig.

      Klein trat noch rasch zu Sonja hin, die sich wieder etwas beruhigt und nun die Sonnenbrille abgenommen hatte.

      »Danke, Herr Rabbiner, tausend Dank für Ihre Worte!«

      Sie wies auf die Frau neben sich.

      »Meine Freundin Anouk«, sagte sie. »Sie ist der beste Mensch der Welt. Und ihr lieber Mann, Werner. Sicher hat Ihnen Viktor auch von ihnen erzählt.«

      Klein lächelte kurz zu Sonjas Freundin hinüber, nickte schwach. Die Namen Anouk und Werner sagten ihm nichts.

      Anschel Fink erwartete ihn bereits in seinem Jaguar vor dem Friedhofstor.

      »Schade, hätte mich gefreut, Sie mitzunehmen. Hoffentlich bald bei einer erfreulicheren Gelegenheit.«

      In dem eleganten Auto, das da wegglitt, hätte Klein nicht ungern gesessen. Aber die Vorstellung, in den nächsten Tagen für eine Befragung extra noch einmal herzufahren, war auch nicht reizvoll.

      Das Polizeigebäude von Lörrach war ein alter, düsterer Bau an der Hauptachse der Stadt, gleich neben dem Bahnhof. In einem geräumigen, aber ziemlich muffigen Büro im zweiten Stock erwartete sie, fast verschwindend in einem riesenhaften elektrischen Rollstuhl, Unmüßigs Assistentin.

      »Anke Frowein«, empfing sie Klein. »Verstehen Sie meine Worte als Händedruck. Den krieg ich nämlich grad nicht hin.«

      »Alles klar«, sagte Klein etwas verkrampft und stellte sich ebenfalls vor.

      »Wir machen gleich noch die Vernehmung von Herrn Klein«, sagte Unmüßig in Richtung seiner Assistentin. »Rabbiner Klein hat die Totenrede auf Herrn Ehrenreich gehalten. Ich denke, er kannte ihn ganz gut.«

      »Schön«, sagte Frau Frowein. Auf der einen Armlehne hatte sie ein Tablet liegen, auf dem ihr Zeigefinger behände hin und her strich. »Ich mache alles für das Interview bereit.«

      »Was zu trinken?«, fragte Unmüßig leutselig.

      »Gern ein Glas Wasser.«

      Der Kommissar schenkte ihm ein und schaltete einen Wasserkocher an.

      »Es darf gern auch ein Kaffee oder Tee sein. Oder etwas vegane Bouillon. Kann ich sehr empfehlen.«

      Klein sah, wie Anke Frowein die Augen verdrehte.

      »Alles gut«, sagte Klein.

      Unmüßig wartete, bis das Wasser heiß war, goss sich Pulver aus einer kleinen Dose in einer Kaffeetasse auf, und ein aufdringlicher Geruch nach Glutamat begann den Raum zu erfüllen. Frau Frowein griff ihrerseits in eine Vorrichtung an einer ihrer Armlehnen und holte eine Trinkflasche mit Strohhalm heraus, aus der sie einen Schluck nahm.

      »Alles bereit, Chef«, sagte sie. Sie sprach Datum und Uhrzeit in ihr Tablet und danach: »Befragung Rabbiner Gabriel Klein, Bekannter des Opfers Viktor Ehrenreich.«

      Unmüßig setzte sich hinter seinen abgewetzten Schreibtisch und schlürfte lautstark seine dampfende Suppe.

      »Was wissen Sie über Sonja Ehrenreich?«

      »Über Sonja? Wenig. Ich dachte, wir reden über Viktor.«

      »Herr Rabbiner Klein, was wissen Sie von Viktor über Sonja Ehrenreich?«

      Klein zögerte.

      »Wenig, wie gesagt.«

      Unmüßig schlürfte wieder.

