Tarzan – Band 3 – Tarzans Tiere. Edgar Rice BurroughsЧитать онлайн книгу.
war es auch eine Falle? Wurde auch Tarzan jetzt in die Hand jenes unversöhnlichen Rokoff gespielt? Sie suchte diesen Gedanken in seiner ganzen Furchtbarkeit zu fassen. Erschüttert blieb sie mit schreckensstarren Augen stehen, und blitzartig kam ihr der Entschluss. Ein Blick auf die Standuhr in der Nische. Sie fühlte die Zeit im Schlag jeder Sekunde dahineilen.
Nahm sie den Zug nach Dover, den auch Tarzan genommen hatte? Dazu war es schon zu spät.
Nein, sie würde den anderen Weg einschlagen. Es war zwar weiter; aber sie würde rechtzeitig am Kanalhafen sein, noch bevor die Uhr zum Glockenschlag der Stunde ansetzte, die der Fremde ihrem Manne bestimmt hatte.
Sie rief Mädchen und Chauffeur und gab rasch ihre Anweisungen. Schon zehn Minuten später raste sie im Auto durch belebte Straßen zum Bahnhof.
*
Es war dreiviertel zehn Uhr abends. Tarzan trat in die schmutzige Hafenkneipe in Dover ein; dumpfe Wolken von Dunst und Qualm strömten ihm entgegen. Ein Mann, stark maskiert, wies ihn nach der Straße.
Kommen Sie, Lord, tuschelte der Unbekannte.
Der Affenmensch wandte sich und folgte in die spärlich beleuchtete Gasse. Mit der sonst üblichen Bezeichnung »Straße« hätte man ihr wirklich zu viel Ehre angetan.
Sie waren am Ende. Der andere steuerte gleich dorthin, wo ihnen noch größere Finsternis entgegenstarrte. Man war am Kai. Hochaufgestapelte Ballen, Kisten und Kästen warfen weithin tiefe Schatten. Hier machte er Halt.
Wo steckt nun mein Junge? fragte Greystoke.
Dort drüben, Sie sehen die Lichter des kleinen Dampfers, erwiderte der andere.
Trotz der Finsternis suchte Tarzan die Züge seines Führers genauer zu mustern. Er glaubte, den Mann noch nie gesehen zu haben. Hätte er auch nur geahnt, dass er Alexei Pawlowitsch vor sich hatte – nichts als gemeinen Verrat und lauernde Gefahr würde er in jeder Bewegung dieses Menschen gewittert haben.
Das Kind ist jetzt unbewacht, fuhr der Fremde fort. Die Herren Räuber fühlen sich völlig sicher. Nur ein paar von den Spitzbuben sind übrigens an Bord der »Kincaid«. Aber die habe ich schon gehörig mit Schnaps bearbeitet, sie sind für ein paar Stunden versorgt, da kann sich keiner mehr rühren. Also, gehen wir. Sie nehmen Ihr Kind und können verschwinden, ohne das Geringste befürchten zu müssen.
Tarzan nickte zustimmend.
Also los, sagte er nur.
Ein Boot war am Kai festgemacht, sie stiegen ein, und Pawlowitsch ruderte rasch auf den Dampfer zu. Dicke schwarze Rauchfahnen quollen aus dem Schornstein. Tarzan beachtete dies nicht im Geringsten. Seine Gedanken waren einzig und allein auf das gerichtet, was er fiebernd erwartete: Schon in wenigen Minuten würde er seinen Kleinen wieder in den Armen halten! Vom Schiff hing eine Strickleiter herab. Vorsichtig kletterten sie fast lautlos an Deck. Oben gingen sie schnell nach achtern. Der Russe zeigte auf eine Luke. Dort ist der Junge versteckt, sagte er. Besser, Sie holen ihn selbst. Er wird dann kaum schreien und könnte auch erschrecken, wenn ein Fremder ihn auf den Arm nimmt. Ich will dafür hier oben aufpassen. Tarzan war völlig im Banne seiner nun fast erfüllten Hoffnung. Den Jungen sollte er wiederhaben! Und so entging ihm alles, was auf dieser »Kincaid« geheimnisvoll und verdächtig erscheinen musste: Kein Mensch auf Deck, und dabei das Schiff unter Dampf. Mehr noch: Die gewaltigen Rauchschwaden deuteten doch offensichtlich darauf hin, dass man bereit war, jeden Augenblick in See zu gehen. Nichts, rein gar nichts machte ihn stutzig. Nur der eine einzige Gedanke, dass er im nächsten Augenblick schon dies kostbare kleine Geschöpf in seinen Armen haben würde, schien in ihm Raum zu haben.
