20.000 Meilen unterm Meer. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
geöffneter Mund füllte sich mit Wasser; ich erstarrte vor Kälte. Zum letzten Mal hob ich den Kopf empor, dann versank ich . . .
Im selben Augenblick stieß ein Körper gegen mich; ich klammerte mich an. Ich fühlte, daß man mich an die Oberfläche zog, daß meine Brust wieder aufatmete, dann wurde es Nacht um mich . . .
Gewiß bin ich durch das kräftige Reiben, womit man mich bearbeitete, bald wieder zu mir gekommen. Ich schlug ein wenig die Augen auf . . .
„Conseil!“ stammelte ich.
„Mein Herr hat mich gerufen?“ Conseil war schon zur Stelle.
Da erkannte ich im Dämmer eine Gestalt.
„Ned!“ rief ich.
„In eigener Person, mein Herr, um mir meine Prämie zu holen!“ erwiderte der Kanadier.
„Auch von dem Stoß ins Meer geschleudert . . .?“ Ich rang nach Worten.
„Ja, Herr Professor, aber ich war besser daran als Sie, da ich sogleich auf einem schwimmenden Inselchen festen Fuß fassen konnte.“
„Inselchen?“
„Ja, oder besser, auf unserem Riesen-Narwal.“
„Erklären . . . bitte . . . Ned.“
„Klar, warum meine Harpune nicht eindringen konnte und stumpf geworden ist.“
„Warum . . .?“ Ich hörte mich müde mit leiser Stimme fragen.
„Weil dieses Tier, Herr Professor, von Eisenblech gemacht ist!“
Ich mußte mich ein wenig sammeln und meine Erinnerungen beschwören. Ich wurde plötzlich munter.
Die letzten Worte des Kanadiers bewirkten in meinem Denken eine plötzliche Wandlung. Ich klomm rasch nach oben auf das Geschöpf oder den Gegenstand, der, halb unterm Wasser, uns als Zuflucht diente. Ich probierte mit dem Fuß. Offenbar war es ein harter, undurchdringlicher Körper, nicht der weiche Leib eines großen Seesäugetieres. Aber der harte Körper konnte auch eine knochenartige Schilddecke sein, wie bei den urweltlichen Tieren, und ich hätte jetzt das Ungeheuer unter die Reptilamphibien zu zählen, wie die Schildkröten und Alligatoren. Alles das schoß mir durch den Kopf.
Nein! Der schwärzliche Rücken, auf dem ich mich befand, war glatt poliert, nicht schuppig. Er ließ, wenn man ihn anklopfte, einen Metallton hören, und so unglaublich es auch war, er schien aus eingebolzten Platten gemacht.
Ein Zweifel war nicht mehr möglich. Das Tier, das Ungeheuer, das Naturphänomen, das die ganze gelehrte Welt, die Einbildungskraft der Seeleute verrückt und irre geleitet hatte, war — — mochte man es auch wider Willen anerkennen — ein noch erstaunlicheres Wunder, ein Phänomen von Menschenhand.
„Aber dann mußte dieses Fahrzeug doch eine Maschine und eine Mannschaft haben.“ Ich war noch völlig verwirrt.
„Offenbar“, gab der Harpunier zu, „dennoch hat diese schwimmende Insel seit den drei Stunden, die ich sie bewohne, noch kein Lebenszeichen von sich gegeben.“
„Das Fahrzeug ist nicht gefahren?“
„Nein, Herr Arronax. Es läßt sich von den Wellen schaukeln, ohne sich selbst zu bewegen.“
„Aber wir wissen doch, daß es eine große Geschwindigkeit hat. Da es dazu nun eine Maschine haben muß und einen Maschinisten, der sie bedient, so schließe ich daraus . . ., daß wir gerettet sind.“
„Hm!“ Ned-Land schien nicht ganz überzeugt.
Im selben Augenblick, wie zum Beweis meiner Folgerung, entstand am hinteren Teil dieses seltsamen Fahrapparates ein Brausen, offenbar von einer Schraube, und los ging es. Wir hatten nur noch Zeit, uns an seinem oberen Teil, der etwa achtzig Zentimeter über das Wasser emporragte, fest anzuklammern. Zum Glück war seine Geschwindigkeit nicht übermäßig.
„So lange als es sich horizontal bewegt“, brummte Ned-Land, „habe ich nichts dagegen zu sagen. Aber wenn es ihm einfällt, unterzutauchen, gebe ich keine zwei Dollars für mein Leben!“
Es wurde also höchste Zeit, sich mit den Lebewesen im Innern dieser Maschine in Verbindung zu setzen. Ich suchte nach einer Öffnung, einer Luke; aber die aneinanderstoßenden Platten waren festgefügt und wie aus einem Stück.
