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Professor Unrat. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Professor Unrat - Heinrich Mann


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ihm über den Kopf ge­gos­sen hät­te, aus ei­nem Fens­ter sein Name fal­len! Und da er ihn nicht sah, ver­moch­te er den Schrei­er nicht zu »fas­sen«! Eine em­pör­te Klas­se von fünf­zig­tau­send Schü­lern tob­te um Un­rat her.

      »Dann ist da kein, kein Mensch.«

      Er sag­te wohl:

      »Ich leg’ euch Ban­de noch mal hin­ein!«

      Aber da er sei­ne Ohn­macht fühl­te, kam der Hass in ihm ins Zit­tern und riss or­dent­lich an ihm; der Hass auf die­se Tau­sen­de fau­ler, bos­haf­ter Schü­ler, die ihm im­mer die schul­di­ge Ar­beit vor­ent­hal­ten, ihn im­mer bei sei­nem Na­men ge­nannt, im­mer nur auf Un­fug ge­son­nen hat­ten; die ihn jetzt mit der Künst­le­rin Fröh­lich är­ger­ten, sie und den Schü­ler Loh­mann nicht an­ga­ben, son­dern sich be­nah­men wie eine »ge­mei­ne« Klas­se, die zu­sam­men­hält ge­gen den Leh­rer; die jetzt alle beim Abendes­sen sa­ßen, ihn aber nö­tig­ten, hier un­ten her­um­zu­schlei­chen; und die über­haupt, es ahn­te ihm in die­ser Stun­de, et­was Übles aus ihm ge­macht, ihn in den lan­gen Jah­ren, die er bei ih­nen war, frag­wür­dig zu­ge­rich­tet hat­ten.

      Er, der seit sechs­und­zwan­zig Jah­ren die Klas­se vor sich hat­te, die Klas­se mit im­mer den­sel­ben tücki­schen Ge­sich­tern, hat­te nie be­merkt, dass die Ge­sich­ter hier drau­ßen, und wenn die Zeit hin­ging, bald ganz gleich­gül­ti­ge Mie­nen be­hiel­ten beim Ge­dan­ken an Pro­fes­sor Un­rat, und dass sie spä­ter so­gar wohl­wol­len­de an­nah­men. Im­mer in der An­span­nung des Kamp­fes war er nicht dazu an­ge­tan, es zu wür­di­gen, dass die Äl­te­ren in der Stadt sei­nen Na­men, so­gar wenn sie ihm das Wort laut an den Kopf sag­ten, nicht aus­spra­chen, um ihn zu ver­let­zen, son­dern Ju­gen­derin­ne­run­gen zu­lie­be, die ih­nen mitt­ler­wei­le harm­los hei­ter aus­sa­hen; und dass er in der Stadt eine Fi­gur war, die für je­den Ko­mik um­her­trug, aber für man­chen eine zärt­li­che Ko­mik. Er hör­te nicht den Mei­nungs­aus­tausch zwei­er Schü­ler aus der al­ler­ers­ten Ge­ne­ra­ti­on, die an ei­ner Stra­ßen­e­cke ste­hen­blie­ben und ihm, er mein­te voll Hohn, nach­blick­ten:

      »Was ist denn mit dem Un­rat? Er wird alt.«

      »Und im­mer schmut­zi­ger.«

      »An­ders als schmut­zig hab’ ich ihn nie ge­kannt.«

      »O, das wis­sen Sie wohl nicht mehr. Als Hilfs­leh­rer war er noch ’n ganz adret­ter Mensch.«

      »So? Was der Name tut. Ich kann ihn mir über­haupt nicht sau­ber vor­stel­len.«

      »Wis­sen Sie, was ich glau­be? Er sich sel­ber auch nicht. Ge­gen so ’n Na­men kann auf die Dau­er kei­ner an.«

      1 Ein Heu­er­bas war ein Ar­beits­ver­mitt­ler, der, vom Ka­pi­tän be­auf­tragt, die Mann­schaft für ein Schiff ge­gen Ge­bühr an­mus­ter­te. <<<

      2 Schlei­er­tuch (meist) spa­ni­scher Frau­en <<<

      Un­rat has­te­te die stil­le Gas­se wie­der hin­auf, denn er hat­te einen Ge­dan­ken ge­habt, des­sen Rich­tig­keit er so­fort, aber so­fort nach­prü­fen woll­te. Er wuss­te durch plötz­li­che Er­leuch­tung, Rosa Fröh­lich sei die Bar­fußtän­ze­rin, von der man jetzt so viel Auf­he­bens mach­te. Sie soll­te her­kom­men und in dem Saal der Ge­sell­schaft für Ge­mein­sinn ihre Küns­te se­hen las­sen. Un­rat ent­sann sich ganz deut­lich, wie Ober­leh­rer Witt­kopp, ein Mit­glied die­ser Ge­sell­schaft, da­von er­zählt hat­te. Er war im Leh­rer­zim­mer an sein Wand­schränk­chen ge­tre­ten, hat­te es auf­ge­schlos­sen, einen Pa­cken Ex­er­zi­ti­en­hef­te hin­ein­ge­legt und dazu ge­sagt:

