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Der Untertan. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Der Untertan - Heinrich Mann


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behilflich sein wollen, herzlich willkommen. Die sich mir entgegenstellen, zerschmettere ich.“ Dabei versuchte Diederich zu blitzen. Herr Göppel erklärte, er warte es ab.

      „In dieser harten Zeit“, fügte Diederich hinzu, „muss jeder seinen Mann stehen.“ Und er setzte sich in Positur vor Agnes, die ihn bewunderte.

      „Wieso harte Zeit?“ sagte Herr Göppel. „Sie ist doch nur hart, wenn wir uns gegenseitig das Leben schwer machen. Ich hab’ mich mit meinen Arbeitern noch immer vertragen.“

      Diederich zeigte sich entschlossen, daheim in seinem Betrieb eine ganz andere Zucht einzuführen. Sozialdemokraten wurden nicht mehr geduldet, und Sonntags gingen die Leute zur Kirche! — Das auch noch? meinte Herr Göppel. Das könne er von seinen Leuten nicht verlangen, wenn er selbst doch bloss am Karfreitag gehe. „Soll ich sie beschmindeln? Christentum ist gut; aber was der Pastor alles redet, glaubt doch kein Mensch mehr.“ Da sah man Diederichs Miene hoch überlegen werden.

      „Mein lieber Herr Göppel, ich kann Ihnen nur sagen: Was die Herren da oben und besonders mein verehrter Freund, der Assessor von Barnim, zu glauben für richtig halten, das glaub’ ich auch — unbesehen. Das kanın ich Ihnen nur sagen.“

      Der Schwager, der Beamter war, schlug sich plötzlich auf Diederichs Seite. Herr Göppel hatte schon einen roten Kops, Agnes trat mit dem Kaffee dazwischen. „Na, schmecken Ihnen meine Zigarren?“ Herr Göppel klopfte Diederich aufs Knie. „Sehen Sie wohl, im Menschlichen sind wir einig.“

      Diederich dachte: „Da ich sozusagen zur Familie gehöre.“

      Er liess von seiner strammen Haltung einiges nach, es war noch sehr gemütlich. Herr Göppel wollte wissen, wann Diederich „fertig“ werde und Doktor sei, er begriff nicht, dass eine chemische Arbeit zwei Jahre und länger brauche. Diederich verbreitete sich in Ausdrücken, die niemand verstand, über die Schwierigkeiten, zu einer Lösung zu gelangen. Er hatte die Empfindung, Herr Göppel warte zu einem bestimmten Zweck auf seine Promovierung. Auch Agnes schien es zu fühlen, denn sie griff ein und lenkte das Gespräch ab. Als Diederich sich verabschiedet hatte, ging sie mit hinaus und flüsterte ihm zu:

      „Morgen um drei bei dir.“

      Bor jäher Freude griff er nach ihr und küsste sie, zwischen den Türen, während gleich daneben das Mädchen mit dem Geschirr rasselte. Sie fragte traurig: „Denkst du denn gar nicht daran, was mir passiert, wenn jetzt jemand kommt?“ Er war betroffen und verlangte als Zeichen ihrer Verzeihung noch einen Kuss. Sie gab ihn.

      Um drei Uhr pflegte Diederich aus dem Café ins Laboratorium zurückzukehren. Statt dessen war er schon um zwei Uhr wieder in seinem Zimmer. Richtig kam sie noch vor drei. „Wir haben es beide nicht erwarten können! Wie wir uns liebhaben!“ Es war schöner als das erstemal, viel schöner. Keine Träne mehr, keine Furcht; und die Sonne schien herein. Diederich, breitete Agnes’ Haar in der Sonne aus und badete sein Gesicht darin.

      Sie blieb, bis es fast schon zu spät war, die Einkäufe zu machen, die sie zu Hause vorgeschützt hatte. Sie musste laufen. Diederich, der mitlief, war sehr besorgt, dass es ihr schaden könne. Aber sie lachte, sah rosig aus und nannte ihn ihren Bären. Immer endeten nun so die Tage, an denen sie kam. Immer waren sie glücklich. Herr Göppel stellte fest, dass es Agnes besser gehe als je, und das verjüngte ihn selbst. Daher wurden auch die Sonntage jedesmal heiterer. Es dauerte bis abends, dann ward Punsch gemacht, Diederich musste Schubert spielen, oder er und der Schwager sangen Burschenlieder und Agnes begleitete sie, Manchmal sahen sie sich nacheinander um, beiden war zumut, als werde ihr Glück gefeiert.

      Es kam vor, dass im Laboratorium der Diener zu Diederich hintrat und ihm meldete, draussen sei eine Dame. Er stand sofort auf, stolz errötend unter den verständnisvollen Blicken der Kollegen. Und dann bummelten sie, gingen ins Café, ins Panoptikum; und da Agnes gern Bilder sah, erfuhr Diederich auch, dass es Kunstausstellungen gab. Agnes liebte es, vor einem Bild, das ihr gefiel, einer sansten, festtägigen Landschaft aus schöneren Ländern, lange stehenzubleiben, mit halbgeschlossenen Augen, und Träume auszutauschen mit Diederich.

