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Der Untertan. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Der Untertan - Heinrich Mann


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Gekleidete zu einander: „Na, Gott sei Dank, er weiss, was er will!“

      „Was will er denn?“

      „Der Bande zeigen, wer die Macht hat! Im guten hat er es mit ihnen versucht. Er ist sogar zu weit gegangen in den Erlassen vor zwei Jahren. Sie sind frech geworden.“

      „Angst kennt er nicht, das muss man sagen. Kinder, dies ist ein historischer Moment!“

      Diederich hörte es und erschauderte: Der alte Herr, der gesprochen hatte, wandte sich auch an ihn. Er hatte weisse Bartkoteletts und das Eiserne Kreuz.

      „Junger Mann,“ sagte er, „was unser herrlicher junger Kaiser da macht, das werden die Kinder mal aus den Schulbüchern lernen. Passen Sie auf!“

      Viele hatten gehobene Brüste und feierliche Mienen. Die Herren, die dem Kaiser folgten, blickten mit äusserster Entschlossenheit dareint, ihre Pferde aber lenkten sie durch das Volk, als seien alle die Leute zum Statieren bei einer Allerhöchsten Aufführung befohlen; und manchmal schielten sie seitwärts, nach dem Eindruck im Publikum. Er selbst, der Kaiser, sah nur sich und seine Leistung. Tiefer Ernst versteinte seine Züge, sein Auge blitzte hin über die Tausende der von ihm Gedannten. Er mass sich mit ihnen, der von Gott gefetzte Herr mit den empörerischen Knechten! Allein und ungeschützt hatte er sich mitten unter sie gewagt, stark nur durch seine Sendung. Sie konnten sich an ihm vergreifen, wenn es im Plan des Höchsten lag; er brachte seiner heiligen Sache sich selbst zum Opfer. War Gott mit ihm, dann sollten sie es sehen! Dann bewahrten sie für immer das Gepräge seiner Tat und die Erinnerung an ihre Ohnmacht!

      Ein junger Mensch mit einem Künstlerhut ging neben Diederich, er sagte: „Kennen wir. Napoleon in Moskau, wie er sich solo unter die Bevölkerung mischt.“

      „Das ist doch grossartig!“ behauptete Diederich, und die Stimme versagte ihm. Der andere zuckte die Achseln.

      „Theater, und nicht mal gut.“

      Diederich sah ihn an, er versuchte zu blitzen wie der Kaiser.

      „Sie sind wohl auch so einer.“

      Er hätte nicht sagen können was für einer. Er fühlte nur, dass er hier, zum erstenmal im Leben, die gute Sache zu vertreten habe gegen seindliche Bemängelungen. Trotz seiner Aufregung sah er sich noch die Schultern des Menschen an: sie waren nicht breit. Auch äusserte die Umgebung sich missbilligend. Da ging Diederich vor. Mit seinem Bauch drängte er den Feind gegen die Mauer und schlug auf den Künstlerhut ein. Andere knufften mit. Der Hut lag schon am Boden und bald auch der Mensch. Im Weitergehen bemerkte Diederich zu seinen. Mitkämpfern:

      „Der hat sichernichtgedient! Schmisse hat er auch keine!“

      Der alte Herr mit Bartkoteletts und Eisernem Kreuz war auch wieder da, er drückte Diederich die Hand.

      „Brav, junger Mann, brav!“

      „Soll man da nicht wütend werden?“ erklärte Diederich, noch keuchend. „Wenn der Mensch uns den historischen Moment verekeln will?“

      „Sie haben gedient?“ fragte der alte Herr.

      „Ich wäre am liebsten ganz dabei geblieben“, sagte Diederich.

      „Na ja, Sedan ist nicht alle Tage“ — der alte Herr betupfte sein Eisernes Kreuz. „Das waren wir!“

      Diederich reckte sich, er zeigte auf das bezwungene Volk und den Kaiser.

      „Das ist doch gerade so gut wie Sedan!“

      „Na ja“, sagte der alte Herr.

      „Gestatten Sie mal, sehr geehrter Herr“, rief jemand und schwenkte sein Notizbuch. „Wir müssen das bringen. Stimmungsbild, verstehuse? Sie haben wohl einen Genossen verwalkt?“

      „Kleinigkeit“ — Diederich keuchte noch immer. „Meinetwegen könnt’ es jetzt gleich losgehen gegen den inneren Feind. Unseren Kaiser haben wir mit.“

      „Fein“, sagte der Reporter und schrieb. „In der wildbewegten Menge hört man Leute aller Stände der treuesten Anhänglichkeit und dem unerschütterlichen Vertrauen zu der Allerhöchsten Person Ausdruck geben.“