      »Dann erzählen sie das Wenige.«

      »Sie kannten sich von einem jüdischen Anlass. Damals verliebte er sich Hals über Kopf in sie, zog wegen ihr von Berlin nach Süddeutschland und studierte dort fertig. Sie ist Lehrerin. Mathe und Musik, soweit ich weiß, hier am Gymnasium. Das wäre es, glaube ich.«

      »In der Tat wenig«, sagte Unmüßig.

      »Sage ich ja«, meinte Klein mit Ungeduld in der Stimme.

      »Wissen Sie etwas über Frau Ehrenreichs Gesundheitszustand?«

      »Sie meinen … ihre Depressionen.«

      »Na also. Ganz so wenig wissen Sie doch nicht über sie. Wobei ich persönlich den Begriff der Borderline-Persönlichkeit bevorzugen würde.«

      Klein war befremdet von der Sicherheit, mit der der Kommissar eine Diagnose abgab. Er zog es aber vor, sich dazu nicht zu äußern.

      »Sie war immer wieder krankgeschrieben, das weiß ich. Aber natürlich kenne ich keine genauen Befunde.«

      »War es, Ihrem Eindruck nach, eine glückliche Ehe?«

      »Wie soll ich das beurteilen?«

      »So, wie Sie wahrscheinlich alles in Ihrem Leben beurteilen. Man hört dies und jenes, beobachtet dies und das, und dann hat man einen Eindruck.«

      »Sehen Sie, Herr Unmüßig, es gab sicher Krisen in dieser Ehe. Ich glaube, eines der größten Probleme war, dass das Paar keine Kinder bekam. Darunter hat Sonja wohl sehr gelitten, und sie fand, dass ihr Mann nicht genug unternommen hat, um diesen Zustand zu ändern. Insofern gab es Probleme. Aber das ist ja nicht das Gesamtbild.«

      »Aber Sie wissen ja doch eine ganze Menge, Herr Klein. Da kommen wir vielleicht doch ein bisschen weiter.«

      »Ich verstehe immer noch nicht, was Frau Ehrenreichs Zustand mit dem Mord …«

      Unmüßig hob die Hand.

      »Ich bitte Sie, Herr Klein. Das Verstehenmüssen ist in diesem Fall ganz unsere Sache. Von Ihnen hätten wir einfach gerne Auskünfte, die uns das Verstehen erleichtern.«

      Kleins Oberkörper spannte sich. Unmüßig hätte sich in puncto Umgangsformen etwas von Frau Bänziger abschneiden können. Aber dieses deutsche Kaff war eben nicht Zürich, dachte Klein bissig.

      »Wenn wir hier schon von Sonja Ehrenreich sprechen«, meinte er, »dann fällt mir ein, dass sie selbst einen Verdacht hat, wer der Täter sein könnte. Ein Herr Moser nämlich. Der ihren Mann schon früher bedroht hat. Sie hat Ihnen das doch sicher auch gesagt.«

      Wieder nahm Unmüßig schlürfend einen Schluck aus der Tasse.

      »Frau Frowein, übernehmen Sie doch für einen Moment. Sonst meint man, Sie seien hier reine Dekoration.«

      Anke Frowein blickte schon die ganze Zeit halb unbeteiligt, halb skeptisch vom einen zum anderen. Auf Unmüßigs Aufforderung hin übernahm sie nahtlos.

      »Was Niklas Moser früher genau getan hat, ob er gedroht hat, ob er die Autofenster von Viktor Ehrenreich zerdeppert hat, wie Frau Ehrenreich behauptet, das wissen wir nicht so genau. Aber für den Mord kommt er nicht infrage.«

      »Soso«, sagte Klein leise, aber mit einem provokativen Unterton, den er sich gegenüber Frau Bänziger nie herausgenommen hätte. Alles an diesem Büro hier war ihm zuwider, es roch schlecht, war geschmacklos eingerichtet, und die Polizisten führten sich auf, als sei er eingeladen, um ihnen etwas vorzutanzen.


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