      „Sieh nur recht hin, dann merkst du, das ist kein Rahmen, es ist ein Tor mit goldenen Stufen, die gehen wir hinunter und über den Weg, und biegen die Weissdornbüsche weg und steigen in den Kahn. Fühlst du wohl, wie er schaukelt? Das kommt, weil wir die Hand durch das Wasser schleifen, es ist so warm. Drüben am Berg, der weisse Punkt, du weisst schon, es ist unser Haus, dahin fahren wir. Siehst du, siehst du?“

      „Ja, ja“, sagte Diederich voll Eifer. Er kniff die Lider ein und sah alles, was Agnes wollte. Er geriet so sehr in Feuer, dass er ihre Hand nahm, um sie zu trocknen. Dann setzten sie sich in einen Winkel und sprachen von den Reisen, die sie machen wollten, dem sorgenlosen Glück in sonniger Ferne, von Liebe ohne Ende. Diederich glaubte, was er sagte im Grunde wusste er wohl, dass er bestimmt sei, zu arbeiten und ein praktisches Leben zu führen, ohne viel Musse für Überschwenglichkeiten. Aber was er hier sagte, war von einer höheren Wahrheit als alles, was er wusste. Der eigentliche Diederich, der, der er hätte sein sollen, Sprach wahr. — Aber Agnes: wie sie nun aufstanden und gingen, war sie blass und schien müde. Ihre schönen blonden Augen hatten einen Glanz, der Diederich beklommen machte, und sie fragte leise und zitternd:

      „Wenn unser Kahn nun umgeschlagen wäre?“

      „Dann hätte ich dich gerettet!“ sagte Diederich entschlossen.

      „Aber es ist weit vom Ufer, und das Wasser ist schrecklich tief.“

      Da er ratlos war:

      „Wir hätten ertrinken müssen. Sag’, wärst du gern mit mir gestorben?“

      Diederich sah sie an, dann schloss er die Augen.

      „Ja“, sagte er mit einem Seufzer.

      Nachher aber bereute er ein solches Gespräch. Er hatte wohl gemerkt, warum Agnes plötzlich in eine Droschke steigen und heimfahren musste. Sie hatte krampfhafte Röte bis in die Stirn gehabt, und er sollte nicht sehen, wie sie hustete. Den ganzen Nachmittag bereute Diederich nun. Solche Sachen waren ungesund, führten zu nichts und machten Ungelegenheiten. Sein Professor hatte schon von den Besnchen der Dame ersahren. Es ging nicht länger, dass sie ihn wegen jeder Laune von seiner Arbeit wegholte. Er fetzte es ihr schonend auseinander. „Du hast wohl recht“, sagte sie darauf. „Ordentliche Menschen brauchen feste Stunden. Aber wenn ich nun um halb sechs zu dir kommen soll, und am meisten geliebt hab’ ich dich schon um vier?“

      Er fühlte Spott heraus, vielleicht sogar Geringschätzung, und Mard grob. Eine Geliebte, die ihn an seiner Karriere hindern wollte, körine er überhaupt nicht brauchen. So habe er sich die Sache nicht vorgestellt. Da bat Agnes um Verzeihung. Sie wollte ganz bescheiden werden und in seinem Zimmer auf ihn warten. Wenn er noch zu tun hatte, oh! er brauchte keine Rücksicht zu nehmen. Das beschämte Diederich, er ward weich und überliess sich, zusammen mit Agnes, den Klagen über eine Welt, in der es nicht nur Liebe gab. „Muss es denn sein?“ fragte Agnes. „Du hast ein wenig Geld, ich auch. Warum Karriere machen und dich abhetzen? Wir könnten es so gut haben.“ Diederich sah es ein — nachträglich aber nahm er ihr es übel. Nun liess er sie warten, halb mit Absicht. Sogar den Besuch politischer Versammlungen erklärte er für eine Pflicht, die der Zusammenkunft mit Agnes vorangehe. Eines Abends im Mai, wie er verspätet heimkam, traf er vor der Tür einen jungen Mann in Einjährigenuniform, der ihn zögernd ansah. „Herr Diederich Hessling?“ — „Ach ja,“ stammelte Diederich, „Sie — du — Sie sind wohl Herr Wolfgang Buck?“

      Der jüngste Sohn des grossen Mannes von Netzig hatte sich endlich entschlossen, dem Befehl seines Vaters zu folgen und Diederich aufznsuchen. Diederich nahm ihn mit hinauf, er fand so schnell keinen Vorwand, um ihn zu entfernen, und drinnen sass Agnes! Im Flur sprach er laut, damit sie es höre und sich verstecke. Mit Bangen öffnete er. Im Zimmer war niemand; auch ihr Hut lag nicht auf dem Bett; aber Diederich wusste wohl: sie wer noch soeben dagewesen. Er sah es dem Stuhl an, der nicht ganz am Fleck stand, er fühlte es an der Luft, die noch leise zu schwingen schien vom Hindurchstreifen ihres Kleides. Sie musste in dem fensterlosen kleinen Gelass sein, wo sein Waschtisch stand. Er schob einen Sesscl davor und murrte, unwirsch vor Verlegenheit, über die Wirtin, die nicht aufräume. Wolfgang Buck meinte,


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