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Der Untertan. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Der Untertan - Heinrich Mann


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eingeladen, und Diederich würde es sich nicht verziehen haben, wenn er eine so schmeichelhafte Gelegenheit versäumt hätte.

      In seiner kalten, altmodischen Junggesellenwohnung hielt Herr von Barnim ihm ein Privatissimum. Sein politisches Ziel war eine ständische Volksvertretung, wie im glücklichen Mittelalter: Ritter, Geistliche, Gewerbetreibende, Handwerker. Das Handwerk musste, der Kaiser hatte es mit Recht gefordert, wieder auf die Höhe kommen, wie vor dem Dreissigjährigen Krieg. Die Innungen hatten Gottesfurcht und Sittlichkeit zu pflegen. Diederich äusserte sein wärmstes Einverständnis. Es entsprach seinen Trieben, als eingetragenes Mitglied eines Standes, einer Berufsklasse, nicht persönlich, sondern korporativ im Leben Fuss zu fassen. Er sah sich schon als Abgeordneter der Papierbranche. Die jüdischen Mitbürger freilich schloss Herr von Barnim von seiner Ordnung der Dinge aus; waren sie doch das Prinzip der Unordnung und Auflösung, des Durcheinanderwerfens, der Respektlosigkeit: das Prinzip des Bösen selbst. Sein frommes Gesicht zog sich zusammen vom Hass, und Diederich kühlte ihn mit.

      „Schliesslich“, meinte er, ,,haben wir doch die Gewalt und können sie hinguswerfen. Das deutsche Heer —“

      „Das ist es eben“, stiess Herr von Barnim aus, der durch das Zimmer lief. ,,Haben wir darum den ruhmreichen Krieg geführt, dass mein väterliches Gut an einen Herrn Frankfurter verkauft wird?“

      Während Diederich noch erschüttert schwieg, klingelte es, und Herr von Barnim sagte:

      ,,Es ist mein Barbier, den will ich mir auch mal vornehmen.“

      Er bemerkte Diederichs Enttäuschung und setzte hinzu:

      „Natürlich rede ich mit solch einem Manne anders. Aber jeder von uns muss an seinem Teil der Sozialdemokratie Abbruch tun und die kleinen Leute in das Lager unseres christlichen Kaisers hinüberziehen. Tun auch Sie das Ihre!“

      Damit war Diederich entlassen. Er hörte den Barbier noch sagen:

      ,,Schon wieder ein altet Kunde, Herr Assessor, der zu Liebling hinübergeht, bloss weil Liebling jetzt Marmior hat.“

      Wiebel sagte, als Diederich ihm berichtete:

      ,,Das ist alles schön und gut, und ich habe eine ganz bedeutende Verehrung für die ideale Gesinnung meines Freundes von Barnim, aber auf die Dauer kommen wir damit nicht mehr weiter. Sehen Sie mal, auch Stöcker hat im Eispalast seine verdammten Ersahrungen gemacht mit der Demokratie, ob sie sich nun christlich nennt oder unchristlich. Die Dinge sind zu weit gediehen. Heute heisst es bloss noch: losschlagen, solange vir die Macht haben.“

      Und Diederich stimmte erleichtert bei. Herumgehen und Christen werben, war ihm gleich ein wenig peinlich erschienen.

      „Die Sozialdemokratie nehme ich auf mich, hat der Kaiser gesagt.“ Wiebels Augen drohten katerhaft. ,,Nun, was wollen Sie mehr? Das Militär ist darüber instruiert, es könine vorkommen, dass es auf die lieben Verwandten schiessen muss. Also? Ich kann Ihnen mitteilen, mein Lieber, wir stehen am Vorabend grosser Ereignisse.“

      Da Diederich erregte Neugier zeigte:

      ,,Was ich durch meinen Better von Klappke —.“

      Wiebel machte eine Pause. Diederich zog die Abfätze zusammen:

      „ — in Ersahrung gebracht habe, ist noch nicht für die Öffentlichkeit reif. Ich will nur bemerken, dass der gestrige Ausspruch Seiner Majestät, die Nörgler möchten gefälligst den deutschen Staub von ihren Pantoffeln schütteln, eine verfeufelt erst zu nehmende Warnung war.“

      ,,Tatsächlich? Sie glauben?“ sagte Diederich. ,,Dann ist mein Pech wirklich skandalös, dass ich gerade jetzt aus dem Dienst Seiner Majestät scheiden musste. Ich darf sagen, dass ich gegen den inneren Feind meine volle Pflicht getan haben würde. Auf die Armee, so viel weiss ich, kann der Kaiser sich verlassen.“

