Der arme Jack. Фредерик МарриетЧитать онлайн книгу.
in ihrer Tasche“, sagte mein Vater lächelnd.
„Es ist demungeachtet eine wahre Rechnung, Kamerad, von der sie nie abgehen. Wie und warum sie so ihre Zeit kennen, weiss nur Gott, der ihnen den Instinkt dazu gab. Es ist eins von den Wundern der Tiefe, welche nur diejenigen schauen können, welche sich auf die grossen Gewässer begeben.“
„Das geht über meine Fassungskraft“, versetzte mein Vater, „und doch habe ich Tiere mit grossem Verstand gesehen. Auf einem Schiffe hatten wir ein Schaf, das Tabak kauen und Grog trinken konnte. — Nun fahret fort.“
„Gut, wir hatten ungefähr eine halbe Stunde gewartet, als wir ein Signal an dem Stengenkopf des Schiffes sahen, aus dem wir entnehmen konnten, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf einen andern Punkt richten müssten. Wir blickten deshalb am Horizont umher und bemerkten, dass etwa drei Meilen von uns eine ganze Schule von jungen Ochsen stand. Wir zählten im ganzen vier Boote, und der erste Mate forderte das meinige nebst einem der übrigen auf, Jagd nach den Bestien zu machen, während er mit den andern beiden auf das Wiederkommen des alten Walfisches warten wollte. Gut, wir fuhren ab und trafen bald auf die Schule. Solche Tiere sind die widerlichsten beim Walfischfang, denn sie sind nicht nur sehr wild, sondern obendrein leicht zu verscheuchen. Ich las mir eines davon aus und versuchte in seine Nähe zu kommen; aber es war sehr scheu, hob endlich seinen Kopf ganz aus dem Wasser und schwamm mit einer Geschwindigkeit von zehn Meilen in der Stunde davon. Daraus konnten wir entnehmen, dass es die ihm drohende Gefahr kannte. Ich hatte eben daran gedacht, den Burschen aufzugeben und es mit einem andern zu versuchen, als er plötzlich wieder umwandte und gerade auf die Boote zukam. Daraus erkannten wir, dass er Unheil brütete, aber während er auf uns zuschwamm, kam er so dicht an dem andern Boote vorbei, dass ihm der Steuermann die Harpune tüchtig in den Leib werfen konnte. Dies machte ihn noch wilder; er stand gerade vor dem Boote und pflügte ganze Wellen auf, als er weiter schoss. Ich hatte mich im Bug mit der Harpune aufgepflanzt und die übrige Mannschaft war bereit, rückwärts zu rudern, um der Bestie auszuweichen. Der Kerl kam heran, und als seine Schnauze noch etwa sechs Fuss von uns abstand, ruderten wir scharf seitwärts, bei welcher Gelegenheit ich ihm die Harpune tief in die Finne gab. „Alles sternwärts!“ lautete das Geschrei wie gewöhnlich, um das Tier klar von uns abzuhalten. Es peilte alsbald, das heisst, es ging köpflings hinunter, und das fürchteten wir am meisten. Denn Ihr müsst wissen, dass wir nur zweihundert Faden Leine in jedem Boote hatten. Da nun beide Harpunen in ihm staken, so konnten wir, im Falle es tief eintauchte, nicht eine an die andere anschlagen, denn der Walfisch geht bisweilen ganz senkrecht hinunter, und nimmt vier Leinen oder achthundert Faden mit sich. Wir erwarteten deshalb, wir würden diesmal sowohl die Bestie, als auch die Leinen verlieren, denn wenn sie ausgelaufen sind, müssen wir sie entweder kappen oder mit hinuntergehen. Gut, die Leine lief so geschwind ab, dass wir Wasser aufgiessen mussten, damit sie sich nicht entzündete, wir dachten bereits, dass alles vorüber sei, denn die Leinen hingen schon zu zwei Dritteilen im Wasser, und es ging noch immerfort so schnell, als je, als plötzlich ein Stillstand eintrat. Wir holten die schlaffen Leinen wieder herein und sahen endlich das Tier eine Viertelmeile entfernt wieder auftauchen. Nun ging es an ein Hurra, denn wir meinten es jetzt schon zu haben. Der Walfisch schoss mit in die Höhe gereckter Nase recht in das Wind-Auge und taute die beiden Boote mit einer Geschwindigkeit von zwanzig Meilen in der Stunde fort. Unsere Vordersteven pflügten durch die See und warfen das Wasser wie Federn auf beide Seiten der Buge, während die Sonnenstrahlen durch die Sprühe drangen und einen glänzenden Regenbogen bildeten. Wir hofften, das Tier werde bald müde und wir im stande sein, unsere Leinen einzuholen, damit wir ihm nahe genug kämen, um ihm unsere Lanzen zu geben. Das war aber nur eine Hoffnung, wie Ihr bald hören werdet. Plötzlich machte der Walfisch Halt, drehte um und kam mit aufgesperrtem Rachen geradeswegs auf uns zu. Wir konnten jetzt weiter nichts thun, als beiseite gehen und ihm drei Lanzen geben. Er schien nicht schlüssig zu sein, welches Boot er angreifen wolle, denn er gähnte, da wir sehr nahe bei einander waren, bald gegen das eine, bald gegen das andere. Endlich schoss er geradeswegs auf unsern Nachbar zu; doch der Bootsetzer wich ihm geschickt aus, während wir ihm näher ruderten und ich ihm die Lanze bis an den Schaft in die Seite stiess. Er bäumte sich jetzt, als ob er wieder weilen wollte, warf aber dabei mit seinen Armen unser Boot etwa zwanzig Fuss hoch in die Luft. Es wurde gerade in zwei Hälften geschlagen und einer der Bootsdosten flog quer gegen meine Nase, die seitdem nicht wieder gerade werden wollte. Da habt Ihr es nun, Kamerad, und ich will es Euch nicht übel nehmen, wenn Ihr das Bier ein bischen herüberbietet, denn das lange Garn hat meine Kehle etwas trocken gemacht.“
„Wenn Ihr einen Zug gethan habt, alter Knabe, so könnt Ihr mir eben so gut auch sagen, wie die Geschichte ausgegangen ist“, bemerkte mein Vater.
