Schiff der Versuchung. Barbara CartlandЧитать онлайн книгу.
es nicht tun«, sagte er sich.
Nachdem er sich Daisy erfolgreich vom Halse geschafft und ihr in seiner üblichen Großzügigkeit diese Kränkung mit einem außerordentlich teuren Geschenk in Form eines Diamanten versüßt hatte, sah er sich nach einer neuen Augenweide um.
Er hatte noch niemanden diesbezüglich gefunden, bis er letzte Woche bei der Dinnerparty eines Abgeordneten, den er gewöhnlich ignorierte, Tischnachbar einer Dame gewesen war, die er nie zuvor gesehen hatte: Es war Lady Bradwell.
Sie war schön, aber das verstand sich von selbst; er wußte genau, daß man sie sonst nicht neben ihn gesetzt hätte.
Doch sie war insofern ungewöhnlich, als ihre Schönheit von dem Zirkel in Marlborough House nie zuvor erblickt oder sonst wie gewürdigt worden war.
»Wo haben Sie sich bisher versteckt?« erkundigte sich der Marquis.
»Ich war in Paris«, antwortete sie, »und ein Jahr lang in Trauer.«
»Das erklärt alles.«
Er meinte, das erkläre nicht nur, daß er sie noch nicht kennengelernt hatte, sondern auch ihre außerordentlich elegante Kleidung und die Art, wie sie sprach und seine kühneren Avancen mit einer Gewandtheit parierte,, die den meisten englischen Damen fehlte.
Nach Beendigung des Dinners war der Marquis sichtlich fasziniert.
Zwei Tage später machte er sich auf eine Verfolgung, die, wie er aus Erfahrung wußte, nicht lange dauern würde und deren Ausgang unzweifelhaft war.
Der Marquis war nicht übermäßig eitel, er hätte sich jedoch als extrem stumpf erwiesen, wenn es ihm nicht aufgefallen wäre, daß jede Frau, auf die er einen Blick warf, stets und sofort bereit war, sich seinen Wünschen zu fügen, und ihm jenen, zur Rettung ihres Stolzes nur gespielten Widerstand entgegensetzte.
Lady Bradwell jedoch hatte ihn nicht nur fasziniert, sondern es auch fertiggebracht, ihn mit einer Klugheit, auf die er nicht gefaßt war, im Ungewissen zu lassen.
Mit anderen Worten: Der Marquis hatte sein Ziel noch nicht erreicht, so daß er, obwohl der Ausgang der Angelegenheit unzweifelhaft war, gleichwohl keineswegs den Wunsch hegte, gerade jetzt ins Ausland zu fahren.
Plötzlich fiel ihm ein, daß Lady Bradwell ja keinen Gatten hatte und es daher nicht schwer wäre, sie vielleicht zu überreden - natürlich mit einer angemessenen Anstandsdame -, ihn auf die Reise zu begleiten.
Deshalb stellte er an den Außenminister die Frage: »Wann soll ich mich zu dem aufmachen, was Sie als Gefälligkeitsbesuch bezeichnen, Archibald? Was genau wird von mir erwartet?«
Am Lächeln auf dem Gesicht des Außenministers und seinem Augenzwinkern sah er, daß Lord Rosebery nicht nur über seine Zusage entzückt war, sondern auch den Grund dafür mehr oder weniger erriet.
»Die Antwort auf Ihre erste Frage lautet: so bald wie möglich«, teilte er ihm mit. »Und was die zweite Frage betrifft - da Sie ja wissen, was in Siam geschehen ist, brauche ich Ihnen nicht zu erklären, daß Sie das Unbehagen des Königs wegen der englisch-französischen Übereinkunft vom vorigen Jahr beschwichtigen sollen.«
Er lächelte, als er fortfuhr: »Sie müssen Seine Majestät davon überzeugen, daß es seinem Land nicht schaden, sondern im Gegenteil seine Unabhängigkeit vielmehr sichern wird.«
»Das soll heißen«, bemerkte der Marquis, »daß die Kolonialmächte, die Briten in Burma und die Franzosen in Laos, Siam als Pufferstaat entwickeln möchten.«
»Genau«, stimmte der Außenminister zu. »Aber nach all den Unannehmlichkeiten der letzten Zeit - insbesondere durch die Franzosen —, zeigt sich König Chulalongkorn natürlich nervös und hegt gewisse Befürchtungen für die Zukunft.«
»Ich hoffe, daß er nicht allzu sehr seinen Zweifeln freien Lauf läßt«, bemerkte der Marquis. »Ich war schließlich immer mit Ihnen der Meinung, daß Chulalongkorn einer der großen Könige unseres Zeitalters ist und sicherlich in die Geschichte eingehen wird.«
Der Außenminister nickte.