      Er war in diesen nasskalten Februartagen des Jahres 1892 viel auf der Strasse, in der Erwartung grosser Ereignisse. Unter den Linden hatte sich etwas verändert, man sah noch nicht, was. Berittene Schutzleute hielten an den Mündungen der Strassen und warteten auch. Die Passanten zeigten einander das Aufgebot der Macht. „Die Arbeitslosen!“ Man blieb stehen, um sie ankommen zu sehen. Sie kamen von Norden her, in kleinen Abteilungen und im langsamen Marschschritt. Unter den Linden zögerten sie, wie verwirrt, berieten sich mit den Blicken und lenkten nach dem Schloss ein. Dort standen sie, stumm, die Hände in den Taschen, liessen sich von den Rädern der Wagen mit Schlamm bespritzen und zogen die Schultern hoch unter dem Regen, der auf ihre entfärbtent Überzieher siel. Manche von ihnen wandten die Köpfe nach vorübergehenden Offizieren, nach den Damen in ihren Wagen, nach den langen Pelzen der Herren, die von der Burgstrasse her schlenderten; und ihre Mienen waren ohne Ausdruck, nicht drohend und nicht einmal neugierig, nicht, als wollten sie sehen, sondern als zeigten sie sich. Andete aber liessen kein Auge von den Fenstern des Schlosses. Das Wasser lief über ihre hinaufgewendeten Gesichter. Ein Pferd mit einem schreienden Schutzmann trieb sie weiter, hinüber oder bis zur nächsten Ecke — aber schon standen sie wieder, und die Welt schien versunken zwischen diesen breiten hohlen Gesichtern, die sahler Abend beschien, und der starren Mauer dort hinten, auf der es dunkelte.

      „Ich begreife nicht,“ sagte Diederich, dass die Polizei nicht energischer vorgeht. Das ist doch eine unbotmässige Bande.“

      „Lassen Sie’s, gut sein“, erwiderte Wiebel. „Die Schutzleute sind genau instruiert. Die Herren da oben haben ihre wohlüberlegten Absichten, das können Sie mir glauben. Es ist nämlich gar nicht immer zu wünschen, dass derartige Fäulniserscheinungen am Staatskörper gleich anfangs unterdrückt werden. Man lässt sie ausreifen, dann macht man ganze Arbeit!“

      Die Reife; die Wiebel meinte, kam täglich näher, am sechsundzwanzigsten schien sie da. Die Demonstrationen der Arbeitslosen sahen zielbewusster aus. In eine der nördlichen Strassen zurückgetrieben, quollen sie aus der nächsten, bevor man ihnen den Weg abschneiden konnte, verstärkt wieder hervor. Unter den Linden vereinigten sich ihre Züge, ranner, sooft sie getrennt wurden, wieder zusammen, erreichten das Schloss, wichen zurück und erreichten es noch einmal, stumm und unaufhaltsam wie übergetretenes Wasser. Der Wagenverkehr stockte, die Fussgänger stauten sich, mit hineingezogen in die langsame Überschwemmung, worin der Platz ertrank, in dies trübe und missfarbene Meer der Armen, das zäh dahinrollte, dumpfe Laute heraufwälzte und wie Maste untergegangener Schiffe die Stangen mit den Bannern hinaufreckte: ,,Brot! Arbeit!“ Ein deutlicheres Grollen, ausbrechend aus der Tiefe, jetzt drüben, jetzt hier: ,,Brot! Arbeit!“ Anschwellend über die Menge hinrollend, wie aus einer Gewitterwolfe: „Brot! Arbeit!“ Eine Attacke der Berittenen, ein Aufschäumen, Zurückfliessen, und Weiberstimmen im Lärm, schrill, gleich Signalen: ,,Brot! Arbeit!“

      Man wird überrannt, vom Friedrichdenkmal fegt es die Neugierigen hinunter. Aber sie haben aufgerissene Münder; aus kleinen Beamten, denen der Weg ins Amt versperrt ist, fliegt Staub auf, als würden sie geklopft. Ein verzerrtes Gesicht, das Diederich nicht kennt, schreit ihm zu: ,,Es kommt anders! Jetzt geht es gegen die Juden!“ — und ist untergegangen, bevor ihm einfällt, es war Herr von Barnim. Er will ihm einfällt, es war Herr von Barnim. Er will ihm nach, wird in einem grossen Schib weit hinübergeworfen, bis vor das Fenster eines Cafes, hört das Klirren der eingedrückten Scheibe, einen Arbeiter, der schreit: ,,Da haben se mich neulich ’rausgesetzt for meine dreissig Fennje, weil ich keinen Zylinderhut hatte“ — und dringt mit ein durch das Fenster, zwischen die umgeworfenen Tische, auf den Boden, wo man über Scherben fällt, einander die Bäuche einstösst und laut zefert. „Niemand mehr ‘rein! Wir kriegen keine Luft!“ Aber immer mehr steigen ein. ,,Die Polizei drängelt!“ Und die Mitte der Strasse sieht man frei liegen, gesäubert, wie für einen Triumphzug. Da sagt jemand: ,,Das ist doch Wilhelm!“

      Und Diederich war wieder draussen. Niemand wusste, wie es kam, dass man auf einmal marschieren konnte, in gedrängter Masse, auf der ganzen Breite der Strasse und zu beiden Seiten bis an die Flanken des Pferdes, worauf der Kaiser sass: er selbst. Man sah ihn an und ging mit. Knäuel von Schreienden wurden aufgelöst und mitgerissën. Alle sahen ihn an. Dunkles Geschiebe, ohne Form, planlos, grenzenlos, und hell darüber ein junger Herr im Helm, der Kaiser. Sie sahen: sie hatten ihn heruntergeholt aus dem Schloss. Sie hatten: „Brot! Arbeit!“ geschrien, bis er gekommen


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