Hinab in die Finsternis schwang sich der Affenmensch, doch kaum hatte er den Rand der Lukenöffnung losgelassen, da schlug der schwere Deckel krachend über ihm zu – –
Er begriff sofort, dass er einem heimtückischen Anschlag zum Opfer gefallen war. Seinen Sohn wiederfinden? Gar nicht daran zu denken. Er selbst hatte sich in die Hände seiner Feinde gestürzt. Mit allen Kräften suchte er den Deckel der Luke zu erreichen. Vielleicht konnte er ihn noch nach oben drücken – – Doch vergeblich. Er zündete ein Streichholz an und fand sich in einem Raum, den man anscheinend vom Hauptraum besonders abgeteilt hatte. Der Lukendeckel über ihm der einzige Zugang – –; es war sonnenklar: man hatte dies hier einzig und allein für ihn als Kerker ausgedacht.
Nichts und niemand waren hier weiter. Und das Kind? Wäre es wirklich an Bord der »Kincaid«, dann überall, nur nicht hier.
Vom Kind zum Manne war er herangewachsen mitten in der Wildnis und fern von jedem menschlichen Wesen, über zwanzig Jahre lang. Eines hatte er da vor allem gelernt in diesen Jahren, in denen alles im Menschen so köstlich jung und empfänglich ist: Er hatte gelernt, Freud und Leid, Glück und Unglück so zu nehmen, wie die wilden Tiere sich mit ihren Geschicken abfinden. Kein Rasen also jetzt, kein Sichaufbäumen gegen diesen Schicksalsschlag. Gelassen und wachen Auges wartete er, was nun wohl folgen würde. Das Menschenmögliche sollte jedenfalls getan werden, er würde sich schon zu helfen wissen. Gewissenhaft untersuchte er sein Gefängnis. Er tastete die Planken von oben bis unten ab, diese elenden Kerkerwände, und suchte dann abzuschätzen, wie hoch der Lukendeckel eigentlich über ihm liege.
Plötzlich fühlte er das Stampfen der Maschine, das Surren der Schrauben. Man fuhr also? Wohin – – wohin – –?
Und mitten in diesem Wirbel seiner Gedanken, in dies Zittern und den Lärm der Maschinen drang plötzlich ein Etwas, dass es ihm eiskalt den Rücken hinablief: Ein unheimlich gellender Schrei oben auf Deck, ein Kreischen, wie von einem zu Tode erschrockenen Weibe – – –
Nach Afrika entführt
Gerade als Tarzan mit seinem Begleiter im Dunkel der Kaianlage verschwand, war eine tief in Schleier gehüllte Dame eilig in die enge Gasse eingebogen, nicht weit mehr von der Kneipe, die die beiden eben verlassen hatten.
Sie blieb stehen, sah sich um und schien befriedigt. Endlich war sie da. Sie fasste Mut und trat in die Winkelkneipe ein.
Halbbetrunkene Matrosen und »Kai-Ratten« blickten von ihren Tischen auf. Das war etwas Neues: eine vornehm gekleidete Dame hier mitten unter ihnen. Sie ging sofort auf die Kellnerin am Schanktisch zu. Die hatte bereits ihre glücklichere Schwester mit neidischem Blick aufs Korn genommen.
Haben Sie einen großen, gutgekleideten Herrn hier gesehen? fragte sie. Er muss vor einigen Minuten noch hier gewesen sein. Muss sich hier mit jemandem getroffen haben