Beide Männer erinnerten sich daran, wie der König seine Herrschaft mit der Erklärung begonnen hatte, die Kinder von Sklaven sollten zu freien Menschen werden, und seither seine Untertanen allmählich von der Sklaverei befreit hatte.
Er hatte ein modernes Postsystem eingeführt, Eisenbahnlinien gebaut und regionale Feudalherren, die viel zu sehr ihre Macht genossen, durch zentral eingesetzte Gouverneure ersetzt, die nur direkt dem Thron verantwortlich waren.
Als der Marquis einige Jahre zuvor Siam besucht hatte, war er damals überaus beeindruckt vom König und dessen Reformen gewesen, vor allem, als Seine Majestät ihm persönlich gesagt hatte: »Alle Kinder, von meinen eigenen bis zu den ärmsten, werden die gleichen Bildungschancen haben.«
König Chulalongkorn war entschlossen, Siam nicht einfach zu einer westlich orientierten Kolonie zu machen; eines der Mittel, das zu vermeiden, bestand darin, den Weg zum Fortschritt selbst und ohne fremde Hilfe einzuschlagen.
Da Großbritannien zur gleichen Zeit die gesamte Kontrolle über Burma hatte, beunruhigten ihn berechtigterweise der Machtzuwachs und der Einfluß der Franzosen in Indochina.
Im vorigen Jahr hatte es ärgerliche Zwischenfälle gegeben, als zwei französische Kanonenboote auf dem Weg nach Bangkok bei der Einfahrt in den Chiapana-Fluß die Thai-Festungen beschossen hatten.
Beide Seiten hatten Verluste erlitten, inzwischen sollten sich aber alle Feindseligkeiten gelegt haben.
»Sie«, sagte der Außenminister, »sollen dem König klarmachen, daß Großbritannien wirkliche Anstrengungen zur Freundschaft macht, und ich kenne niemanden, Vivien, der dafür besser geeignet wäre als Sie.«
»Sie schmeicheln mir«, sagte der Marquis, »aber ich weiß genau, daß Sie das nur tun, um Ihren Willen durchzusetzen.«
Er seufzte unüberhörbar.
»Nun gut, ich werde reisen, aber nur, wenn Sie mir zusichern, daß ich unterhaltsame Gesellschaft mitnehmen kann.«
»Was Sie mir zu verstehen geben wollen«, bemerkte Lord Rosebery, »bedeutet nichts anderes, als daß Ihre Mission davon abhängt, ob der augenblickliche Gegenstand Ihrer unbeständigen Herzensneigung Ihre Einladung annimmt.« Er machte eine Pause, ehe er hinzufügte: »Ich kenne Sie schon lange, Vivien, und habe noch nie erlebt, daß irgendeine Frau Sie abgewiesen hätte.«
»Es gibt für jeden ein erstes Mal.«
»Sorgen Sie dafür, daß es nicht bei dieser Gelegenheit ist.«
Lord Rosebery fuhr beim Aufstehen fort.
»Ich werde zu einem Treffen erwartet. Können Sie morgen mit mir zu Mittag essen? Dann kann ich Ihnen mehr über die Lage in Siam berichten und Ihnen auch Briefe an den König und an unseren Gesandten und Generalkonsul in Bangkok geben, Captain Henry Michael Jones, der zudem Träger des Victoria Cross ist.«
»Ich habe das seltsam unbehagliche Gefühl, daß Sie mich in dieser Sache unter Druck gesetzt haben«, antwortete der Marquis. »Wenn irgendetwas schief geht, Archibald, schwöre ich, daß dies das letzte Mal ist, daß ich mich einem Ihrer Vorschläge beuge; als Sie früher Außenminister waren, hat mich das in Teile der Welt geführt, deren Kennenlernen mich nicht besonders begeistert hat.«
»Unsinn!« antwortete Lord Rosebery. »Sie wissen genauso gut wie ich, daß Sie sich freuen werden, von den Intrigen in Marlborough House und den endlosen Essen wegzukommen, derer Sie oft schon allzu überdrüssig waren. Und wer weiß - in neuen Weidegründen finden Sie vielleicht die seltene Orchidee, oder war es ein Stern - das Ziel Ihrer geheimen Suche und Wünsche?«
Der Marquis starrte ihn ungläubig an.
»Wer sagt, daß ich nach irgendetwas suche?«
»Natürlich tun Sie das«, antwortete Lord Rosebery. »Mit Ihrem Aussehen, Vivien, Ihrer Position und Ihrem Reichtum haben Sie alles, außer dem, was für einen Mann das Wichtigste ist.«