      »Nun be­kom­men wir hier also auch die be­rühm­te Rosa Fröh­lich, die auf blo­ßen Fü­ßen grie­chisch tanzt.«

      Un­rat sah Witt­kopp vor sich, wie er sich wich­tig mach­te, ei­tel um sei­nen Klem­mer her­um­schiel­te und die Lip­pen spitz­te, um aus­zu­spre­chen: »Rosa Fröh­lich.« Ganz ohne Zwei­fel, er hat­te ge­sagt: »Rosa Fröh­lich.« Un­rat hör­te ja je­den der vier Lau­te, in Witt­kopps ge­küns­tel­ter Sprech­wei­se und mit dem ge­säu­sel­ten R. Das hät­te ihm frü­her ein­fal­len sol­len! Zwei­fel­los war die Bar­fußtän­ze­rin Fröh­lich in­zwi­schen ein­ge­trof­fen, und der Schü­ler Loh­mann war mit ihr in Ver­bin­dung ge­tre­ten. Un­rat war nun auf dem Wege, bei­de zu »fas­sen«.

      Er er­reich­te die Sie­ben­berg­stra­ße, er hat­te sie halb durch­eilt, da ging don­nernd ein Rol­la­den nie­der vor ei­nem Schau­fens­ter, und Un­rat blieb, ei­ni­ge Schrit­te da­vor, ver­nich­tet stehn. Denn der Rol­la­den ge­hör­te dem Mu­si­ka­li­en­händ­ler Kell­ner, der bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten die Kar­ten ver­kauf­te und al­les Nä­he­re wuss­te. Es schi­en, als soll­te Un­rat die zwei, de­nen er nach­setz­te, heu­te nicht mehr ein­ho­len.

      Trotz­dem konn­te er sich nicht den­ken, dass er jetzt nach Haus ge­lan­gen und sein Nachtes­sen her­un­ter­brin­gen wer­de. Er war in Jagd­lei­den­schaft ge­ra­ten. Er gab sich noch ein paar Mi­nu­ten, mach­te einen letz­ten Um­weg. Am Ros­ma­rin­weg hielt er, ganz er­schüt­tert, vor ei­nem schief­ge­tre­te­nen Holz­trepp­chen den Schritt an. Es klomm steil bis vor eine schma­le La­den­tür mit der In­schrift: »Jo­han­nes Rind­fleisch, Schuh­ma­cher­meis­ter«. Eine Wa­ren­aus­la­ge war nicht da; hin­ter den Spie­gel­schei­ben der zwei klei­nen Fens­ter stan­den Blu­men­töp­fe. Und Un­rat be­dau­er­te, von sei­nem gu­ten Ge­schick nicht schon längst hier­her­ge­führt zu sein, zu der Be­hau­sung ei­nes recht­schaf­fe­nen und harm­lo­sen Man­nes, ei­nes Herrn­hu­ters, der kein Schelt­wort in den Mund nahm, nie­mals krän­kend die Mie­ne ver­zog, und der über die Künst­le­rin Fröh­lich an­stands­los Aus­kunft er­tei­len wür­de!

      Er öff­ne­te die Tür. Eine Glo­cke schlug an, und der Ton schwang freund­lich nach. Die Werk­statt lag sau­ber auf­ge­räumt im Halb­dun­kel. Ein­ge­fasst in den Rah­men der Tür zum Ne­ben­zim­mer, zeig­te sich das mild be­leuch­te­te Bild der Schus­ters­fa­mi­lie beim Abend­brot. Der Ge­sel­le kau­te an der Sei­te der Hau­s­toch­ter. Den klei­nen Kin­dern gab die Mut­ter Kar­tof­feln zur Mett­wurst. Der Va­ter setz­te die bau­chi­ge Fla­sche mit Braun­bier ne­ben die Lam­pe, er­hob sich und sah nach dem Kun­den.

      »’na­bend, Herr Pro­fes­ser.« Er schluck­te erst um­ständ­lich sei­nen Bis­sen hin­un­ter. »Und wo­mit kann ich die­nen?«

      »Ja«, ver­setz­te Un­rat, rieb sich un­si­cher lä­chelnd die Hän­de und schluck­te auch, mit lee­rer Keh­le.

      »Ent­schul­di­gen Sie man«, setz­te der Schuh­ma­cher hin­zu, »dass hier schon al­lens dus­ter is. Hier ma­chen wir um Klock sie­ben


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