      „Hurra!“ schrie Diederich, denn alle schrien es; und inmitten eines mächtigen Stosses von Menschen, der schrie, gelangte er jäh bis unter das Brandenburger Tor. Zwei Schritte vor ihm ritt der Kaiser hindurch. Diederich konnte ihm ins Gesicht sehen, in der steinernen Ernst und das Blitzen; aber ihm verschwamm es vor den Augen, so sehr schrie er. Ein Rausch, höher und herrlicher als der, den das Bier vermittelt, hob ihn auf die Fussspitzen, trug ihn durch die Luft. Er schwenkte den Hut hoch über allen Köpfen, in einer Sphäre der begeisterten Raserei, durch einen Himmel, wo unsere äussersten Gefühle kreisen. Auf dem Pferd dort, unter dem Tor der siegreichen Einmärsche und mit Zügen steinern und blitzend ritt die Macht! Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Die über Hunger, Trotz und Hohn hingeht! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben! Ein Atom sind wir von ihr, ein verschwindendes Molekül von etwas, das sie ausgespuckt hat! Jeder einzelne ein Nichts, steigen wir in gegliederten Massen als Neuteutonen, als Militär, Beamtentum, Kirche und Wissenschaft, als Wirtschaftsorganisation und Machtverbände kegelförmig hinan, bis dort oben, wo sie selbst steht, steinern und blitzend! Leben in ihr, haben teil an ihr, unerbittlich gegen die, die ihr ferner sind, und triumphierend, noch wenn sie uns zerschmettert: denn so rechtfertigt sie unsere Liebe!

      . . . Einer der Schutzleute, deren Kette das Tor absperrte, stiess Diederich vor die Brust, dass ihm der Atem ausblieb; er aber hatte die Augen so voll Siegestaumel, als reite er selbst über alle diese Elenden hinweg, die gebändigt ihren Hunger verschluckten. Ihm nach! Dem Kaiser nach! Alle fühlten wie Diederich. Eine Schutzmannskette war zu schwach gegen so viel Gefühl; man durchbrach sie. Drüben stand eine zweite. Man musste abbiegen, auf Umwegen den Tiergarten erreichen, einen Durchschlupf finden. Wenige fanden ihn; Diederich war allein, als er auf den Reitweg hinausstürzte, dem Kaiser entgegen, der auch allein war. Ein Mensch in gefährlichsten Zustand des Fanatismus, beschmutzt, zerrissen, mit Augen wie ein Wilder: der Kaiser vom Pferd herunter, blitzte ihn an, er durchbohrte ihn. Diederich riss den Hut ab, sein Mund stand weit offen, aber der Schrei kam nicht. Da er zu plötzlich anhielt, glitt er aus und setzte sich mit Wucht in einen Tümpel, die Beine in die Luft, umspritzt von Schmutzmasser. Da lachte der Kaiser. Der Mensch war ein Monarchist, ein treuer Untertan! Der Kaiser wandte sich nach seinen Begleitern um, schlug sich auf den Schenkel und lachte. Diederich aus seinem Tümpel sah ihm nach, den Mund noch offen.

      II.

      Er reinigte sich notdürftig und kehrte um. Auf einer Bank sass eine Dame; Diederich ging ungern vorüber. Noch dazu starrte sie ihm entgegen. „Gans“, dachte er zornig. Da sah er, dass sie ein tief erschrockenes Gesicht hatte, und dann erkannte er Agnes Göppel.

      „Eben bin ich dem Kaiser begegnet“, sagte er sofort.

      „Dem Kaiser?“ fragte sie, wie aus einer anderen Welt. Er begann, unter grossen, ungewohnten Gesten herauszujagen, was ihn erstickte. Unser herrlicher junger Kaiser, ganz allein unter rasenden Aufrührern! Ein Café hatten sie demoliert, Diederich selbst war drin gewesen! Unter den Linden hatte er blutige Kämpfe bestanden für seinen Kaiser! Kanonen sollte man aufsahren!

      „Die Leute hungern wohl“, sagte Agnes schüchtern. „Es sind ja auch Menschen.“

      „Menschen?“ Diederich rollte die Augen. „Der innere Feind sind sie!“

      Da er Agnes wieder erschrecken sah, beruhigte er sich etwas.

      „Wenn es Ihnen Vergnügen macht, dass wegen des Packs alle Strassen abgesperrt werden müssen.“

      Nein, das kam Agnes sehr ungelegen. Sie hatte in der Stadt Besorgungen gehabt, und wie sie zurück nach der Blücherstrasse wollte, ging kein Omnibus mehr, und nirgends kam man durch. Sie war zurückgedrängt worden bis hierher. Es war kalt und nass, ihr Vater würde sich ängstigen; was sollte sie tun? Diederich verhiess ihr, er werde es schon machen. Sie gingen zusammen weiter. Er wusste auf einmal nichts mehr zu sagen und wendete


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