Zu alledem ging der Mond eben unter und ließ uns in tiefem Dunkel. Wir mußten den Tag abwarten, um Mittel, ins Innere des Fahrzeuges zu dringen, ausfindig zu machen.
Also hing unsere Rettung einzig vom Belieben der geheimnisvollen Leiter dieses Fahrzeuges ab, und wir waren, wenn sie untertauchten, verloren! Sonst aber zweifelte ich nicht an der Möglichkeit, mit ihnen in Verbindung zu treten. Wenn sie sich ihre Luft nicht selbst bereiteten, so mußten sie von Zeit zu Zeit an die Oberfläche des Meeres heraufkommen, um ihren Vorrat an Luft zu erneuern. Darum mußte es eine Öffnung geben, die das Innere des Fahrzeuges mit der Atmosphäre verband.
Die Hoffnung auf Rettung durch den Kommandanten Farragut mußte man völlig aufgeben. Wir waren mit geringer Geschwindigkeit westwärts getrieben. Die Schraube schlug die Wellen mit mathematischer Regelmäßigkeit und tauchte von Zeit zu Zeit auf, um ihr phosphoreszierendes Wasser hoch emporzuspritzen.
Gegen vier Uhr morgens nahm die Schnelligkeit des Fahrzeuges zu. Wir konnten uns bei dem vollen Wellenschlag kaum gegen ein Weggespültwerden schützen. Zum Glück fand Ned einen auf dem Rücken der Platte eingelassenen Ring, an den wir uns festklammern konnten.
Aber auch die böse, lange Nacht ging vorüber. Ich kann mich nicht aller einzelnen Eindrücke entsinnen. Nur einEreignis tritt mir klar hervor. Wenn mitunter Meer und Wind ruhig waren, glaubte ich unbestimmte Töne, eine flüchtige Harmonie ferner Akkorde zu hören. Was für Geschöpfe lebten in diesem seltsamen Fahrzeug? Welche mechanische Kraft bewirkte seine wunderbare Schnelligkeit?
Der Tag erschien, und der Morgennebel umhüllte uns! Er zerteilte sich bald. Ich wollte gerade unsere Plattform untersuchen, als ich fühlte, wie diese sich allmählich senkte.
„He! Tausend Teufel!“ schrie Ned-Land und trat mit dem Fuß gegen die hallende Platte, „so öffnet doch, ungastliche Leute!“
Aber wie sollte man sich bei den betäubenden Schlägen der Schraube vernehmbar machen? Zum Glück hielt die Bewegung inne. Man vernahm im Ihneren des Fahrzeuges ein Rasseln heftig gerüttelten Eisenwerkes.
Eine Platte öffnete sich; ein Mann kam zum Vorschein, stieß einen sonderbaren Schrei aus und verschwand sofort wieder.
Einige Augenblicke darauf erschienen schweigend acht starke Burschen mit maskiertem Gesicht und zogen uns in ihre fürchterliche Maschine hinein.
Drittes Kapitel
Mobilis in Mobile
Diese brutale Entführung wurde mit Blitzesschnelle ausgeführt. Ich weiß nicht, welchen Eindruck die Entführung in den schwimmenden Kerker auf meine Genossen machte; ich jedenfalls fühlte einen eiskalten Schauer meinen Körper überrieseln. Mit wem hatten wir es zu tun? Offenbar mit einer neuen Art von Piraten, die auf ihre Weise Beute machten.
Sowie sich die enge Platte über mir wieder geschlossen hatte, war ich von tiefstem Dunkel umgeben. Meine an das Licht gewöhnten Augen konnten gar nichts wahrnehmen. Ich fühlte mit meinen nackten Füßen die Sprossen einer eisernen Leiter, woran ich mich klammerte. Ned-Land und Conseil wurden hinter mir hergeschleppt. Unten an der Leiter öffnete sich eine Tür und schloß sich rasselnd sogleich wieder.
Wir befanden uns allein. Tiefstes Dunkel umgab uns.
Ned-Land, wütend über diese Behandlung, machte nun seiner Entrüstung Luft.
„Tausend Teufel! Das sind gastliche Leute! Es fehlt nur noch, daß sie uns auffressen. Das würde mich nicht wundern, aber ich erkläre, sie würden mich nicht fressen, ohne daß ich protestiere!“
„Beruhigen Sie sich, Freund Ned“, meinte Conseil gelassen. „Wir sind noch nicht am Bratspieß!“