„Je nun, sie endigte damit, das wir erstlich den Walfisch und zweitens das Boot mit seinem Gezeug verloren. Wir wurden von dem andern Boote aufgelesen und hatten dabei keine Zeit zu verlieren, denn die Witterung des Walfischbluts hatte die Haifische herbeigeholt. Der Walfisch peilte wieder, und wir sahen uns genötigt, die Leinen zu kappen und an Bord zurückzukehren. Aber Gott behüte, Kamerad, ich könnte Euch noch manches viel längere Garn spinnen, vielleicht geschieht’s auch dieser Tage.“
„Gut, es wird mir lieb sein“, versetzte mein Vater; „aber Eure Fischgeschichte da ruft mir einen etwas kuriosen Fisch ins Gedächtnis, den ein Junge an Bord eines Kriegsschiffes fing. Ich denke übrigens, wir wollen jetzt das Krüglein leeren und Jack nach einer frischen Füllung fortschicken; wenn er zurückkommt, kann ich Euch das weitere erzählen.“
„Nichts macht mir mehr Vergnügen“, entgegnete Ben, „als den Abend, wie eben jetzt, in nüchterner Weise mit Erzählen und Anhören von langen Garnen zu verbringen — wie, Du bist doch nicht schläfrig, Jack?“
„Oh nein“, antwortete ich, „nicht im geringsten. Ich will den Porter holen, aber lass den Vater nicht anfangen, bis ich wieder zurück bin. Das Haus wird bald geschlossen; soll ich mehr als einen Krug bringen?“
„Ja, Jack, aber kein Bier mehr“, erwiderte mein Vater, mir etwas Silbergeld in die Hand drückend. „Ein Krüglein meinetwegen noch, aber dann eine Flasche Rum. Wir wollen uns in dieser Weise eine Nachtmütze aufsetzen, alter Knabe.“
Ich beeilte mich, das Bier und den Branntwein zu holen und war bald wieder zurück. Mein Vater und Ben füllten ihre Pfeifen auf, und der erstere begann folgendermassen:
„Als ich Schiemann an Bord der ‚Melpomene‘ war, hatten wir einen alten Burschen, namens Fletcher, als ersten Leutnant. Er war ein gutherziger Mann und plagte die Mannschaft nicht ohne Grund, hielt aber gleichwohl gewaltig viel auf einen pünktlichen Dienst und übersah keine Nachlässigkeit oder Ordnungswidrigkeit, obgleich er bei einem bischen Lerchen die Augen zudrückte, nach dem Hinterschiffe ging und dergleichen that, als sehe und höre er nichts. Seine gewöhnliche Phrase lautete: ‚meine Bursche, Ihr habt Eure Pflicht zu thun und ich die meinige.‘ Und dies wiederholte er wohl fünfzigmal des Tages, so dass man ihn zuletzt nur die ‚alte Pflicht‘ nannte. Ich meine ihn noch zu sehen, wie er auf und ab ging, das Spähglas unter seinem linken Arme und die rechte Hand in die Brust gesteckt, als ob er nach einem Floh suche. Sein Hut war an der Vorderseite sehr zerrissen und abgenützt, weil er ihn beständig abnahm, statt bloss an ihn hinaufzustechen, wenn er auf das Halbdeck kam. War es dann so weit mit ihm, dass der Kopf durchschien, so pflegte er ihn umzuwenden und die Hinterseite nach vorn zu bringen. Dies that dann solange gut, bis derselbe, wie die Yankees sagen, ‚nur ein Fetzen‘ und Mr. Fletcher genötigt war, einen neuen zu kaufen.
„Gut, wir hatten einen Knaben an Bord, der eines Tages eintrat, als der Kapitän zu Torquai ans Land gegangen war, um mit einem Freunde zu dinieren. Er hiess Jack Jerwis. Sein Vater und seine ganze Sippschaft waren seit undenklichen Zeiten Fischer gewesen, Jack selbst hatte, fast von der Wiege an, von einem Jahresende bis zum andern seinem Vater helfen müssen. Ihr begreift also wohl, dass ihm das Fischen zur andern Natur geworden war, die sich auch, nachdem er an Bord gekommen, nicht verlor; denn es war ihm nie wohler, als wenn er seine Leine über Bord werfen oder in irgend einer Ecke eine Angel einflechten konnte. Er hatte nur den Namen Jack, der Fischer, und war im ganzen ein netter, rühriger, gutwilliger Junge.
„Nun gab es eine kleine Schwierigkeit zwischen der alten Pflicht und Jack, dem Fischer. Die alte Pflicht wollte keine Leine über Bord werfen lassen, wenn das Schiff im Hafen